MIT ALTEM WITZ & NEUEM GROOVE


Interviews mit Musikern fangen gerne mit ein bisschen Smalltalk an, bevor der Mitschnitt läuft. Man tastet sich ein wenig ab, bevor es ernst wird. Bei den Arctic Monkeys hat man den Eindruck, als erfülle diese Phase einen anderen Zweck: den des Abtastens, wie es von der Flughafen-Security vorgenommen wird. So wie diese entscheidet, wer mitfliegen darf und wer nicht, so entscheiden die ersten paar Sätze darüber, ob die Arctic Monkeys einen mitreden lassen -oder nicht.

Beim letzten Mal war das ziemlich schiefgegangen. Damals saßen Alex Turner, der Sänger und Gitarrist, und Matt Helders, der Schlagzeuger, in Berlin in schweren Ledersesseln. Die Veröffentlichung ihres dritten Albums HUMBUG stand bevor. Die beiden nuschelten einander ein paar Scherze zu und erzählten nur das Nötigste, unterbrochen von weiteren Nuschelrunden.

Und diesmal? Eine Hamburger Hotelsuite, Auftritt Alex Turner und Matt Helders. Zunächst dreht sich der Smalltalk um die Motorräder, die die Stadt an jenem Wochenende schwer im Griff haben. Die Musiker haben nichts davon mitbekommen, sie waren nachts angekommen, hatten bis mittags geschlafen. Doch die Harley Days, ein jährliches Treffen Tausender Harley-Davidson-Fahrer, klingen cool für sie. „Happy Harley Days“, kalauert Helders, während der Reporter, dem die Ohren nach zwei Tagen Nonstopdurchfahrt der Motorräder dröhnen, sich beschwert.

Die ganzen Familienväter in ihren Fünfzigern, die sich in der Midlife-Crisis eine Maschine gekauft haben, die kommen alle her.

MATT HELDERS: Cool.

ALEX TURNER (schaut auf den Reporter-Schreibblock): Du hast dich für die Karos entschieden.

Ja, der Abstand zwischen den Linien ist immer zu groß.

TURNER: Es sieht dadurch wissenschaftlicher aus.

Jedenfalls nicht ordentlicher.

TURNER: Sieht aus, als ginge es um Chemie. Tut es das?

Eure Bandchemie vielleicht?

HELDERS: Uh!

TURNER: Hihi!

Kein Spruch, auf den man sonderlich stolz sein könnte. Aber aus irgendeinem Grund hat er seinen Zweck erfüllt. Helders verzerrt sein Gesicht in Pseudo-Abscheu, während Turner sich schulbubenhaft amüsiert. Fortan ist die Gesprächsstimmung aufgeräumt, das Genuschel bleibt aus. Humor ist eine wichtige Sache bei dieser Band, wir werden noch darauf zu sprechen kommen.

Also: die Bandchemie. Inzwischen spielen die Musiker schon mehr als zehn Jahre zusammen, und der sensationelle Durchbruchstart der Arctic Monkeys liegt auch schon fast acht Jahre zurück, als im Oktober 2005 „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ auf Platz eins der britischen Singlecharts schoss, und im Januar 2006 das Debütalbum nachfolgte an die Hitparadenspitze, mit der berühmten Auszeichnung „fastest-selling debut album ever“. Eine Zeitspanne also, in der die Mitglieder anderer Bands einander schon ganz schön auf die Nerven gegangen sind. Die Arctic Monkeys strahlen hingegen noch immer einen starken Zusammenhalt aus. Ohne dass allzu große Beziehungsarbeit dazu nötig war, wie sie sagen.

HELDERS: Ich erkläre es mir so, dass die Band nicht das Einzige ist, was wir gemeinsam haben. Wir kannten uns schon lange vorher, seit wir Kinder waren. Die Sachen, die wir in unserer Freizeit machen, sind auch ähnlich. Nicht, dass wir nicht gerne über die Band sprechen, aber wir können auch zusammen abschalten. Wir kennen uns alle gut genug, um miteinander auszukommen.

Ihr unternehmt also in eurer Freizeit auch Dinge zusammen?

HELDERS: Ja. Motorradfahren zum Beispiel. Wir hätten mit unseren Harleys herkommen sollen.

TURNER: Genau, wir sind nur für die Harley Days hier. Wir haben unsere Midlife-Crisis schon mit 27.

HELDERS: Dann können wir noch andere Sachen tun, wenn wir wirklich in die Midlife-Crisis kommen. Fliegen zum Beispiel.

TURNER: Richtig, mit Virgin Galactic (dem Raumfahrtunternehmen von Richard Branson, das Weltraumflüge anbieten will).

Für ihr fünftes Album versammelte sich die Band in Los Angeles. Ein Studio wurde gemietet, das Stage &Sound Recording, und zwar für eine längere Frist. Zu viert setzten sich die Musiker zusammen um einen Vierspur-Kassettenrekorder, den Turner zum Geburtstag bekommen hatte. Sie sammelten Ideen und entwickelten Instrumentals, zu denen Turner dann Texte schrieb. „Mir war es wichtig, dass ich nicht mit der Akustikgitarre rumgesessen und Songs geschrieben habe“, so Turner. „Es kam eher vom Schlagzeug und vom Bass her, und ich habe mir dazu etwas einfallen lassen.“

Das hört man. Nicht alle, aber doch etliche Songs auf AM scheinen sehr stark auf einem Groove als grundsätzlicher Struktur zu basieren. Der Bass ist sehr schwer und tief an vielen Stellen, oft spielt er nur einzelne langgezogene Töne. Das Schlagzeug klingt sehr produziert. Wirkte es bei der Band bisher oft klein und hektisch, so klingt es diesmal sehr voll, mächtig fast. Mit den Gitarren passiert zwar viel, aber das sind eher die Stellen, auf die man achtet, wenn man die Platte über Kopfh örer hört. Wichtiger war der Band ein anderes Hörumfeld: „Uns gefiel der Gedanke, dass es im Auto gut klingen müsste, so wie HipHop zum Beispiel. Wenn man sich Notorious B.I.G. anhört, oder so, aber im Rahmen eines akustischen Schlagzeugsets“, so Turner: „Im Mix haben wir es einfach hochgedreht, den Bass auch.“

Lustig ist in diesem Zusammenhang das Video zu „R U Mine?“, einem 2012 erschienenen Song, den man seinerzeit als One-off-Single zwischendurch wahrnahm. Im Clip sitzen nämlich die Musiker in einem Auto, hören den Song und geben sich dabei kräftig dem „Air Drumming“ hin, der Schlagzeugvariante des Luftgitarrespielens. „R U Mine?“ ist nun auch auf dem Album vertreten und wird von der Band als Blaupause für dessen Sound bezeichnet. Alex Turner: „Wir haben uns gefragt: Was ist das Album, das um diesen Song herumpasst? Dann begannen wir zu erforschen, wie weit wir diesen ,R U Mine?‘-Sound treiben könnten, besonders mit dem Hintergrundgesang. Das war wohl der aufregendste Teil an diesem Song für uns.“ Daher arbeitete neben dem Arctic-Monkeys-Stammproduzenten James Ford diesmal auch der aus Sheffield stammende Musiker Ross Orton mit, der „R U Mine?“ aufgenommen hatte und dem die Band einen Einfluss an dem vom HipHop inspirierten Drumsound zuschreibt.

Liest man alte Interviews mit euch, dann habt ihr immer gesagt, dass ihr eigentlich eher HipHop gehört habt, als Schüler, bevor ihr angefangen habt, euch für Gitarrenmusik zu interessieren. Ist das also eine Art Rückkehr zu diesem Interessengebiet?

TURNER: Der Einfluss war die ganze Zeit da. In den letzten paar Jahren vielleicht ein bisschen mehr als zuvor.

Weil HipHop besser geworden ist?

TURNER: Ich weiß nicht. Vielleicht ist auch Gitarrenmusik schlechter geworden. Aber weißt du, wenn man in einer Rock’n’Roll-Band ist, und man spielt jeden Abend ein Konzert, und man hat diesen Sound die ganze Zeit um sich, dann hört man tagsüber oder in der Garderobe lieber Wu-Tang, oder so. Dieser Einfluss ist eine komplizierte Sache. Oft, wenn Rockmusik und Rapmusik zusammenkommen, ist es ein grässlicher Zusammenstoß. Und das ist auch auf gar keinen Fall, worum es uns auf dieser Platte geht.

HELDERS: Es wird auch nicht gerappt.

TURNER: Aber wir leihen uns Elemente von Outkast oder einiger R&B-Stücke, die meine Freundin hört. Das verbinden wir dann mit Siebziger-Jahre-Rockbands, die wir mögen, wie Sabbath, Captain Beyond, Groundhogs oder die Stooges. Ich sehe immer diese Prog-Rock-Band Captain Beyond vor mir, diese Typen mit ihren langen Haaren, die vor einem Bluescreen spielen, auf dem so psychedelische Kreisel ablaufen, aber das gepaart mit diesem intergalaktischen Ding von Outkast. So ist, in meinem Kopf zumindest, diese Platte.

Dass AM schon das dritte Album ist, das die Arctic Monkeys in den USA aufgenommen haben, merkt man. Als sie 2009 über HUMBUG sprachen, waren die Musiker ganz überwältigt von den neuen Erfahrungen, der Zeit im kalifornischen Wüstenstudio mit Josh Homme von den Queens Of The Stone Age (der auch diesmal wieder einen Gastauftritt hat). Und zugleich waren sie auch nervös, wie der Richtungswechsel aufgenommen würde. Das Label Domino Records blieb ihnen dabei treu und ließ sie sich ihrer künstlerischen Entwicklung widmen, obwohl sie die Verkaufszahlen der Anfangszeit nie mehr erreicht haben. Zum Dank haben sie auf AM eine neue Souveränität entwickelt, in der Musik wie im Gespräch.

Auch modisch hat Alex Turner sich entwickelt seit den Anfangstagen der Band, als er noch mit dem offiziellen Britischer-Indie-Rocker-Haarschnitt daherkam. Seine heutige Frisur ist eine Mischung aus John Lennons Tolle aus Hamburger Tagen und dem abrasierten Seitenpart von Travis Bickle aus „Taxi Driver“. So gruppendynamisch der Aufnahmeprozess vonstatten gegangen sein mag -Alex Turner ist noch immer der Mittelpunkt der Band, nicht zuletzt auch wegen seiner Texte. Er hat sich wieder einige hübsche Zeilen ausgedacht. Fans von Martin Scorsese und Phil Spector werden sich zum Beispiel erfreuen an „Like the beginning of ‚Mean Streets‘, I want you to ,Be My Baby'“(aus „Knee Socks“).

TURNER: Das hat dir gefallen, was, Felix? Freut mich, dass du darauf gestoßen bist, Bruder!

Das sind also die kleinen Späße, die du dir zwischendurch erlaubst?

TURNER: Jaha, da war der alte Witz wieder am Werk!

Na, mal im Ernst: Dieses ganze Gerede immer davon, dass man texten muss, um sich Dinge vom Leib zu schreiben! Das mag vielleicht für eine erste Platte zutreff en, aber danach? Danach muss man an Texten arbeiten, weil man nun mal Texte braucht für seine Lieder. Und um daran ein bisschen Spaß zu haben, spielt man mit sich selbst kleine Spielchen.

TURNER: Zum Teil ist das so. Definitiv. Das Schreiben hat allerdings auch noch immer etwas beinahe Kathartisches, ich will darauf gar nicht näher eingehen. Jedenfalls spüre ich eine Notwendigkeit, die Texte zu schreiben. Aber das geht nicht bis zu dem Punkt, wo es mir keinen Spaß mehr machen würde. Es ist amüsant für mich. Auf der ersten Platte haben wir auf alle möglichen Sachen gezeigt: Ist es nicht lustig, dass der und der das und das macht? Ich glaube, das kann man eine Zeitlang machen, aber schließlich muss man anfangen, auf sich selbst zu zeigen. Man muss in sich selbst suchen. Dann steigt man in die Dunkelheit hinab. Und das kann der Moment sein, an dem die Leute eine engere Beziehung zu dir als Künstler aufbauen.

Man hat also den Eindruck, dass Alex Turner sein Texten sehr reflektiert betrachtet. „Es kommt ja immer drauf an, wie du ihn erzählst, oder? Millionen Komiker machen dieses Ding, wo sie auf etwas zeigen. Aber es ist längst nicht immer lustig. Und dann findet wieder einer einen eigenen Dreh dafür. So war es auch mit unserer ersten Platte. Viele Leute machten so was Ähnliches wie wir zu der Zeit, aber wir machten es eben ein klein wenig anders. Hoffentlich.“

Seit damals hat sich der Charakter der Arctic Monkeys als Band ein wenig geändert. Anfangs waren sie durchaus eine Art Singlesband, Songs wie „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, „Fluorescent Adolescent“ oder „When The Sun Goes Down“ funktionierten als einzelne Hits. Diese Sorte Songs ist seltener geworden, dafür sind die Alben befriedigender zu hören, nicht so gleichförmig; sie sind zur Albenband geworden. Auf AM überraschen die Arctic Monkeys zum Beispiel zwischendurch mal mit einer „Wild Horses“-artigen Gitarrenballade wie „Mad Sounds“ oder einem getragenen Song mit Klavier und Slidegitarre, der – jaha, der alte Witz am Werk -„No. 1 Party Anthem“ heißt.

Doch wie das so ist bei Bands, die ganz weit oben angefangen haben: Nicht alle wollen den weiteren Weg immer mitgehen. Schaut man sich auf YouTube beispielsweise den Auftritt der Arctic Monkeys beim Glastonbury-Festival 2007 an, findet man darunter einen Nutzerkommentar: „Ich will nicht lügen: Ich wäre zu hundert Prozent glücklich, wenn sie exakt dieses Set auch 2013 spielen würden.“

„Ach, es ist ja nur eine Person!“, lacht Alex Turner (das Interview fand kurz vor dem Glastonbury-Festival 2013 statt – Anm. d. Red.):“Spontan würden mir etwa vier andere einfallen, die das nicht wollen würden. Natürlich werden wir einige alte Songs spielen und ein paar coole neue.“

Am Ende werden es drei Songs vom neuen Album und jede Menge ältere bei dem gefeierten Headliner-Auftritt der Arctic Monkeys 2013. Denn Alex Turner sieht es ja so: „Ich bin glücklich, dass wir diese Songs haben. Erst recht, wenn man Glastonbury spielt. Ich weiß nicht, wo ich ohne diese Songs wäre. Es ist gut, sie zu haben, und sagen zu können: ,Okay, los geht’s!‘ Zugleich versuchen wir uns zu entwickeln, und ich bin auch wirklich begeistert von dieser neuen Sache. Aber bei solchen Anlässen denke ich oft: ,Bin ich froh, dass ich ein paar von diesen Hits habe!'“ Albumkritik S. 93