Morgen hier, heute da


Wie ein letzter warmer Herbsttag: Fritz Kalkbrenner hat ein Soloalbum produziert, das auch ohne Paul gut klingt.

Ein alter Tresenspruch des Journalismus lautet: Wer es als Musiker nicht schafft, wird Musikkritiker. Meist grummelig, oft schlecht gekleidet. Konkrete Beispiele aus dieser und anderen Redaktionen der Republik aufzuzählen, würde diese Zeilen sprengen. Weitaus spannender ist ohnehin der Umkehrschluss: Musikjournalisten, die sich auf die andere Seite des Grabens retten: Wir denken an Neil Tennant, Lenny K, und, ja, irgendwie auch an Marilyn Manson, wobei wir in diesem Fall das Musikalische außen vorlassen. Ein schöner Neuzugang in dieser Kategorie ist der Berliner Fritz Kalkbrenner, ehedem Musikjournalist, etwa bei MTV, heute Produzent/DJ. Und da sein Nachname synonym mit dem Schlachtruf „Berlin Calling“ seit Jahren schon für Techno Made In Germany durch die Klubs wandert, macht es wenig Sinn, ihm, wo wir gerade schon dabei sind, die zweite Schublade zu verwehren: Eben jene der musikschaffenden Brüderpaare.

Fritz Kalkbrenner ist der kleine Bruder von Paul-Sie-Wissen-Schon-Wer-Kalkbrenner, der kleine Bruder also von Deutschlands unbekanntestem Superstar. Er hat, wie Paul auch, die Jugend in Berlin Lichtenberg überlebt, sich früh, nach Pauls Meinung zu früh, in den Elektro-Clubs der Hauptstadt rumgetrieben, kurz vor dem Abi die Schule geschmissen, und dann, um die Eltern zu beruhigen, die anständige Laufbahn des Musikjournalisten eingeschlagen.

Jetzt, wo wir all die Schubladen auf- und wieder zugezogen haben, können wir uns getrost dem Eigentlichen widmen: Fritz Kalkbrenner hat ein Solo-Album aufgenommen, und dies ist, Schublade auf, nicht weniger als ein letzter Sonnenstrahl kurz vor den kalten Monaten. Warum der 29-jährige Produzent sein schönes Debüt HERE TODAY GONE TOMORROW ausgerechnet jetzt und nicht zu einer Jahreszeit veröffentlicht, die zu seinen Stücken passt, weiß er selbst nicht zu beantworte. Und auch der Frage, wie der Über-Bruder das Album findet, weicht er geschickt aus: Paul habe immerhin den Remix zur ersten Single angefertigt. Die beiden benutzen ohnehin eine ähnliche Sound- und Samplebibliothek, weswegen Fritz Kalkbrenner in den besten Momenten wie die besten Momente von Paul Kalkbrenner klingt. Bei diesem Bruderpaar darf man getrost von einer gemeinsamen musikalischen DNA sprechen, wobei Fritz wärmer und nicht so kühl-technoid produziert wie Bruder Paul.

Und dann gibt es da ja noch diese Stimme, die wir seit „Sky and Sand“ nicht mehr aus dem Ohr bekommen: Das ist Fritz Kalkbrenner himself und er weiß, diese so gar nicht zum Weißen-Jungen-aus-Lichtenberg-passende-Stimme wohl dosiert einzusetzen. Dann klingen seine Stücke zwar ein wenig nach Moodyman, mehr noch nach Thomas Brinkmann – am meisten jedoch nach Kalkbrenner. Nach Fritz Kalkbrenner wohlgemerkt.

Auf die Frage, wer von den Kalkbrennern eigentlich „Sky and Sand“ produziert hat, antwortet Fritz ebenfalls eloquent diplomatisch: Er habe das Stück in Rohfassung einer Freundin als Geburtstagsständchen in Pauls Studio aufgenommen. Sein Bruder habe den Track am nächsten Tag entdeckt und ihn dann zu sich bestellt. Den Rest kann man sich ja denken. Aber dafür sind Brüder ja da.

Albumkritik S. 100

www.myspace.com/fritzkalkbrenner