Missmut ist das Gegenteil


Sarah McLachlan: Das „Lyric Opera House“ in Baltimore, einer trotz 700.000 Einwohnern bemerkenswert öden Großstadt bei Washington, erstrahlt in nachweihnachtlichem Glanz. Die örtliche Poprock-Radiostation 106.7 hat zum jährlichen Wohltätigkeitskonzert geladen, und gekommen ist neben diversen Newcomern auch ein waschechter Superstar: Sarah McLachlan, 35, geboren und wohnhaft in der Nähe von Vancouver. „Diese Radioshows sind Teil des Spiels“, erläutert sie vor ihrem Auftritt in der Umkleidekabine, „aber für mich ist es gar nicht verkehrt, erst mal wieder nur mit den Füßen ins Wasser zu gehen. „Sechs Jahre hat McLachlan, die in 15 Karrierejahren gut 25 Millionen Alben an den Mann lund mehr vielleicht noch: an die Frau] gebracht hat, außer einem Livealbum nichts veröffentlicht, nun meldet sie sich mit afterglow zurück. „Ich muss momentan jede Gelegenheit nutzen, mich wieder in Erinnerung zu rufen“. Das gelingt der freundlichen Dame – die so allürenfrei über Mann, Kind, Pro-Board-contra-Ski-Hobbies [„Ich kann mich nur auf Brettern bewegen, auf denen beide Beine automatisch in eine Richtung gehen, dos dann ober wirklich gut“] plaudert, dass man eher das Gefühl hat, eine alte Studienfreundin wiederzutreffen,-auch mit ihren neuen Songs: Die sind ähnlich gehalten wie die alten, bieten geruhsam dahinplantschenden Wellness-Pop. Der jedoch, verglichen etwa mit der Kollegin Dido, kleine Zähnchen und überraschende Wendungen aufzuweisen hat. Die Melancholie wird durch ihre wehmütig klingende Stimme noch verstärkt. „Ich bin aber alles andere als ein missmutiger Mensch, der immer nur auf den Boden guckt“, beteuert sie, „es ist nur so, dass ich keine Lust habe, fröhliche Lieder zu schreiben, und das auch nicht so gut kann.“

Ohnehin sei die neue ihre bislang schwierigste Platte gewesen, auch aufgrund des großen Zuspruchs für den Vorgänger surfacing. „Ich fühlte den Druck und wollte mir bewusst Zeit lassen.“ Als es nicht voranging und sie ihre eigenen Songs zu hassen begann, „guckte ich drei Monate lang weder Klovier noch Gitarre an und hörte auch kein Radio. Ich war einfach ausgebrannt. „Kein Wunder, hatte Sarah doch drei Sommer in Folge das All-Female-Festival „Lilith Fair“ organisiert und war selbst allabendlich dort aufgetreten. Mit ihrem Mann Ashwin Sood, zugleich ihr Drummer [„Wir sind sieben Jahre verheiratet, seit zwölf Jahren spielt er bei mir. Vorher war ich mit meinem Keyboarder zusammen, mein Gott, du lebst halt in einer Blase und lernst kaum andere Leute gut genug kennen, um ihnen halbwegs zu trauen“], zog sie zwei Monate durch Indien und gebar ein knappes Jahr später ein Mädchen, während zur selben Zeit ihre Mutter an Krebs erkrankte und wenige Monate vor Indias Geburt verstarb. „Seit 20 Monaten ist India Nummer eins in meinem Leben, aber ich will weiterhin meine Karriere haben. Viel zu verarbeiten also, aber nicht auf afterglow: „Die Songs handeln abgesehen von.Push‘, einem schamlosen Liebeslied an meinen Mann, von Ereignissen, die länger zurückliegen. Ich muss Erlebnisse erst jahrelang verdauen, bevor ich Songs darüber schreiben kann. So bleibt Sarah ihre größte künstlerische Sorge erspart: „dass mir nichts übrigbleibt, als glückliche Songs zu schreiben, weil mir keine traumatischen oder wenigstens intensiven Dinge mehr passieren.