Neu auf Vinyl


„Rührig“ ist wahrscheinlich das treffende Adjektiv. Das rührige Hamburger Label Clouds Hill Records hat es wieder getan, hat wieder eine exklusive Vinylbox rausgehauen mit extra dafür im Label-eigenen Studio strictly analog produzierten Songs. Und diese Box kommt wieder verschnürt in einen Jutesack, dessen raumgreifender Geruch gewöhnungsbedürftig ist. Neun 12- und 7-Inches von alten, mittelalten und jungen Bands, von Bekannten und nicht so Bekannten, die aber alle irgendwie miteinander verbunden sind. Darunter die Avantgardisten Faust, The Ape, Stella, Scams, Scheerer und Michaela Meise. Wir hören auf Clouds Hill Vinylbox # 2 – Analog Love In Digital Times (Clouds Hill Records/Rough Trade) Avant- und Indie-Rock, Kakophonie, Ambient und mittelalterliches Kirchenlied. Und als Zugabe, quasi als Bonustracks liegen der Box zwei Geschenke bei, die nicht direkt etwas mit Musik zu tun haben, aber das Tüpfelchen auf dem i der analogen Gesamtidentität von Clouds Hill Records darstellen. Was das sein soll, wird nicht verraten.

Die Begriffe „Fusion“ und „Jazz Rock“ wurden ganz zu Recht kurze Zeit nach der Erfindung dessen, was sie bezeichnen, zu Unwörtern. Aber wie so oft gilt auch in diesem Fall, dass der, der die Geister gerufen hat, nicht zwangsläufig dafür, was seine Nachahmer daraus machen, in die Verantwortung genommen werden darf. Miles Davis hat 1969/70 mit den Alben In A Silent Way und Bitches Brew nicht nur den Begriff des Jazz erweitert, sondern auch für eine kurze Zeit Anfang der Siebzigerjahre das Klima für eine Freiheit des musikalischen Ausdrucks quer über alle Genregrenzen hinaus geschaffen. So wurde Miles Davis eine Zeitlang zum Lieblingsjazzer der Rockhörer. Beim Isle-Of-Wight-Festival im August 1970 stand er auf derselben Bühne wie Jimi Hendrix, The Doors und The Who. Das Album Bitches Brew Live (Columbia Legacy/Music On Vinyl/Cargo) dokumentiert diese Phase in Liveaufnahmen. Drei Stücke stammen vom Newport-Jazz-Festival 1969 – sechs Wochen bevor der Meilenstein Bitches Brew in New York aufgenommen wurde, diese rhythmisch brodelnde Mixtur aus Bop und Free Jazz und Rock-Tinkturen und Elektronik. Sechs weitere Tracks geben das komplette Set des Auftritts auf der Isle Of Wight wieder. Mit Sidemen wie Chick Corea, Keith Jarrett, Dave Holland und Jack DeJohnette zeigte Miles Davis einer Rock-Crowd von geschätzten 600.000 Wahnsinnigen, dass die aufregendste Musik immer noch da stattfindet, wo der Blues nicht anwesend ist. Eine ganze (Geschichts-)Stunde auf drei Seiten von zwei 180-Gramm-LPs. Seite vier ist leer bzw. mit der Gravur eines jugendstilartigen Musters versehen.

Nach der Archivausgrabung Sound System Scratch legt das Pressure-Sounds-Label jetzt nach. The Return Of The Sound System Scratch – More Lee Perry Dub Plate Mixes & Rarities 1973-1979 (Pressures Sounds/Groove Attack) enthält 18 Tracks auf zwei LPs – entweder bislang unveröffentlicht oder exklusive Dubplate-Mixes. Dubplates waren Unikate oder in nur sehr kleinen Stückzahlen gepresste 7-Inches. Der Produzent und Studiobesitzer Lee „Scratch“ Perry stellte auf diese Weise den Soundsystems, den mobilen Discos auf Jamaika, seine speziellen Mixes zur Verfügung. Das ist nicht nur Zeugnis der frühen DJ-Culture, sondern auch die first appearance dessen, was heute als Remix bezeichnet wird. Grundlage der Perry-Mixes waren Tracks der Upsetters, die hier als Begleitband von Junior Murvin, Leo Graham, George Faith, Jimmy Riley und Jack Lord fungierten. Das ist natürlich auch auf CD erhältlich, aber wir Analog-Faschisten brauchen natürlich jeden der nicht wenigen konservierten Töne von Lee „Scratch“ Perry auf Vinyl. Unbedingt.

Weitere Neuerscheinungen:

13 & God – Own Your Ghost

31 Knots – Trump Harm

Architecture In Helsinki – Moment Bends

Bill Callahan – Apocalypse

Alela Diane – Wild Devine

Fleet Foxes – Helplessness Blues (2 LPs)

Golden Kanine – Oh Woe!

Holly Golightly & The Brokeoffs – No Help Coming

Gorillaz – The Fall

Grinderman – Evil (2 x 10″)

Holy Ghost! – Holy Ghost!

Ja, Panik – DMD KIU LIDT (2 LPs + CD)

The Kills – Satellite (12″)

LCD Soundsystem – London Sessions (12″)

Low – C’Mon (12″)

The Mountain Goats – All Eternals Deck

Morrissey – The Very Best Of (2 LPs)

Noah And The Whale – Last Night On Earth

Paul Simon – So Beautiful Or So What

Panda Bear – Tomboy

Tindersticks – Clare Denis Film Scores 1996-2009 (5 LPs)

TV On The Radio – Nine Types Of Light

Smith Westerns – Dye It Blonde

The Wombats – This Modern Glitch