Monsters of Tekkno
Tekkno ist die Discotheken-Musik der Moderne - der Underground für die letzte Dekade dieses Jahrtausends
Tekkno ist das Ding der Stunde und die dazugehörige Szene die derzeit weitreichendste deutsche Jugendbewegung. Tatsächlich ist Tekkno in den 90ern, was Punk für die 70er Jahre war – eine junge, revolutionäre Massenbewegung. Revolutionär freilich nur im musikalischen, aber garantiert nicht im politischen Sinne. „Mit Politik“, gesteht Mark, 17jähriger Raver aus München, „hab‘ ich nicht die Spur am Hut. Ich will tanzen bis zum Umfallen!“ Mark will sich aber nicht nur abstrampeln bis zur Ekstase, sondern auch auffallen. Frei nach der Warhol’schen These:
Jeder hat das Zeug zum Star, wenn auch nur für 15 Minuten im Leben“, arbeitet er an seinem strikt individuellen Image. Dafür schnallt er sich schon mal eine Küchenmaschine auf den Rücken seines grobmaschigen, neonfarbenen Workwear-Shirts oder schraubt sich eine selbstgebastelte Glühbirnen-Konstruktion auf dem Hirn fest. „Hauptsache cool“, zuckt Mark mit den Schultern. „Und damit die Raves schön bunt sind“, fügt er grinsend hinzu. Seine gleichaltrige Freundin Anne steht Mark in punkto Auffälligkeit in nichts nach. Die dunkelhaarige, langmähnige Schöne geht glatt als Domina-Nachhilfeschülerin durch: Tanga-String, Lackstiefel, deren Schäfte bis weit über die Knie reichen und dazu ein hautenges Lederoberteil. Nur die Kopfbedeckung irritiert: Ein Wollmützchen, dessen Designer von den Schlümpfen inspiriert worden sein muß. „Das ist ja das Geniale auf Raves“, jauchzt Anne. „Du kannst anziehen, was dir Spaß macht, es gibt keinerlei Geschmackskodex. Alles ist erlaubt, niemand glotzt dich schräg von der Seite an.“
Das ist wohl wahr: Die Tekkno-Szene bietet ihren Jüngern – zumindest vom Outfit her größtmögliche individuelle Freiheit. „In jeder Normalo-Discothek“ , meint Anne, „würde ich ¿in meiner Kluft angemacht werden und jede Menge grabschende Hände an meinem Hintern vorfinden. Auf einer Tekkno-Rave ist mir das definitiv noch nie passiert.“
Tatsächlich sind Tekkno-Raves der Tummelplatz für Auto-Erotiker. Die selbstverliebte Pose ist für diese Szene alles. Letztendlich ist Tekkno eine a-sexuelle Bewegung. „Mir geht
es“, erzählt der 25jährige Tekkno-Freak Sven aus Berlin, „bei einer Rave überhaupt nie darum, eine Braut aufzureißen. Alles dreht sich um das große gemeinsame Gefühl, den big bang. Auf Raves findest du kaum tanzende Päarchen, jeder Tänzer ist vom ersten Moment an in die Menge integriert. Wenn man so will, sind wir die Hippies des 21. Jahrhunderts. Es geht uns genau um dieselben Werte: Friede, Liebe, die große Gemeinschaft.“
Unumstrittener „Godfather Of Tekkno“ ist der New Yorker DJ und Mixer Juan Atkins. Doch auch ein „Godfather“ hat Vorbilder: „Kraftwerk“, stammelt Atkins ganz ergriffen. „Sie sind der Anfang und die Initiatoren der modernen Musik. Kraftwerk haben der Populär-Musik und modernste Tekknologie auf einen griffigen Nenner gebracht und damit ein neues Zeitalter eingeläutet. Zum einen ebneten sie dem Pop den Weg in das gewaltige Land der ungeahnten Möglichkeiten. Zum anderen schafften sie es, daß jedermann – auch der Nicht-Musiker – Klänge erzeugen und Melodien basteln kann. So etwas nenne ich wahre Demokratie!“
Atkins‘ Leidenschaft für moderne Elektronik sowie seine Kraftwerk-Obsession brachten ihn dazu, zusammen mit seinem Kollegen Richard Davis eine völlig neue Klangdimension zu schaffen, die schwarze wie weiße Musikelemente untrennbar im Zeichen des „großen Bumms“ ineinander verschmelzen ließ. Das war 1985.
Im gleichen Jahr arbeiteten die beiden Detroiter Derek May und Kevin Saunderson an einer ähnlichen Fusion. Als ihre Schützlinge von Inner City drei Jahre später den Titel „Big Fun“ intonierten, ging die Saat auf: „Detroit Tekkno“ war geboren und damit der Inbegriff eines unbarmherzigen neuen Dance-Styles, der einem Lauffeuer gleich die Tanztempel der ganzen Welt erobern sollte.
Doch während Tekkno die 80er Jahre über für nicht viel mehr als Lärm und laute Musik stand, wurde dem „großen Bumms“ mit Beginn des neuen Jahrzehnts durch ein weiteres Detroiter Label Kontur verliehen: „Underground Resistance“ a.k.a. Jeff Mills und Mike Banks experimentierten mit wilden Beats wild herum, gleichzeitig verpaßten sie Tekkno eine Botschaft. Und ganz nebenbei beraubten sie Tekkno seiner Gnadenlosigkeit, verliehen ihm Vielfältigkeit und machten ihn damit auch für breitere Massen zugänglich.
Der deutsche Tekkno-Pionier West Bam prognostizierte damals schon folgerichtig: “ Was Punk für die 70er Jahre war, ist die DJ-Musik für die 90er Jahre. Mit dem Unterschied, daß Punk das Ende einer Ära – der Rock &¿ Roll-Ära war und die DJ-Musik, viele Traditionalisten werden es nicht gerne hören, der Beginn einer neuen.“
Nur vier Jahre später hat sich diese These mehr als bewahrheitet: House- und Tekkno-Klänge haben längst ihren Underground-Charakter verloren, inzwischen sind sie vereinzelt sogar in den Charts zu finden. Wobei die in Clubs für volle Tanzflächen sorgenden Scheiben häufig nach wie vor an Magie und damit Berechtigung verlieren, wenn sie im heimischen Wohnzimmer auf der Kompaktanlage abgenudelt werden. Das ist der Hauptgrund, daß sich Tekkno bislang eher selten in die Charts durchbeißen und vom reißenden Mainstream verschluckt werden konnte.
Daß Tekkno dennoch zum kulturellen Massenphänomen avancierte, hatte sie freilich eh nie irgendwelchen Tonträgern zu verdanken, sondern einzig und allein ihren Tanz-Raves. Anfangs noch in abgetakelten, winzigen Clubs zuhause, die selten über eine größere Kapazität als etwa 300 Raver verfügte, haben Riesen-Veranstaltungen wie die „Love Parade“ oder die „Mayday“ es geschafft, daß Tekkno zum alles beherrschenden Rhythmus einer ganzen Generation wurde.
Die „Mayday“ ging am 30. April dieses Jahres bereits in ihre sechste Runde und wurde mit über 20.000 Besuchern zur größten Tekkno-Party aller Zeiten. Bei dieser Veranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle brachen die „Mayday“-Macher sämtliche Rekorde: 26 DJ’s und neun
Live-Acts aus acht verschiedenen Ländern in drei verschiedenen Arealen brachten die Halle zum Beben. Raver kamen aus ganz Europa, in extra gecharterten Bussen angekarrt, lieferten ohne mit der Wimper zu zucken 60 Mark Eintritt an der Kasse ab und kauften massenhaft „das Sweat-Shirt zum Rave“ für satte 100 DM – bereits um ein Uhr nachts wußte die Merchandising-Händlerin stolz zu berichten: „Ausverkauft“.
Die Produktionskosten der Macher lagen dementsprechend hoch – bei über einer Million Mark. Diese Gigantomanie ist es, die vielen Tekkno-Jüngern der ersten Stunde sauer aufstößt. In der Club-Szene wird bereits vom Totalausverkauf des Tekkno-Undergrounds gesprochen.
Jürgen Laarmann, Herausgeber des Berliner Dance-Mags „Frontpage“ und Chef-Organisator der „Mayday“. lassen diese Vorwürfe kalt: „Tekkno ist bestimmt nicht tot“, sagt er, „aber Tekkno ist auch längst keine reine Underground-Kultur mehr. Dennoch ist diese Musik immer noch revolutionär, weil sie nach wie vor von den Spießern abgelehnt wird.“ Und weiter: “ Wer zur Mayday kommt, will eine geile Party feiern! Dazu brauchst du Geld, die neueste Tekknologie, die besten D/’s. Aber für 60 Mark Eintritt kriegst du dann auch Einlaß zu einer Veranstaltung, die du nie vergessen vwrst.“
Und DJ West Bam stellt lapidar fest: „1994 ist alles anders. Unten ist oben und oben ist unten. Underground ist Overground und Overground ist Underground. Kommerziell ist unkommerziell und unkommerziell ist kommerziell. Ein Umbruch hat begonnen. Wir befinden uns auf dem Weg in die ravende Gesellschaft.“
Der 29jährige Berliner, seit über zehn Jahren hinter den Turntables zuhause und im Jahre 1985 Begründer des Dance-Labels „Low Spirit“, kann problemlos coole Sprüche klopfen und wirre Analysen erstellen – „Low Spirit“ hatte in den ersten drei Monaten dieses Jahres zeitweise vier Singles gleichzeitig in den regulären deutschen Verkaufscharts (Mark Oh, Members Of Mayday, Marusha, und sein eigenes Werk „Celebration Generation“). Ein Novum in der Geschichte deutscher Dance-Labels.
Die Jüngeren und Jüngsten unter den Ravern läßt die Diskussion um Ausverkauf eh kalt. Marko: „Für mich ist Tekkno die Musik zur Zeit ich habe als Wjähriger gelernt, einen Computer zu bedienen, ich höre ständig Lärm um mich herum, meine Tage sind stressig und ich laufe permanent auf Hochtouren. Und wenn ich mal abschalten will, ziehe ich mir eine Valium und eine Ambient-CD rein. Der ganze Rhythmus meines Lebens ist von Tekkno geprägt.