Mit „Les Rita Mitsouko“ auf Nachtflug durch Paris


Deutsche sind ihnen suspekt. Und Journalisten mögen sie schon gar nicht. Französische Avantgardisten waren halt schon immer etwas eigen. Ganz so snobistisch, wie sie sich anfangs gaben, waren die Pariser Paradiesvögel dann doch nicht. Trotzdem: Die Stadtführung, die ME/ Sounds-Mitarbeiter Thomas Böhm miterleben durfte, gehört sicher nicht zum touristischen Normalprogramm.

Es ist acht Jahre her, daß ich den Eifelturm angepinkelt habe. Aber er steht immer noch, ein Blick aus dem Fenster beim Landeanflug auf den Pariser Flughafen Charles De Gaulle überzeugt mich davon. Das Taxi quängelt sich mit Hupen und riskanten Überholmanövern durch die Stadt. Unser Ziel ist Mont Martre, das rote Herz von Paris. Vor dem Hotel Regyne am Place Des Abesses entläßt mich der Fahrer des Wagens.

Ich habe noch genügend Zeit, mich frisch zu machen, bevor es zum Treffen mit Catherine Ringer und Fred Chinchin, dem Duo LES RITA MITSOUKO, kommt. Ich bin total gespannt darauf: Einerseits liebe ich ihre Musik, andererseits ist mir zu Ohren gekommen, daß sie mit Pressefritzen nicht unbedingt so gut können.

In der Dusche trällere ich ein paar Lieder. „Andy“, „Marcia Baila“ und „C’est Comme Ca“ gehen leicht von den Lippen, bei den neueren hapert es ein bißchen, hier fehlen noch die skurrilen, einprägsamen Videos. Im Frühstücksraum lungern ein paar wilde Gestalten über ihren Croissants. Zottelige Mitglieder einer amerikanischen Heavy-Metal-Band. Offensichtlich ist das hier ein Musiker-Hotel. Frühstück gibt es jedenfalls bis zum Nachmittag.

Draußen ist es freundlich und warm. Ich habe Glück und einen lauen Wintertag erwischt. Ein paar gelangweilte Nutten haben sich vor den Straßencafes breitgemacht und lassen sich ihr frisches Make Up von der Sonne trocknen. Langsam schlendere ich die engen Gassen herunter zum Treffpunkt, dem Palace, einem ehemaligen Kino, das jetzt als Konzertsaal und Diskothek benutzt wird. Das Stadtbild hat sich seit dem 19ten Jahrhundert fast nicht verändert. Lebendiges, geschäftiges Treiben und Rastlosigkeit herrscht zwischen den alten Gemäuern.

Mont Martre gehört nicht unbedingt zu den besseren Vierteln von Paris, aber auch hier wird der Alltag mit lässiger Eleganz gemeistert. Und in jedem kleinen Schusterladen oder in den Cafes läßt sich die stilvolle und berühmte Pariser Lebensart fühlen, daß es Lust macht, hier zu atmen. Ein wenig erinnert mich das an die Schöneberger Szene an der Potsdamer Straße in Berlin, nur schmeckt in Paris der Kaffee besser. Selbst die ordinären Hundehaufen, die das Pflaster beglücken, zerstören nicht das Gesamtbild. Kaum einer tritt rein, locker und mit diskretem Charme umtänzeln die Pariser die Scheiße-Pyramiden, als wären es bunte Straßenmalereien.

„Mont Martre – das ist eine Mischung aus schmutziger Normalität und extremer Lebenslust.“

Dann taucht der Fotograf auf. Ein liebenswürdiger älterer Herr, so um die siebzig. Robert Doisneau, einer der ganz großen französischen Künstler, der schon in den fünfziger Jahren Berühmtheiten wie Pablo Picasso und Jaques Prevert vor die Linse holte. LES RITA MITSOUKO können und wollen sich solche Typen leisten. Wer sich bei Gaultier einkleidet und von Godard filmen läßt, benötigt natürlich auch so einen Fotograf. Wir besprechen die Einzelheiten, schließlich ist es soweit. Catherine und Fred stehen leibhaftig vor mir.

Sie sieht aus wie eine übernächtigte Vorstadtschlampe. Ein schmutziger grüner Anorak überdacht ihre Traummaße. Strähnige lange Haare fallen auf den mausgrauen Fellkragen. Ihre Strumpfhose ist viel zu groß und faltet sich über die Knie. Ein harter, abschätzender Blick löst mir die Knochen vom Leib. Fred hat sich in einen verstaubten Filzmantel verkrochen und sich um seinen dünnen Schnurrbart Tagesschminke geschmiert.

Catherine übernimmt sofort das Kommando und gibt den Marschbefehl. „Im Mont Martre halten wir uns am liebsten auf. Wir sind zwar beide in einer anderen Gegend von Paris aufgewachsen, aber die Szene hier entspricht unserem Lebensstil. Eine Mischung aus schmutziger Normalität und extremer Lebenslust.“

Die erste Fotosession findet im Restaurant Quartier statt. Ich hätte hier lieber gegessen. Eine Atmosphäre wie in den zwanziger Jahren, weiträumig und gemütlich, die livrierten Kellner machen gerade Mittagspause. Wir nehmen einen Snack bei McDonalds. Unser Weg führt uns weiter durch eine Einkaufspassage. Antiquariate, Galerien, ein Panoptikum, das Hotel Chopin. Fred hängt mir seine Gitarre um den Hals, für Catherine darf ich eine Tasche tragen. Als ich einen Blick hinein riskiere, blickt sie mich vorwurfsvoll an.

„Sowas tut man doch nicht. “ Dabei lächelt sie aber zum ersten Mal und wird hübsch. Ihre harte Schale weicht auf und ich schmelze mit. In der Galerie Marnoni posieren beide mit einer Büste von Napoleon.

„Frankreich ist sicherlich nicht mehr so einflußreich und bedeutend für Europa wie früher. Es befindet sich im kulturellen Umbruch, eine neue Generation von Künstlern versucht sich gerade innerhalb des Landes durchzusetzen.

Europa kommt später.“

LES RITA MITSOUKO gehören zur Speerspitze dieser neuen Kunstbewegung. Monsieur Doisneau möchte eine Straßenszene ins Bild nehmen. In der Rue Du Faubourg, Ecke Boulevard Poissonniere kommt es zum Menschenauflauf. Das Pärchen fällt auf.

Fred, der Schlendrian, und Catherine, die kleine Springmaus, wie Paradiesvögel im Klangkäfig flattern sie durch das Pariser Leben. Ihre provozierende Schlampigkeit hat ohne Zweifel Schick. Der Punk bleibt hier ein Kunstprodukt, nicht aus dem Leben gegriffen, sondern nur im Kopf vollzogen. Sie werden erkannt. Eine Gruppe junger Leute möchte Autogramme. Die Bitte wird unaufdringlich, zurückhaltend vorgetragen.

„Die Leute haben Respekt vor unserer Respektlosigkeit“, sagt Fred. „Wir gelten als enfants terribles der Kunstszene“. Mit den Zeichen von Superstars. Ihre letzte Platte MARC & ROBERT erreichte nach zwei Wochen Goldstatus. Die Kritik war entzückt. „L’express“ meinte: „Er ist schwierig, ihnen böse zu sein, weil wir alle eine Rita in uns haben. Sie ähneln niemand und haben 1000 Gesichter. Sie sind die Synthese aus guter französischer Tradition und modernster, internationaler Technik.“

„Wir haben zum ersten Mal die Produktionsmöglichkeiten voll ausgeschöpft, dort angeknüpft, wo wir mit THE NO COMPRENDO aufgehört hatten. Das war der Grund, warum wir auch dieses Mal mit Tony Visconti zusammenarbeiten wollten“, meint Catherine. „Der Einfluß amerikanischer Musik, personifiziert durch die Sparks und Jesse Johnson, spielte ebenfalls eine große Rolle“, ergänzt Fred. Der Titel wiederum ist zwei englischen Musiker-Freunden gewidmet. Marc Almond &. Robert Smith. Mitten im Menschentrubel trifft

Catherine auf eine Freundin. Caroline Loeb, die sich mit ihrem Song „C’est La Ouate“ kurzzeitig auch in Deutschland plazieren konnte. Smalltalk auf der Straße. Man verabredet sich für heute Abend. Für den Abend mit Jeanne Moreau, der großen alten Dame des französischen Films. Ihr zur Ehren strahlt der französische Rundfunk eine Live-Sendung aus. Übertragungsort ist das Palace. eingeladen sind LES RITA MITSOUKO. Mit ein bißchen Stolz in der Brust verkündet Catherine:

„wir sind die einzigen, die von ihr direkt eingeladen wurden, die anderen Künstler wurden dagegen vom Sender gebeten. „

Trotzdem muß geprobt werden. Die Techniker haben in der Kellerbar des riesigen, mehrstöckigen Palace-Komplexes schon alles vorbereitet. Mit „Hip Kit“ einem funkigen Teil aus den Federn der Sparks, mit „Mandolino City“ und „Le Petit Train“, zwei frivolen Chanson-Fetzen, sind sie dabei. Das Instrumentarium kommt vom Band. Catherine schießt ihre Stimme dazu. Es dauert ein bißchen, bis sie sich konzentrieren kann. Dabei schaut sie immer wieder zu Fred. Er dirigiert sie mit rhythmischen, aufmunternden Gesten. Ihre Beziehung wird jetzt klarer. Fred ist der Ausgleich, der Halt für diese ausgeflippte Nudel.

„Das ist zwar ein alter Spruch, aber: Unsere Gegensätze haben sieh angezogen, ergänzt und arrangiert. In persönlicher wie in musikalischer Hinsicht.“

Eine Tochter und drei Platten sind das Resultat. Inzwischen soll sich ihre Beziehung auf ein platonisches und arbeitstechnisches Verhältnis reduziert haben. In einer Verschnaufpause wage ich das heikle Thema anzusprechen. Au weiha!

“ Über unser Privatleben geben wir keine Auskünfte, das ist irrelevant“.

schnauft Catherine. Die Franzosen und ihr Privatleben. Eine heilige Allianz. Bevor man den Privatbesitz einer Person betritt, vergehen Jahre. Da verbietet sich meine Frage nach „Chez Robert“ von selbst. In diesem Billig-Porno ging Catherine, mit dunkler Lockenperücke getarnt, für ein paar zehntausend Francs Gage splitternackt zur Sache. Naja, das war 1982.

Um 22 Uhr ist es soweit. Die Bar hat sich mit Prominenz und Medienleuten gefüllt. Ein brumbäriger Moderator versammelt Jeanne Moreau und die Gäste an einen Tisch. Es folgen Lobgesänge, Geschenke werden überreicht, altbackene Chansons vorgetragen, der Pariser Couturier Thierry Mugler trägt ein Gedichtchen vor. Dann kommen RITA MIT-SOUKO an die Reihe. Catherine ist sichtlich nervös, Fred fummelt an imaginären Instrumenten herum. Catherine stoppt kurzerhand den Vortrag, bittet um Entschuldigung, fängt noch einmal an. Ihr Gesang wischt alle suspekten Eindrücke weg, ist das Aufregendste seit Edith Piaf. Jeanne Moreau ist ebenfalls angetan, ihre Augen glänzen, etwas scheint sie mit den beiden zu verbinden. Die stolze, aufrechte Haltung?

Nach der Veranstaltung löst sich unten die Gesellschaft auf. Oben im großen Saal füllen sich die Bars, Aufgänge, Balkons und das Parkett mit vergnügungssüchtigen Jugendlichen und Spätjugend. Zwei schwarze Türsteher, gebaut wie Litfaßsäulen, selektieren eine bunte, extravagante und schrille Gesellschaft zusammen. Das Palace ist schwer angesagt, weil es jeden neuen Trend aufnimmt. „Les Branches“ sagen die Pariser dazu. Der augenblickliche Trend, wie sollte es anders sein, heißt auch hier „Acid House“. Allerdings ohne Ecstasy.

Doch für Catherine und Fred ist das nichts. Sie verabschieden sich flüchtig, dann sind sie wieder in ihrer Welt verschwunden. Auch der Acid-Sound wird unterbrochen. Eine Schlagersängerin quietscht einige Strophen, erntet aber kaum Beifall. Erst als der Discjockey eine RITA MITSOUKO-Scheibe auflegt, kommt wieder Freude auf.

Ich lasse mich mit dem Taxi ins Hotel bringen. Am Eingang muß ich mir kräftig an den Schuhsohlen kratzen. Bin ich doch tatsächlich in eine Pflastermalerei getreten.