Neil Young


Die alternativen Rocker der Neunziger verliehen ihm den Ehrentitel 'Godfather Of Grunge'. Jetzt macht der Altmeister der verzerrten Gitarre gemeinsame Sache mit seinen musikalischen Ziehkindern. Das Resultat, ein Album mit Pearl Jam, läßt zusammenwachsen, was zusammengehört

Fünfzig Meilen südlich von San Francisco liegt die Half Moon 3ay. Dort — inmitten gigantischer Redwood-Bäume und nicht weit von seiner Ranch entfernt — hat Neil Young in der Kneipe „Mountain House“ vorübergehend sein Hauptquartier aufgeschlagen. Zur Promotionarbeit für sein neues Album ‚Mirror Ball‘, das er gemeinsam mit den Grunge-Heroen von Pearl Jam aufgenommen hat. Zum Interview fährt der Altmeister samt Schäferhund „Bear“ stilecht im weißen 1960er Lincoln Continental vor. Zwei Tage nach einem denkwürdigen Auftritt mit Pearl Jam im Golden Gate Park von San Francisco (Konzertkritik auf Seite 35) gibt sich Neil Young im Gespräch mit ME/Sounds erstaunlich aufgeräumt. ME/SOUNDS: In Anlehnung an den Titel des letzten ‚Star Trek‘-Films könnte man deine Zusammenarbeit mit Pearl Jam auch als ‚Treffen der Generationen‘ bezeichnen. NEIL YOUNG: Für mich bedeutete die Arbeit mit Pearl Jam einfach die Chance, ein Album mit einer guten Band, mit wirklich guten Musikern, aufzunehmen. Diese Generationen-Geschichte wird meiner Meinung nach viel zu sehr hochgespielt. In gewisser Weise denke ich sogar, daß die Jungs von Pearl Jam älter sind als ich. ME/SOUNDS: Wie das? NEIL YOUNG: Ich meine die Art, wie sie spielen. Die Musik von Pearl Jam strahlt eine Weisheit aus, die vielen der jungen Bands normalerweise abgeht. Pearl Jam haben einen ähnlichen Anspruch wie ich. Sie sind genauso von ihrer Musik überzeugt, wie ich es bin. In dieser Beziehung sind wir sehr ernsthaft. ME/SOUNDS: Wie war das, als du so alt warst wie die Jungs von Pearl Jam? NEIL YOUNG: Ich sehe verdammt viele Parallelen zwischen den sechziger Jahren und den neunziger Jahren, sowohl was die Musik angeht, als auch was das Publikum betrifft. Sicher, heute gibt es viel mehr pessi(das me/sounds interview)

mistische Musik als damals. Aber was früher galt, gilt heute noch: Diese Kids lehnen das Establishment und die alten Normen ab. Das verbindet die Musiker mit ihrem Publikum. Außerdem geht es den meisten dieser jungen Bands nicht darum, möglichst viel Kohle zu machen. Das wiederum verbindet mich mit Pearl Jam. Für viele Leute scheint es so, als wäre das eine völlig neue Haltung, dabei war’s in den Sixties schon genauso.

ME/SOUNDS: Gibt es aus deiner Sicht Ähnlichkeiten mit der heutigen Jugend, deiner eigenen Jugend in den Sechzigern und der Punk-Bewegung?

NEILYOUNG: Die Hippie-Kultur, Punk und Grunge sind die drei wichtigsten Bewegungen in der Geschichte des Rock’n’Roll. Egal ob Hippie oder Punk — in gewisser Weise wollen ja alle dasselbe. Und die Grunge-Kids sind eine Kreuzung aus Hippies und Punks. Das sind Leute, die ihre Bestürzung über das Establishment zum Ausdruck bringen. Leute, die versuchen, ehrlich gegenüber sich selbst zu sein und sich dabei einen Dreck um Zeitgenossen scheren, mit denen sie nichts zu tun haben wollen. Auf den Punkt gebracht: Sie versuchen, ihre eigene Identität zu finden und sich selbst treu zu bleiben. Und genau das versuche ich auch zu tun.

ME/SOUNDS: Im Song Tm The Ocean‘ singst du die Zeile, „Leute meines Alters tun nicht die Dinge, die ich mache“. Das hat ja wohl auch etwas mit dem Anspruch zu tun, deine eigene Identität zu finden. Aber den meisten Leuten scheint genau diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter abhanden gekommen zu sein.

NEILYOUNG: (freut sich diebisch) Wirklich? Das ist komisch. Vielleicht sind sich die meisten dessen gar nicht bewußt. ME/SOUNDS: Viele der „alten Helden“ aus den sechziger und siebziger Jahren sind inzwischen in der „Rock’n’Roll Hall Of Farne“ gelandet — in diesem Frühjahr auch du. Abgesehen davon, daß das eine Anerkennung deiner Arbeit ist, riecht sowas ja auch ein bißchen nach Museum, oder nicht? NEILYOUNG: (lacht) Ich nehme solche Ehrungen wirklich nicht ernst. Sowas ist ganz nett, mehr aber auch nicht. ME/SOUNDS: Eddie Vedder hat dich in die „Rock’n’Roll Hall Of Farne“ eingeführt. Einen Tag später standet ihr gemeinsam auf der Bühne. Wann ist euch zum ersten Mal der Gedanke gekommen, ein gemeinsames Album aufzunehmen? NEIL YOUNG: Bei der „Hall Of Fame“-Feier spielten wir ‚Act Of Love‘. Der Song klang dann so gut, daß wir beschlossen, ihn aufzunehmen. Als wir später gemeinsam ins Studio gingen, hatte ich schon einen Haufen neuer Songs geschrieben und wenig später war das Album im Kasten. ME/SOUNDS: Die Songs auf ‚Mirror Ball‘ wirken sehr intensiv und kraftvoll, aber einige Leute werden dir sicherlich vorwerfen, daß sie nicht perfekt klingen.

NEIL YOUNG: Das ist mir egal. Ich hab‘ keine Zeit für Perfektion. Das Streben danach bezieht sich sowieso nur auf technische Fähigkeiten. Aber so etwas hat absolut keine Bedeutung für mich. Mir geht es viel mehr um Gefühle, denn nur dadurch wird Musik zu Musik. Perfektionisten haben keine Zeit für Gefühle und Leidenschaft. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, perfekt zu klingen. Und das war mir schon immer egal. ME/SOUNDS: In gewisser Weise schließt ‚Mirror Ball‘ thematisch an die beiden Vorgängeralben ‚Harvest Moon‘ und ‚Sleeps With Angels‘ an. Das neue Album wirkt fast wie das dritte Kapitel desselben Buches. Ist die Arbeit an diesem „Buch“ damit abgeschlossen, oder wird es noch weitere Kapitel geben?

NEILYOUNG: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich weiß selber nicht, was da noch nachkommen wird. Für mich sind all diese Alben jeweils Schritte auf demselben Weg. Es kann sein, daß es da irgendwelche Gemeinsamkeiten gibt. Aber jeder einzelne Song ist eine Reflexion dessen, was um mich herum passiert. Viele meiner Platten kommen in Gruppen daher. Aber um das richtig beurteilen zu können, müßte ich selber mehr Abstand zu meiner Arbeit gewinnen. Ich weiß, daß es irgendetwas gibt, was meine letzten drei Alben verbindet. Aber ich kann noch nicht sagen, wie groß dieses „Etwas“ ist, wie es begonnen hat und wo es enden wird.

ME/SOUNDS: Songs wie ‚What Happened Yesterday‘ und ‚Peace And Love‘ haben inhaltliche Berührungspunkte zum Titelsong deines letzten Albums ‚Sleeps With Angels‘ — nicht nur, was die mögliche Erinnerung an den Tod Kurt Cobains betrifft… NEIL YOUNG: Ich möchte nicht über ‚Sleeps With Angels‘ reden. Ich fühle mich nicht gut, wenn ich über dieses Album sprechen muß. Vielleicht kann ich über ‚Sleeps With Angels‘ sprechen, wenn noch ein paar Jahre vergangen sind. Ich weiß es nicht. Laß‘ das Album so stehen, wie es ist. ME/SOUNDS: Ein anderer Song, ‚Fallen Angel‘, wirkt im ersten Moment ziemlich depressiv, aber letztlich strahlt er auch ein Gefühl von Hoffnung aus. NEILYOUNG: Auf jeden Fall. Er läßt Raum für Erinnerungen, aber auch für Gedanken darüber, wie man seinen Weg findet. Und das macht diesen Song so hoffnungsvoll. Eigentlich sollte ‚Fallen Angel‘ die erste Strophe für Tm The Ocean‘ werden. Dann habe ich die Passage auf der Orgel gespielt, sie entwickelte ein Eigenleben und endete als eigener Song. ME/SOUNDS: Song X‘ ist wohl der Schlüsselsong des neuen Albums. Was hältst du von dieser ganzen Diskussion über die sogenannte „Generation X“? NEILYOUNG: Song X‘, ‚Generation X‘ — das sind doch alles nur Schlagworte. Wen soll das noch hinter dem Ofen hervorlocken? Ich beteilige mich nicht an solchen Diskussionen ME/SOUNDS: Um die Veröffentlichung von ‚Mirror Ball‘ gab es einige Auseinandersetzungen zwischen deiner Plattenfirma und der von Pearl )am. Beide Companies waren scharf darauf, die Platte zu veröffentlichen. Jetzt ist das Album bei deiner Firma erschienen und der Name Pearl Jam darf darauf nicht auftauchen. Was soll dieses ganze Theater?

NEILYOUNG: Letztlich ist doch nur interessant, daß das Album überhaupt erschienen ist. Der Rest interessiert mich nicht. Es ist mir egal, wer wieviel Geld kassiert. Der Busineß-Kram betrifft sowieso nicht die Musiker. Es geht darum, eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen der Firmen zu finden. Beide Companies haben Investitionen in uns getätigt, und wer Geld in irgendetwas steckt, will natürlich auch, daß später dabei für ihn etwas herausspringt. Das ist doch ganz normal. Durch das Album sind wir ein bißchen aus dem Einflußbereich unserer Plattenfirmen geraten. Jeder wußte: Es ist Neils Platte, aber Pearl jam spielen mit. Also haben sie sich auch ein bißchen beharkt. Das Wichtigste für mich ist, daß die Reibereien der Beziehung zwischen der Band und mir überhaupt nicht geschadet haben.

ME/SOUNDS: Du genießt also eine priviligierte Stellung. Denn du kannst tun und lassen, was du willst und bekommst auch noch Kohle dafür…

NEILYOUNG: Hey, stop! Ich denke, es ist mein Recht, das zu tun, was ich tun möchte. Das Privileg besteht doch in Wirklichkeit darin, daß es genügend Leute gibt, die meine Musik hören wollen und meine Platten kaufen, so daß ich davon leben kann. Im Prinzip versuche ich nur, meinen Instinkten zu folgen, denn darum geht’s doch im Leben. Ich bin mir sicher, daß ich — wie jeder andere auch — oft genug versuche, meine Instinkte zu unterdrücken. Es gibt Meilensteine und Punkte im Leben, an denen man zurückblickt und sich Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft macht. Aber letztlich ergibt sich bei mir alles rein zufällig. Ich möchte Musik machen, weil ich mich gut dabei fühle. Und ich möchte auf Tour gehen, wenn ich Lust dazu habe.

ME/SOUNDS: Dein Auftritt zusammen mit Pearl Jam im Golden Gate Park in San Francisco verlief ungewöhnlich. Nach sechs Songs verließ Eddie Vedder die Bühne, du kamst und spieltest mit Pearl Jam minus Mr. Vedder. Das Publikum wußte zunächst nicht, wie es reagieren sollte.

NEILYOUNG: Ja, das war wirklich bizarr. Aber das Wichtigste dabei war doch, daß niemandem etwas passiert ist. Nachdem Eddie verschwunden war, gab es keine Schlägereien oder so. Insofern verlief der Gig wirklich erfolgreich. Als einer, der auf der Bühne steht, hast du ja auch die verdammte Pflicht, dafür zu sorgen, daß sich die Leute nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. Das ist das Wichtigste. Ich bin sehr glücklich, daß es so gut abgelaufen ist. ME/SOUNDS: Was war das für ein Gefühl, vor so vielen Kids auf der Bühne zu stehen, die ja überwiegend nur wegen Pearl Jam gekommen waren?

NEILYOUNG: Ich habe mich noch ein bißchen komischer gefühlt, als ich mich normalerweise vor meinen eigenen Konzerten fühle. Es gab ja dabei wirklich nichts, auf das ich hätte bauen können. Die meisten dieser Kids kennen ja meine Songs gar nicht, nicht einmal die Hits. Es ist etwas anderes, ob die Leute auf dich warten, oder ob du für jemand anderen einspringst. Sowas ist mir bisher noch nie passiert. Ich wußte nur, daß ich unbedingt weiterspielen mußte. Einiges hat großartig geklappt, bei anderen Sachen habe ich mich gefragt, was ich eigentlich hier tue. Alles in allem war es schon ein seltsames Gefühl: Die meisten Leute standen da und hörten diese Songs zum ersten Mal.

ME/SOUNDS: Du kommst im August für einige Konzerte nach Europa. Mit welchen Musikern wirst du spielen? NEILYOUNG: (grinst) Mit den gleichen, mit denen ich auch das Album aufgenommen habe: mit Pearl Jam.