My Bloody Valentine
Barrowlands, Glasgow
Fortsetzung der langersehnten Rückkehr: My Bloody Valentine spielen eine kurze UK-Tour durch ausverkaufte große Hallen: Heidenlärm, Heidenspaß.
Dass Kevin Shields beim Auftakt „I Only Said“ tatsächlich singt, ist zunächst nur eine Vermutung. Denn die Stimme lauert irgendwo hinter dieser Wand aus Gitarren: Mehr als ein Dutzend Verstärker hat Shields in seinem Rücken auftürmen lassen. Die Dinger wiegen zusammen eine halbe Tonne – man spürt dieses Gewicht, wenn in den ersten Minuten des Konzerts das Innenohr überflutet wird. Das Stück ist halb vorbei, dann erst schälen sich Stimme und Melodie heraus. Viele der rund 2 000 Menschen im ausverkauften alten Glasgower Ballsaal Barrowlands lächeln still in sich hinein: Hören mit Schmerzen – aber so schön! Ein paar wenige verstehen diese Freude nicht. Sie flüchten früh nach unten in die abgeschiedene Bar. „Ich blicke da nicht durch“, sagt einer im Muse-T-Shirt.
Wer an diesem Abend Klarheit sucht, ist fehl am Platz. 90 Minuten lang spielt die Band, 17 Songs. Doch man weiß auch hinterher nicht: Hat Kevin Shields Spaß an dieser Sache? Oder bereut er die Reunion längst, weil er sich nun wieder mit Monitorboxen und kaputten Kabeln beschäftigen muss, statt weiterhin denkbar unabhängig an neuen Songs und Sounds zu arbeiten? Immerhin: Die Setlist ist ein Wunschkonzert. Drei Songs vom neuen Album mbv, dazu alle Klassiker von LOVELESS sowie die zuckersüßen Hymnen von ISN’T ANYTHING und rasante Versionen, bei denen Schlagzeuger Colm Ó Cíosóig zeigt, wie nahe dieser ursprüngliche Shoegazer-Sound dem Punkrock und Powerpop steht. Bilinda Butcher, Sängerin und zweite Gitarristin, sieht daneben aus wie die netteste Lehrerin der Welt. Auch Krachkomplize Shields versprüht äußerlich keinerlei Bedrohung: Zu Beginn grüßt er mit einem scheuen „Hallo“, am Ende winkt er kurz und ist ansonsten damit beschäftigt, diesen Tornado zu organisieren.
Das Hauptproblem: Bei My Bloody Valentine ist fast nichts digital. Jede Verzerrung, jeder Hall werden von analoger Elektronik erzeugt, wobei diese Effekte so einfach zu zähmen sind wie Welpen. Kevin Shields ist der Dompteur – und wehe, einer dieser jungen Hunde macht nicht, was er will, dann bekommt der Tontechniker auf der Bühne was zu hören. Gerne würde man einer dieser Ansagen an den Mann am Bühnenrand lauschen, doch man hat genug damit zu tun, sich in den kurzen Pausen auf den nächsten Sturm vorzubereiten. Am heftigsten weht es beim Krach-Intermezzo von „You Made Me Realise“: 40 Sekunden lang dauert das Zwischenspiel auf Platte, live verlängert die Band das Schauspiel auf fast acht Minuten. Egal, ob man die empfohlenen Ohrstöpsel trägt oder nicht: Jeder denkt, dass hier gleich etwas platzen muss. Tut es aber nicht. Als es vorbei ist, macht Kevin Shields einen Witz: Er holt Colm Ó Cíosóig von seinen Drums weg, damit er für das aberwitzige letzte und neue Stück „Wonder 2“ eine dritte Gitarre spielt. Vier weitere Amps werden dazugeschaltet; die Gitarren klingen nun wie eine Billion Hummeln im Stimmbruch. Danach muss sogar Kevin Shields lächeln.
Setlist
I Only Said
When You Sleep
New You
You Never Should
Honey Power
Cigarette In Your Bed
Only Tomorrow
Come In Alone
Only Shallow
Thorn
Nothing Much To Lose
To Here Knows When
Slow
Soon
Feed Me With Your Kiss
You Made Me Realise
Wonder 2