Morrissey Im Palladium, Köln
Beautiful maladie: Seine Entnervtheit König Morrissey bittet zum Gottesdienst.
Es ist eine herrliche Entrechteten-Armee, die sich zum Gottesdienst im Palladium eingefunden hat, ein Individualistenheer aus Fan-Archetypen: Indie-Veteranen, harte Haudrauf-Schwule, sensible alte Männer, Britpop-Soldaten, Fankurvenprolls, und ein paar Lookalikes sind auch gekommen. Vor der Theke hüpft ein Pulk schwer Betrunkener herum und übt sich darin, den Namen des Helden in einen Fußball-Chant zu verwandeln. Vor Morrissey spielt die von ihm erwählte Supportband Doll & The Kicks – und auf die Gefahr hin, vom Meister mit einer verächtlich emporgezogenen Augenbraue gestraft zu werden: Die nervt fast mehr als der unermüdliche Trinkerhaufen, der danach wieder die “ Morrisseymorrisseymorrissey“ -Gesänge fortsetzt, derweil über die Leinwand, hinter welcher der Umbau vonstatten geht, alte Fernsehauftritte von Shirlcy Bassey und den New York Dolls flimmern. Beim Eröffnungsstück „This Charming Man“ wird sogleich klar: Seine Entnervtheit König Morrissey, Herrscher über das Reich aller Daseinsbetrübten, ist angezählt. Nicht dramatisch, aber doch ein wonig malade, so scheint’s. Man merkt es an der Kurzatmigkeit, an der ¿ingekratzten Stimme, und wenn er sich rituell theatralisch auf den Bühnenboden legt, scheint er sich ein klein wenig länger auszuruhen als sonst. Doch es schadet kaum.
Wie immer gibt er den Schmerzensmann mit der Mikrofonpeitsche: Wie er im Smoking in großen Schritten über die Bühne strolcht und das Kabel in Schlingen umherwirft, wirkt er fast wie Marcello Mastroianni in den Peitschenszenen aus Fellinis „Achteinhalb“. Ein wenig fragwürdig bleiben Sinn und Zweck, Auswahl und Darbietung der eingestreuten Smiths-Songs: „Girlfriend In A Coma“, das runtergeschrammelte „Ask“ und „Some Girls Are Bigger Than Others“ wirken ein wenig Nostalgie heischend. Zumal der rockenden Band das Leichtfüßige dieser Stücke ausdrücklich nicht liegt. Umso besser und live noch mal schöner als auf Platte funkeln dagegen die Hits der letzten Jahre – vor allem „The World Is Full Of Crashing Bores“ und „Let Me Kiss You“, dessen Ende Morrissey wieder als Schlüsselmoment des Konzerts inszeniert, wenn er zur Zeile „You see someone you pbysically despise“ sein Hemd auszieht und seinen nackten Oberkörper präsentiert. In diesem Augenblick spitzt sich die Anti-Kunstfigur Morrissey zu: Alles ist gleichzeitig da – Trotz, Stolz, Verletztheit und Ironie. Und Schönheit, wie sich wohl versteht.