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Nano-Revivals, die; Der Pop gibt nichts mehr her, und was er doch einmal verloren hat, das sammelt er bald wieder ein, poliert ein bisschen nach und stellt es wieder ganz nach vorne in die Auslage. So schubst ein Revival das andere durch die Popgeschichte. Alsbald gibt es alle Stile, alle Posen, alle Launen, jede Musik gleichzeitig. Ein Indiz dafür ist das gehäufte Auftauchen (von uns) so genannter Nano-Revivals – sprich: Eine Band oder ein Künstler veranstaltet ihr/sein eigenes Revival ganz ohne Welle. The Darkness, The Ark, die Dresden Dolls sind hierfür gute Beispiele der jüngeren Vergangenheit. Und auch 2006 wurde fleißig wiederbelebt: Die Pipettes zündeten ihr privates 6o’s-Girl-Group-Klischee-Feuerwerk, die zumindest in Sachen Style entfernt verwandten Puppini Sisters kochten ihr eigenes Andrew-Sisters-Revival (aalglatte Blondie-, Smiths– und Kate-Bush-Coverversionen inkl.), und die australischen Wolfmother huldigten aus dem Nichts dem Hard- wie dem harten Schweine-Rock. Auch Nano-Revivalisten wie die Scissor Sisters (70’s-Discopop-Revival), der lustige Sportfreunde-Stiller-Nebenjob Tiptop (Hubert-Kah-Revival), Meister Dendemann (Hamburg-HipHop-Revival; wobei er ja nichts dafür kann, dass alle anderen umgeschult haben), die New-NewromantikerPanic! At The Disco, Arrested Development (Agrar-HipHop-Revival) usw. genießen einen klaren Vorteil: Wenn einer schaut, dann schaut er nur auf sie!

Nazis, die; NPD im Landtag? Das kann in Sachsen und Mecklenburg schon mal Vorpommern. Und im Rest der Republik? Insgesamt soll laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung die Zahl der Menschen mit „geschlossenem rechtsextremistischem Weltbild“ in Deutschland von 40.700 auf 39.000 zurückgegangen sein. Wobei nicht übersehen werden darf, dass sich die NPD vor allem in strukturschwachen Gebieten im Osten durch soziale Basisarbeit immer besser etabliert – und dort als „Anwältin der kleinen Leute“ zunehmend Funktionen übernimmt, die früher mal von der SED ausgefüllt wurden. Weshalb die Hemmschwellen sinken: Als der Liedermacher Konstantin Wecker in Halberstadt ein Konzert unter dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ angekündigt hatte, drohte der örtliche NPD-Kreisvorsitzende, dass er „aktiv an der Veranstaltimg teilnehmen “ werde – das Konzert musste abgesagt werden. Ein Versuch der NPD allerdings, im niedersächsischen Delmenhorst ein Hotel als Tagungsstätte für die rechte Szene zu kaufen, scheiterte am Widerstand der Bürger. Zwar wird derzeit mal wieder ein Verbot der von verdeckten Verfassungsschützern unterwanderten Partei gefordert. Aber womöglich sollte man die traurigen Gestalten nur machen lassen – und sie erledigen sich selbst. Große Sprünge sind erstmal nicht zu erwarten: Wegen einer Spendenaffäre ist die NPD derzeit finanziell in einer „sehr ernsten Lage“.

9/11 im Kino; Unmittelbar nach dem 11. September 2001 hatte es noch geheißen, dass sich Hollywood nie an die Ereignisse dieses Tags heranwagen würde. Nie, so wissen wir jetzt, dauert exakt fünf Jahre: Gleich zwei Filme thematisierten die Anschläge: FLUG 93 zeigte das kollektive Versagen an den zentralen Stellen in dokumentarisch präzisen Bildern, während WORLD TRADE CENTER (Foto) mit viel

Pathos die Funktion von Wundsalbe für eine waidwunde Volksseele übernahm. Es darf gerne wieder fünf Jahre dauern, bis die nächsten Filme zum Thema gemacht werden.

No-Go-Area, die; Uwe-Karsten Heye war mal Pressesprecher von Bundeskanzler Schröder, später Vorstands Vorsitzender des Vereins „Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland“, und in dieser Funktion sagte er am 17. Mai im Deutschlandradio einen folgenschweren Satz: „Es gibt kleine und mittlere Gegenden in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen“. Kurz zuvor war in Potsdam ein Deutsch-Äthiopier angegriffen worden, und vermutlich prophezeite Heye deswegen, Dunkelhäutige würden „diese Orte möglicherweise lebend nicht mehr verlassen“. In einem Land, das sich der Welt 23 Tage vorder -> Fifa™ WM™ 2006™ noch als sonniger Fußballplatz präsentierte, löste der Hinweis auf die schattigen Stellen einen Sturm der Entrüstung und – im Ausland – der Besorgnis aus. Kaum war dem Nestbeschmutzer Heye quer durch alle Parteien eine „Verunglimpfungganzer Regionen“, Realitätsverlust und Vaterlandsverrat vorgeworfen, da wurde schon das erste Spiel angepfiffen-und von No-Go-Areashatman seitdem nie wieder etwas gehört.

Nu Emo; So abgrundtief gehasst wie Kevin Federline wurden dieses Jahr nur die „Emos“. Für das teuflische Datum —666 hatten leidenschaftliche Anti-Emos gar zum „National Emo Kid Beatdown Day“ aufgerufen, weshalb man als Fan von Bands wie Panic! At The Disco und My Chemical Romance gut beraten war, am 6. Juni mit Mütze aus dem Haus zu gehen. Aber Moment – Panic! At The Disco? My Chemical Romance? Soll das Emo sein? Diese Frage wurde 2006 in Foren und Gästebüchern verbissen diskutiert, da es über die genaue Bedeutung des Wortes Emo keinen Konsens gibt. Fakt ist, dass das Genre und alle Bands, die im weitesten Sinne dazugezählt werden konnten, gehörig polarisiert haben – in englischen Zeitungen wurde gar von einem „gefährlichen Teenage-Kult“ gesprochen, der die Jugend in den Selbstmord treibe. Die Emo-Bands selbst – die man gewöhnlich daran erkennt, dass sie immerund überall bestreiten, „Emo“ zu sein -zeigten sich zum Glück weitgehend unbeirrt: My Chemical Romance veröffentlichten mit THE BLACK PARADE ein höchstambitioniertes Album und Panic! At The Disco gewannen den MTV Award für „Video Of The Year“, tourten mit den Dresden Dolls und coverten bei Konzerten recht gekonnt Radiohead.

Null; magische Zahl. Weniger ist mehr, und am besten ist dann wohl logischerweise … gar nichts? Coca-Cola reagierte auf 120 Jahre Anwürfe, ihre Limo mache dick, mit der Markteinführung der zucker-und beinahe kalorienfreien Flüssigkeit „Coke Zero“. Und lag damit im Trend: „Schlankheitswahn!“ war im Frühjahr das Top-Schlagwort für heuchlerische Empörung des Boulevards, seit die Pro7-Show „Germany’s Next Topmodel“ angeblich reihenweise junge Frauen in die Magersucht trieb. Moderatorin Heidi Klum konterte, sie stimme die Modelle in spe lediglich auf die harten Realitäten des Modebusiness ein. Und da ist nun mal die eigens erst geschaffene Kleidergröße „zero“ angesagt, angestrebt von Starlets und „role modeis“ wie Nicole Richie, Lindsay Lohan, Mischa Barton und Kate Bosworth, gern unter Zuhilfenahme der Schlankheitsgruselpille Clenbuterol. Als Satanas der Szene gilt Insidern die ultra-angesagte Stylistin Rachel Zoe (Boho – Look), unter deren Fittiche zu geraten offenbar gesundheitsgefahrdend ist. Eine bislang recht einsame Reaktion gegen den Magertrend war die Entscheidung der Madrider Fashion Week im September Models mit einem Bodymass-Index von unter 18 nicht zuzulassen. Mitte November starb das brasilianische Model Ana Carolina Reston (21) an einer Infektion infolge ihrer Magersucht. Schert’s die Betreiber und Protagonisten der globalen Glamourmaschinerie? Irgendwie null.