Neil Young


50 Jahre und kein bißchen leise: In einem Alter, in dem andere schon langsam abbauen, gibt er erst richtig Gas. Mit seinem eigenen Plattenlabel, der Filmmusik zu 'Dead Man' und einem neuen Album mit seiner Band Crazy Horse läßt Neil Young auch 1996 die jüngere Konkurrenz ziemlich alt aussehen. ME/Sounds traf den scheuen Superstar zum offenen Gespräch.

Vorfrühling in Nordkalifornien: Die Mittagssonne scheint noch schwächlich vom blauen Himmel als Neil Young im ebenso blauen Oldtimer vor dem ‚Mountain House Restaurant‘ vorfährt. Hier in der rustikalen Waldhütte inmitten der Redwood-Idylle südlich der hektischen Metropole San Francisco, bittet Herr Young ME/Sounds exklusiv zur Audienz. Neil Young sieht aus wie immer: graues Haar, sehr hohe Stirn, Stoppelbart, schwarze Jeans, offenes Schlabberhemd und Sonnenbrille. Aber er ist verdächtig gut aufgelegt. Überhaupt wirkt der Bilderbuch-Griesgram aufgeräumt wie nie zuvor. Jetzt, mit 50, kann Neil Young sogar lachen. Kein Wunder. Wer wie er den uneingeschränkten Segen der gesamten Musik-Hörerschaft genießt, wer vom Mainstream-Publikum ebenso geliebt wird wie von den echten und den selbsternannten Meinungsführern, wer von den alten Hippies ebenso als gottgleiches Wesen verehrt wird wie von den Grunge-Kids hat es leicht, über den Dingen zu stehen.

Aber Onkel Neil bewegt die Hände nicht, zumindest nicht, um den mittäglichen Trubel im ‚Mountain House‘ zu unterbrechen. Er ist einfach gut drauf. Zumindest an diesem Tag wirkt er so, als habe er einen Schluck zuviel aus dem ewig sprudelnden Quell der Kreativität genommen. Ja, stimmt“, lacht der 50jährige, „ich habe festgestellt, daß ich immer kreativ bin. Und selbst wenn nichts dabei herauskommen sollte, ist das auch nicht weiter schlimm. Ich muß mir auch nichts aus den Fingern saugen. Wenn nichts passiert, dann passiert eben nichts. Das soll mir auch recht sein. Ich kann warten.“ Lange braucht Neil Young bei seinen Versuchen, kreativ zu sein erfahrungsgemäß auf Ergebnisse nicht zu warten, weil immer etwas dabei herauskommt.

Jüngstes Beispiel: die Filmmusik zu ‚Dead Man‘. Für den surrealistischen Western des Kult-Regisseurs Jim Jarmusch hat Kult-Rocker Young die Musik komponiert, oder besser improvisiert (siehe Interview auf Seite 33). Dabei entstanden mit Gitarre, Orgel und Piano morbide Soundlandschaften – impressionistische Schwarzweiß-Klänge, die überhaupt nicht zu dem Neil Young passen wollen, der noch im vergangenen Jahr zusammen mit Pearl Jam wildrockend über ausgewählte europäische Konzertbühnen wirbelte. Ist der alte Young als Soundtrackmacher, frei von jeglichen kommerziellen Zwängen, wieder einmal seinem Image als unberechenbarer musikalischer Querkopf gerecht geworden? Fast schon schelmisch entgegnet er: „Ich habe nur das gemacht, was mir in den Sinn gekommen ist.“ Ein Satz, der als Leitmotiv über Youngs gesamter Karriere stehen könnte und mit dessen praktischer Umsetzung seine Plattenfirma wohl auch in Zukunft zähneknirschend leben muß.

Denn die würde am liebsten gar nicht so viel Wirbel um den Soundtrackbeitrag veranstalten, weil der eine Spur zu gewöhnungsbedürftig ist. ‚Warner Bros.‘ hätte es lieber gesehen, wenn Young wieder eine kommerzielle Platte wie ‚Mirror Ball‘ abgeliefert hätte, anstatt der schwer verdaulichen Kost ‚Dead Man‘. Die marketing-geschulten Herrschaften in der Führungsetage der Firma glauben, daß der Soundtrack zum Jarmusch-Film dem gemeinen Plattenkäufer die Lust auf Neil Young bis in alle Ewigkeit verderben könnte. Selbst dann, so die Überlegung der Plattenbosse, wenn Neil wieder ein „richtiges“ Rock-Album abliefert, könnte der vom ‚Dead Man‘ verwirrte Fan den Weg in den Laden überhaupt nicht mehr finden. Zugegeben, der Gedanke ist nicht abwegig. Der Rock-Hörer ist konservativ. Er kauft lieber, was er schon kennt. Und nur so ist zu erklären, weshalb Bands wie die Beatles, die Rolling Stones und Queen im Winter 95/96 wochenlang die Charts anführten.

Warum? „Ich habe gedacht, es ist jetzt an der Zeit für eine gute Plattenfirma. Und ich weiß, daß wir talentierte und gute Bands haben werden, für die der Rock’n’Roll gleichbedeutend ist mit Aufrichtigkeit und Leidenschaft. Solche Acts zu fördern, darin sehe ich unsere Aufgabe.“ ‚Dead Man‘ war die erste Veröffentlichung des jungen Young-Labels. Nächster ‚Vapor‘-Release soll das Debütalbum der Newcomerband The Customers sein, und im Sommer will ‚Vapor‘ ein neues Album des legendären New Wave-Exzentrikers Jonathan Richman (‚Egyptian Reggae‘, ‚Roadrunner‘) veröffentlichen. Und das war’s dann auch schon in diesem Jahr. Denn, so Neil Young, „wir wollen nicht zu viele Platten rausbringen, vielleicht drei bis vier pro Jahr. Es soll sich alles im Rahmen halten.“ Inwieweit ist Neil Young persönlich in die Arbeit des Labels involviert? Geht er tagsüber mit Anzug und Krawatte ins Büro und kramt am abend Karohemd und Gitarre hervor, um sich bei ein bißchen Feedback zu entspannen?

„Oh nein, ich bin kein Geschäftsmann. Ich halte mich im Hintergrund. Aber ich behalte mir die Möglichkeit vor, mich jederzeit ein- oder auszublenden. Jeder Mitarbeiter der Firma weiß, daß er sich in allen Dingen auf mich verlassen kann. Das ist unsere Philosophie.“ Zur Label-Philosophie gehört auch, daß sich der Boß bei den Signings der Acts zurückhält. Aber die Bands wird er sich doch zumindest anhören?

Komisch, Neil Young der als maßgebend in allen Zweifelsfällen der Rock-Musik gilt, als einer, der ganz genau mit den Mechanismen von Kultur und Gegenkultur vertraut ist, behauptet keine neue Musik zu hören? Ein Denkmal wankt. Dennoch, aus seinen Worten spricht die reine Begeisterung über die wiedererwachte Rockszene der neunziger Jahre. Wenn auch bei Neil Young dabei der Vergleich mit den sechziger Jahren und damit ein leichter Hauch von Vergangenheitsverklärung mitschwingt. Sein ’95er-Album ‚Mirror Ball‘ war nicht umsonst eine einzige, große Hommage an die 60er, eine Hommage, die gehässige Zeitgenossen unter der Rubrik „früher war alles besser“ ablegen. Die 60er Jahre – Stichwort für Neil Young, um über sein Lieblingsthema, die Ähnlichkeit zwischen seinem bevorzugten Jahrzehnt und der Gegenwart zu philosophieren. „Musikalisch ist die Popkultur der Neunziger wahrscheinlich zum ersten Mal wieder so lebendig wie in den Sechzigern“, orakelt Young. „Ich glaube, daß in der Musikszene gerade etwas passiert, daß es lange nicht mehr gegeben hat. Es ist schön, das zu beobachten, und ich bin froh, daß es wieder da ist. Aber was dieses Es eigentlich ist, weiß ich selbst nicht so genau, (lacht) Ist aber auch egal, denn wen interessiert schon, wie man etwas nennt, solange es nicht sofort wieder verschwindet.“ Da muß Neil Young von den musikalisch kargen 8oern ziemlich frustriert gewesen sein… „Na ja, ich war schon ziemlich desillusioniert von dem, was da ablief. Wenn man es genau betrachtet, ging diese Entwicklung eigentlich schon in den späten Siebzigern los. Aber dann kam die Kehrtwende vor etwa zwei oder drei Jahren dank der kleinen Bands und Szenen. Vinyl war plötzlich wieder da. Auf einmal machten die Leute wieder Singles, und man stellte überrascht fest, daß die Vinylplatten einen viel besseren Sound haben als CDs, die man zu kaufen praktisch gezwungen war. Und wir aus den 6oern, 7oern und 8oem, wir uns mit den CDs abgefunden hatten, kamen uns vor wie Milliarden von Fischen, die verseuchtes Futter fressen mußten. Milliarden von Fischen fraßen wie gewohnt ihr Futter, und plötzlich entwickelte sich eine kleine Gegenkultur, die nur noch gesundes Futter wollte, die sagte: ‚Guck‘ dir die da drüben an, die denken, sie fressen echtes Futter.‘ So ungefähr müssen die neuen Bands über die Musikindustrie denken.“ Neue Bands? Wir wissen jetzt, daß Young keine neuen Bands hört. Da muß auf ihn eine mittelalte Band wie Pearl Jam wie frisch aus der Garage entsprungen gewirkt haben. „Ich habe wirklich gern mit Pearl Jam gespielt.“ Was aber kein Grund ist, die Zusammenarbeit zur festen Einrichtung zu machen. „Wir haben keine konkreten Pläne. Das bedeutet aber nicht, daß wir nicht wieder etwas zusammen machen würden. Mir geht es darum, Musik zu machen. Ich spiele gern mit Pearl Jam und ich spiele gern mit Crazy Horse.“ Stichwort: Crazy Horse. Im Juni soll es wieder ein Album mit seiner langjährigen Begleitband geben.

Auf dem bisher namenlosen Album mit Crazy Horse ließ Neil Young zum ersten Mal seine Mitmusiker – Gitarrist Frank Sampedro, Bassist Billy Talbot und Drummer Ralph Molina – eigene Songs schreiben. Als die Sprache auf das Album und eine mögliche Tour kommt, wird Young wieder zu dem wortkargen Miesepeter, den man zu kennen glaubt. Wird’s eine Tour geben? „Ja.“ Wann? „Im Sommer.“ Nur in den Staaten? „Weltweit.“ Egal, ob er zusammen mit Crazy Horse oder Pearl Jam spielt, oder alleine wie bei ‚Dead Man‘ – zur Zeit spielt bei Neil Young wieder mal die elektrische Gitarre die erste Geige. Was ist dran, am Sound der E-Gitarre? Neil Young muß nicht lange überlegen, um die Antwort zu finden: „In gewisser Hinsicht ist es ein kaputter Sound. Aber er ist stark, und das hat eine Menge für sich. Nimm nur mal ‚Star Wars‘, das ist ein klasse Film, obwohl die Raumschiffe ramponiert sind. Das hat die Zuschauer irgendwie mehr beeindruckt als die perfekten Raumschiffe, die man sonst immer in Science Fiction-Filmen sieht. Mit der Gitarrenmusik ist es ähnlich. Deshalb wirken Verzerrungen so gut. Solange man sauber spielt, kann man so viel verzerren, wie man lustig ist. Man kann zwischen den Extremen wechseln, und das ist eine ziemliche Spannbreite. Das macht mir Spaß und funktioniert für meine Musik.“

Reichlich Young-Musik verspricht die mehrere CDs starke Retrospektive, die seit Jahren als großangekündigtes, aber immer wieder verschobenes Projekt durch den Blätterwald rauscht. Natürlich: Ein Veröffentlichungstermin steht immer noch nicht fest. Neil Young lacht: „Ich arbeite inzwischen so lange daran, daß es für mich so eine Art Lebensstil geworden ist. Ich mache das nur so nebenher. Aber es ist eine schöne Beschäftigung, weil sie mich durch mein Leben führt. Ich setze mich hin und höre mir ein ganzes Album oder die Musik aus einer Zeitspanne von zwei oder drei Jahren an einem Tag an, und manchmal hat das eine seltsame Wirkung auf mich. Dann nehme ich mir meine Gitarre und warte ab, was passiert. Das kann sehr interessant sein.“