Nach einem Tief katapultiert sich Bruce Springsteen wieder in die Charts


Er galt lange als Prototyp des Rockers ohne Fehl und Tadel, der sich auf der Bühne bis zum letzten Schweißtropfen verausgabte und die Charts der Welt nach Belieben beherrschte. Doch die heile Welt des Superstars trog, seine glanzvolle Karriere geriet in den Sog privater Probleme. Die Folge: Der Boss unterzog sich einer Therapie. Erst mit dem Oscar dekorierten Hit zum Film „"Philadelphia" gelang dem 44jährigen ein grandioses Comeback.

„And the Oscar goes to… Bruce Springsteen!“, kreischte am 21. März 1994 Whitney Houston enthusiastisch ins Mikrofon. Kameraschwenk -— der Boss im Bild. Obwohl er sich für diesen Anlaß fesch herausgeputzt hat, anstelle eines sonst üblichen, karierten Baumwoll-Hemdes ausnahmsweise mal edlen Zwirn trägt, wirkt er inmitten der hehren Schar von Hollywood-Stars und Sternchen wie etwa Hella von Sinnen beim Abschlußball der Tanzschule. Und auch als ihm die über beide Backen lachende Whitney die goldene Oscar-Statue in die Hand drückt, und er zum Dank eine kurze Ansprache nuschelt, wird eines klar: Bruce Springsteen ist trotz seines Umzuges in die sonnige Glitzerwelt von Los Angeles im Grunde seines Herzens der nette Junge aus New Jersey geblieben.

In seinem 14 Millionen Dollar teueren Haus, in den Hügeln der kalifornischen Metropole, fühlt er sich zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Patti Scialfa und den Kindern Evan James und Jessica Rae dennoch pudelwohl: „Los Angeles ist viel anonymer als New Jersey. Da sagen die Leute schon mal ,Hi!‘, lassen dich dann aber auch sofort wieder in Ruhe. In New Jersey dagegen fühlte ich mich zuletzt wie der Weihnachtsmann am Nordpol“, erklärt er den Ortswechsel. Das mag für kurze Zeit lustig sein, langfristig aber führte der Kult um seine Person schnurstracks in eine schwere Identitätskrise. Springsteen: „Die Leute halten dich schließlich für jemanden, der du im Grunde genommen gar nicht bist. Der ganze Macho-Schwachsinn zum Beispiel. Das geht dann so weit, daß du dir selbst nicht mehr sicher bist, wer du eigentlich bist. Du hast das Gefühl, du bist nur noch das Objekt deiner eigenen Einbildung. So ging es mir zumindest in den letzten Jahren in New Jersey.“

Das hatte Konsequenzen: Koffer packen und ‚Let’s go West‘. „Ich mag den Westen, und ich mag Los Angeles -— trotz der Erdbeben! Es ist einfach eine unglaublich lebendige Stadt. Du lebst einerseits in einem riesigen Moloch mit rund zehn Millionen Einwohnern, andererseits kannst du dich aber auch in dein Auto setzen und nach 30 Minuten in den Bergen sein. Und dort findest du, wenn’s hoch kommt, am Ende jeglicher Zivilisation vielleicht noch einen Krämerladen im Umkreis von 100 Meilen vor.“

Mit dem Umzug in wärmere Gefilde war’s alleine freilich nicht getan, wie der 44jährige Musiker ohne Umschweife bekennt: „Ich unterzog mich für ziemlich lange Zeit einer Therapie. Das war das Beste, was ich tun konnte. Dabei habe ich alles in Frage gestellt: Warum singe ich? Was sage ich ? Meine ich das, was ich sage, auch wirklich ernst? Oder will ich nur, daß mich alle Leute dieser Welt für den beliebtesten Mitmenschen halten? Und so weiter. Das ging richtig an die Substanz, half mir aber, mich wieder zu finden.“

Er fand im Laufe der therapeutischen Sitzungen auch noch einen anderen Springsteen als nur den Musiker. Eine Figur, die seit seiner Jugend aus seinem Persönlichkeits-Profil gleichsam wegretuschiert worden war. Die Sucht, Musik machen zu müssen, hat er nun endlich unter Kontrolle bekommen. „Heute weiß ich. daß zwei Tage in meinem Leben entscheidend waren: An dem einen nahm ich die Gitarre in die Hand, am anderen lernte ich sie wieder wegzulegen. Letzteres war ein weitaus schwerer Schritt“, weiß er heute und liefert dazu auch noch den Beweis: „Meine Konzerte dauerten nicht deshalb oft fast vier Stunden lang, weil ich das irgendwie geplant hatte, sondern weil ich einfach nicht aufhören konnte zu spielen. Ich mußte so lange weitermachen, bis ich völlig ausgebrannt, völlig am Ende war.“ Was dem Publikum weltweit die ultimative Rock ’n‘ Roll-Vollbedienung bedeutete, war für Bruce Springsteen ein kontinuierlicher Prozeß der allmählichen Auszehrung und Selbstzerstörung.

Seine in die Brüche gegangene, erste Ehe mit dem Model Julianne Phillips war nur eines der Opfer von Springsteens fataler Besessenheit. Die Narben der Scheidung sind längst gut verheilt. Dennoch aber deuteten seine letzten beiden, gleichzeitig veröffentlichten Alben „Lucky Town“ und „Human Touch“ an, daß längst nicht alles vollständig aufgearbeitet war. „Jeder, der eine Scheidung durchgemacht hat, weiß, wie schmerzvoll und langwierig dieser Prozeß ist“, sagt Springsteen und legt bei der Erinnerung die Stirn in tiefe Falten. Obwohl „Lucky Town“ und „Human Touch“ sowohl bei Kritikern als auch beim treuen Fan häufig Unverständnis und Ablehnung ernteten, kann sich der am 23. 9. 49 im Bundesstaat New York geborene Bilderbuchrocker auch zwei Jahre später immer noch mit den Songs der zwei Alben identifizieren. „Beide Alben entstanden auf extrem unterschiedliche Weise“, erklärt er, „‚Human Touch‘ wurde eindeutig von der Zeit während meiner Therapie geprägt. Ich war lange völlig unfähig, kreativ zu arbeiten. Bei jedem neuen Versuch, einen Song zu schreiben, landete ich bei einer drittklassigen ,Tunnel Of Love‘-Adaption. Schließlich kam mein Keyboarder Roy Bittan mit einigen seiner Kompositionen an. Die inspirierten mich, und so nach und nach ging’s wieder. Trotzdem arbeitete ich monatelang an dem Album. ‚Lucky Town‘ dagegen schrieb und nahm ich in knapp drei Wochen auf. Es war das Album, das meine Jetzt-Situation beschrieb, ,Human Touch‘ war für mich dagegen eine einzige, schwierige Vergangenheitsbewältigung. „

Vor diesem Hintergrund konnte Bruce auch die eher bescheidenen Umsätze und lauwarmen Kritiken verschmerzen, die die Alben ernteten. Außerdem weiß er: „Das alles gehört zum Spiel der Medien. Wenn du einmal weniger Erfolg hast, prügeln die Medien sofort auf dich ein. Das hilft ihnen, Zeitschriften zu verkaufen. Und deshalb kann ich schlechte Kritiken auch nicht ernst nehmen, und schon gar nicht persönlich.“

Richtig sauer wird Springsteen allerdings auf die Praktiken des kleinen britischen Labels „Dare International“. Der Grund: Die Firma hat sich darauf spezialisiert, die Rechte von bislang unveröffentlichtem Material namhafter Acts zu erwerben und in Kompilation-Form zu veröffentlichen. Wie zum Beispiel die 23 Songs starke Springsteen-Zusammenstellung „Prodigal Son“. Die Veröffentlichung der Doppel-CD (bestehend aus alternativen Versionen von Songs der ersten beiden Springsteen-Alben und bislang unveröffentlichtem Material) versucht Springsteen in jedem Fall zu unterbinden. Vielleicht aber entschließt sich der frischgebackene Oscar-Preisträger auch zu einem neuerlichen Soundtrack-Engagement. Denn bei „Philadelphia“ winkte Springsteen zuerst einmal dankend ab: „Erst als ich das Drehbuch von Jonathan Demme las, gab ich mein Okay für den Track. Ich ging dann ein paarmal zum Drehset. Auf einmal bekam ich einen sehr engen Bezug zum Film. Ich schrieb Tom Hanks ‚Streets Of Philadelphia‘ förmlich auf den Leib.“