Morrissey – You Are The Quarry


So hat man sich das vorgestellt, und wenn es Stephen Morrissey nicht gäbe, müsste man ihn dafür erfinden: Jahrelang tingelt die letzte Diva der Popmusik in der Diaspora herum, signiert in mexikanischen Einkaufszentren zehn Jahre alte Flop-Alben, lässt sich von missgünstigen Moralaposteln mit Richterperücke als Superdrecksau bezeichnen, trinkt starstruck schweigend Tee mit „richtigen“ Stars wie den Sparks und äußert auf Fragen nach einem neuen „Output“ nur ein wehmütiges Lächeln über die Volltrottel, die ihn einst nicht mehr in ihrem „Roster“ haben mochten, weil sie lieber mehr S-Club-7-Platten verkaufen wollten. Ein paar Einsame und Verwegene sitzen in ihren Herbstzimmerchen. hören „Nobody Loves Us“ und fragen die vertrockneten Blumen auf dem Fensterbrett, warum so was niemand mehr machen mag oder kann. Und dann – trara! – tönen die Posaunen immer lauter, ein kollektives Zitterschaudern erfasst die „Gemeinde“, Monate des plappernden Geduldens enden mit einem lauten „Plumps!“: Da ist das neue Morrissey-Album, von dem, als es noch lange nicht zu hören war (es gibt da gewisse plumpe und doofe, aber wirksame Strategien zum Neugiersteigern), jedermann schon wusste: Es ist, nun endlich, sein bestes (und zwar nach ein paar Ausrutschern auf dem absteigenden Ast, wie man flugs hinzufügte, weil das alle sagten und man nie Zeit gefunden hatte, die Platten selber zu hören)!

Nein. You Are The Quarry ist nicht Morrisseys „bestes“ Album (was, zum Beispiel, wäre denn Claude Monets „bestes“ Gemälde?) – aber erstens ein typisch koinzidentales und markantes Zeitzeichen, zum Beispiel ganz nebenbei, via Neugriindung des Attack-Labels auch an die Plattenindustrie, deren debil-inertes Irren und Wirren in den letzten Jahren so lange immer neue atemberaubende Abgründe erreicht hat, bis die Zeit endlich gereift war, ihr etwas entgegenzusetzen, so eine fingerschnippende Geste. Abgesehen davon ist You Are The Quarry aber selbstverständlich ein großartiges Album: Dass in Zeiten, wo aus allen Nischen und Ecken entweder pseudorandalischer Billigklumpatsch von hastig zusammengecasteten The Unoriginal Rinnsteinnachzüglern oder pseudo-sensibel-verschrobenes Haarschuppen-Hobbyraum-Autistengeschrammel flutet, noch jemand solch große, schöne, gute Songs zu schreiben imstande ist, macht Hoffnung und Freude, zumal wenn es jemand ist, der uns daran erinnert, dass es früher mal außer Robbie Williams noch andere Stars gab. Die Platte hat aber halt auch ihre Schwächen: Ein paar Songs sind, bei aller Wirksamkeit, zu leicht berechenbar; ein paar Texten fehlt der geniale poetische Wendepunkt, ein paar dieser provozierenden Wendepunkte wirken arg absichtlich hingebogen, und im Gegensatz zu musikalisch/instrumental feinst und geschmackvollst inszenierten Vorgängern wie Maladjusted und Vauxhall And I wirkt die Produktion diesmal spätestens beim vierten Hören ein wenig schludrig, lieblos und unaufmerksam für die schönen Details – es mag ein „mutiger Schritt“ gewesen sein, sich einen Nu-Metal-Typenans Mischpult zu setzen, aber es hätte halt einer sein sollen, dessen Verständnis von Musik über das Herstellen von Einheitsprodukten hinausgeht. Aber da wollen wir nicht zu streng sein; an der Größe, Schönheit und Qualität der Songs ändert das ja freilich nichts, und selbst ein nicht durchgehend höchstinspiriertes Morrissey-Album ist immer noch erfreulicher als 99 Prozent vom Rest des sogenannten „Outputs“ (und das eine Prozent sind The Libertines).