Neil Young über Patriotismus


Auch auf seinem neuen Album Chrome Dreams II besingt Neil Young das große, schöne, freie Amerika. Ein Garten Eden, der eigentlich nur in seiner Fantasie existiert. Doch die will er jetzt Realität werden lassen.

Die Lokalität hat Symbolcharakter: Das Carlyle Hotel in Manhattan steht für das alte, stolze und reiche Amerika. Ein Palast aus Antiquitäten, Marmor, Plüsch, aber eben nicht heruntergekommen und verblasst, sondern frisch poliert. Wer hier absteigt, mag es gediegen – oder er hängt einer anderen Zeit nach und kann mit dem modernen, kalten Chic der Designer-Hotel-Welt gar nichts anfangen. Wie etwa Neil Young. Der hockt in einer Suite im vierten Stock, trägt ein vergilbtes T-Shirt zu Jeans und klobigen Boots und wirkt so deplaziert wie die US-Soldaten im Irak.

Du bist gebürtiger Kanadier, lebst aber seit Ende der 60er in Kalifornien. Fühlst du dich mittlerweile als US-Amerikaner?

Ich fühle mich als Weltbürger. Deshalb berühren mich Grenzen auch nicht. Für mich sind sie etwas Künstliches – und vollkommen Irrelevantes.

Wie definierst du dann Patriotismus – und inwieweit kannst du mit deiner Einstellung überhaupt welchen entwickeln?

Der Begriff ist komplett korrumpiert. Er ist zu einer Worthülse und einem Spielball von Interessen geworden. Er wird immer so interpretiert, wie es der Regierung und den Medien gerade gefällt. Was nicht nur traurig ist, sondern extrem gefährlich. Er hat dafür gesorgt, dass dieses Land in einen Krieg gezogen wurde, den es nie hätte geben dürfen und der das Ansehen der USA auf Jahrzehnte hinweg ruiniert. Und das nur, weil man uns eingetrichtert hat, dass Rache patriotisch sei. Dass man als „echter“ Amerikaner in diesen Krieg ziehen muss. Und jeder, der das angezweifelt hat, wurde als „unpatriotisch“ dargestellt. Mit diesem Patriotismus-Begriff möchte ich nichts zu tun haben. Für mich heißt Patriot sein vielmehr, das Land, in dem man lebt, zu Heben und zu respektieren und das Bestmögliche im Sinne der Allgemeinheit zu tun. Für mich hat es also eher eine soziale Komponente, und die kommt ganz ohne Politik aus. Denn die Politik sorgt sich nicht um das Wohl der Menschen – sie ist eher ihr Untergang.

Wie haben sich die USA seit den 70ern verändert?

In den 70ern waren wir eine völlig offene Gesellschaft, in der jeder sagen konnte, was er wollte. Die Presse war freier, Glaubensfragen waren offener. Da waren die Leute nicht so engstirnig in dem, was sie wie verehrten und woran sie glaubten. Es gab keinen Djihad, keinen religiösen Krieg, der ja das direkte Ergebnis von fundamentalistischem Extremismus in zwei Ländern, zwei Bevölkerungen und zwei Religionen ist. Da haben wir diese Organisation in der arabischen Welt und die Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten. Eine fürchterliche Kombination. Je schneller wir die loswerden, desto mehr Chancen haben wir auf Frieden in der Welt.

Wen unterstützt du demnach 2008 bei den Präsidentschaftswahlen? Hillary Clinton?

Ich traue ihr nicht viel zu. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie letztlich gar nicht kandidieren wird. Keine Ahnung, warum. Aber ich schätze, dass irgendwo da draußen noch jemand Besseres ist, den wir noch nie gesehen haben. Er könnte Republikaner oder Demokrat sein. Darüber mache ich mir keine Sorgen – solange er oder sie kein verfluchter religiöser Fundamentalist ist. Wir brauchen Offenheit und innere Balance. Wir brauchen keinen, der engstirnig ist und sich für Gottes Mann auf Erden hält. Die Leute müssen endlich verstehen, dass andere Kulturen eine ebensolche Existenzberechtigung haben wie unsere und dass wir sie zu respektieren und einfach in Ruhe zu lassen haben. Wir dürfen uns nicht überall einmischen und jedem unseren ideologischen Stempel aufdrücken. Gott hat jeden anders geschaffen. Wir sollen gar nicht gleich sein. Und nicht jeder folgt demselben Weg.

Und Songs zu schreiben, heißt Denkanstöße zu liefern? Einfach, indem man Fragen auf wirft?

Ich schätze schon. Solange sich die Leute Fragen stellen, finden sie auch die besten Antworten. Stell dir einfach selbst Fragen, denk darüber nach, versuche dein Leben nach deinen Vorstellungen zu leben und steh für das ein, was du für richtig hältst. Dann werden wir alle glücklicher und zufriedener sein. Es ist nur so, dass man die Leute ganz bewusst daran hindert. Wir haben Probleme in diesem Land, weil Politik und Kirche so eng miteinander verknüpft sind. Diese Regierung sagt dir, dass die andere Partei gegen den Glauben ist oder sogar keinen hat. Und die letzte Wahl zeigte, dass das eine sehr geschickte Strategie ist. Der gesamte Mittlere Westen ist darauf reingefallen.

Du spielst doch oft in der Gegend. Versuchst du da nicht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen?

Du kannst Leute nur dazu anhalten, sie selbst zu sein. Aber du kannst ihnen nicht die Angst nehmen, sich frei zu äußern und das zu tun, was sie wirklich wollen, und sich nicht von anderen, die in der Mehrheit sind, beeinflussen zu lassen. Das funktioniert nicht. Es sei denn, sie wechseln an einen Ort, wo sie selbst in der Mehrheit sind. Ansonsten bist auch du am falschen Ort – und musst dich fügen. Dabei sollte es doch so sein, dass du überall sagen kannst, was du denkst, und keine Angst dabei hast. Wenn du meinst, dass die Dinge nicht richtig laufen, sag ihnen, dass sie im Unrecht sind, akzeptiere das nicht einfach und verzweifele vor allem nicht Das Pendel wird definitiv noch mal in die andere Richtung ausschlagen. Irgendetwas wird das auslösen, und dann geht es in die komplett andere Richtung. Es kann ja nicht ewig so bleiben.

Da wir gerade von Bewegung sprechen: Du sammelst Oldtimer. Symbole einer besseren Zeit?

Für mich sind diese alten Autos ein Ausdruck von Stärke. Es sind Monumente einer Zeit, die vielleicht nicht besser war, aber in der definitiv andere Werte vorherrschten. Und dazu gehört nicht nur Qualität, sondern auch ein besonders starkes, maskulines Design. Eben Dinge mit Charakter und Vision. Und die sind in der heutigen Automobilindustrie, man könnte auch sagen in der heutigen Gesellschaft, nicht mehr existent. Da hat man jedes Gespür für Klasse und für Verantwortung gegenüber dem Verbraucher verloren. Und deshalb habe ich ein paar von meinen Autos verkauft, um einen 58er Lincoln Convertible zum Elektroauto umrüsten zu lassen. Der ist dann schneller, leiser und emissionsfreundlicher als je zuvor. Ich hänge ihn einfach über Nacht ans Netz und kann dann ohne Motor 150 bis 200 Meilen fahren.

Und was hast du damit vor?

Das Auto an sich ist ein amerikanischer Traum. Es ist groß, verschwenderisch, extravagant und sehr amerikanisch. Und ich werde einen Film darüber drehen, wie ich dieses Kunstwerk zurück nach Detroit bringe, wo es vor 60 Jahren gebaut wurde. Aber vorher werde ich damit einmal durchs gesamte Land fahren, Anhalter mitnehmen und Interviews mit ganz normalen Leuten machen. Die sind schließlich sehr unzufrieden mit General Motors und Ford und ihrem kompletten Identitätsverlust. Das wollen große Autofirmen sein, dabei hinken sie der Konkurrenz hoffnungslos hinterher. Trotzdem haben sie bislang nichts unternommen, um das zu ändern. Aber das müssen sie bald. Und dann werden wir sehen, was passiert. Bislang sind sie einfach viel zu eng mit der Ölindustrie verbunden. All das wird Teil des Films sein. Es geht um Leute, um Autobahnen und um die Kraft von Motoren. Wobei das Auto eine Metapher für Amerika ist.

Ist das deine neue Mission: Wegbereiter für gravierende Änderungen zu sein, statt sich auf andere zu verlassen?

Warum nicht? Das ist schließlich die Art, wie man das macht: Du fängst mit etwas an, andere Menschen sehen es und machen es dir nach. Und dieser Sache werde ich den Rest meines Lebens widmen. Denn ich will etwas verändern, dieses Amerika zu einem besseren Ort machen. Wenn das nicht patriotisch ist, was dann?

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