Mit der Maxime der künstlerischen Selbstbestimmung zum Erfolg: das Label Thrill Jockey aus Chicago
Es gehe allein um die Musik, nicht ums Geschäft, ruft Bettina Richards, Gründerin des ambitionierten Labels Thrill Jockey mitten im Herzen von Chicago, mit leuchtenden Augen aus. Man darf ihr glauben, denn immerhin hat sie Anfang der Neunziger einen gut bezahlten Posten bei einem Major aufgegeben, um auf ihrem Gourmet-Label Musik ausschließlich unter künstlerischen Gesichtspunkten zu produzieren und zu verlegen. Mit Bands wie Tortoise, The Sea & Cake, Town & Country, Freakwater, Isotope 217 und dem Chicago Underground Duo hat sich Thrill Jockey längst als Botschafter des multistilistischen Sounds der Windy City etabliert. „Für mich ist Chicago ein so fruchtbarer Grund“, schwärmt die blonde Label-Fee, „weil die Musiker unterschiedlicher Genres sich füreinander interessieren, gegenseitig ihre Konzerte besuchen und gemeinsame Projekte gründen. Unentwegt entsteht etwas Neues“ Tatsächlich lässt sich das stilistische Spektrum des Labels in keiner Weise eingrenzen. Denn neben den genannten Bands, die im weitesten Sinne unter dem von hilflosen Journalisten erfundenen Begriff „Post Rock“ subsummiert werden können, veröffentlicht es auch Alben von dem verschrobenen Jazz-Flötisten David Boykin, der in der Nachfolge Sun Ras und Eric Dolphys steht, oder von dem poetisch weichen, inhaltlich jedoch kompromisslosen HipHop-Act All Natural. „Esfunktioniert wie eine Kettenreaktion“, erzählt Bettina. „Als kleine Firma sind wir auf Informationen angewiesen, die wir von den Musikern erhalten. Ich werde von meinen Künstlern auf Konzerte von interessanten Leuten mitgenommen.führe dort Gespräche, und wenig später bringe ich eine neue Platte heraus. Aber auch meine eigene Sucht nach neuer Musik ist hilfreich. Ich muss nie aktiv nach Bands für Thrill Jockey suchen – das geht immer von selbst. Das deutsche Projekt Oval hob ich zum Beispiel über eine Compilation entdeckt. „Hinter Oval verbirgt sich Markus Popp, der zuvor für Microstoria mit Jan St. Werner von Mouse On Mars kolaborierte. Und Mouse On Mars wiederum werden in den USA von Thrill Jockey vertreten. Bettina Richards zielt nicht auf die Mitte, sondern auf den Rand, doch dieser wird immer größer. Trans Am aus Washington oder Giant Sand aus Tucson, Arizona, sind nur zwei Beispiele nicht aus Chicago stammender Bands, die längst zum festen Bestand von Thrill Jockey gehören. Wer einmal bei dem kleinen Label mit dem großen Anspruch angelegt hat, geht selten wieder weg. „Wir lassen unseren Projekten die Zeit, die sie benötigen, um eine Platte vorzubereiten. Bands wie The Sea ¿& Cake oder Tortoise haben bereits Angebote von Majors erhalten, aber bei uns bleiben sie ihre eigenen Herren.“ Die Labelmacherin lächelt selbstbewusst, weiß sie doch um ihre Stärken.
Thrill Jockey-Bands genießen alle künstlerischen Freiheiten. In Bettina Richards haben sie weit mehr als eine Herausgeberin ihrer Platten gefunden. Sie ist vielmehr eine Anwältin, die sich für die oft ungewöhnlichen Ideen ihrer Künstler mit ganzer Kraft ins Zeug legt. Wenn Richards von „ihren Künstlern“ spricht, will sie diese nicht vereinnahmen, sondern fühlt sich voller Stolz als Teil einer Gemeinschaft, die vom internen und externen Austausch profitiert. Das einzige Risiko bestünde darin, „dass wir zu schnell wachsen könnten. Werden wir zu groß, besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr für die künstlerische Integrität jedes Einzelnen einstehen können.“
www.thrilljockey.com