Miriam Makeba – Sangoma
Das hat's noch nicht gegeben! Die neue LP einer 55jährigen Afrikanerin, die hier noch nicht einmal englisch singt, wird "Platte des Monats". Ein sicheres Zeichen für das sprunghaft gestiegene Interesse an afrikanischer Musik. Und die Zeiten,da man sich mit schwarzen Dubiositäten wie den Soulfoul Dynamics begnügte, sind zum Glück auch vorbei.
Heute besteht Hunger auf den puren, unverbrauchten Stoff. Und wer könnte den perfekter anbieten als Miriam Makeba, die seit fast drei Jahrzehnten ein kosmopolitischer Weltstar der schwarzen Musik ist, zuhause auf allen Bühnen zwischen New York , Paris und Maputo, den Glanz des Show-Business‘ auskostend und trotzdem nie in Gefahr, den Authentizitäts-Bonus einzubüßen. Wie tief die Verwurzelung im südafrikanischen Musikerbe wirklich ist, zeigt diese von Russ Titelmann (Ry Cooder, Steve Winwood) produzierte LP. Miriam Makeba agiert souverän als mächtige Vorsängerin eines stimmgewaltigen Chores. Sie gibt den kollektiven Ton an oder bildet einen Pol beim Call-And-Response-Singen, dem traditionellen afrikanischen Prinzip, das auch im Blues, Gospel und Jazz verwendet wird.
Bei soviel Stimmpotenz werden Instrumente nur am Rande geduldet. Alle 19 Songs werden fast a-capella vorgetragen, die karge Instrumentierung beschränkt sich auf rhythmisches Händeklatschen, gelegentlichen Xylophon-Einsatz oder sparsamste Trommelei. Die perkussiven Gerüste sind für unsere europäischen Ohren so etwas wie die allerletzte Rettungsleine, eine minimale Rückversicherung, die einen Hauch von gewohntem Swing in eine gänzlich fremdortige Musikkultur einbringt. Auch wenn wir uns schon an die Musik aus Soweto und Ladysmith Black Mambazo, vielleicht sogar an Mbaqanga-Rhythmen und Inhlawini-Tanzmusik gewöhnt haben – es gehören Ohr-Offenheit und Geduld dazu, diese im besten Wortsinne radikalen Makebo-Klänge zu goutieren, die keine afrikanische „Stammesfolklore“ sind, sondern Pop Music, die in der Xhosaoder Zulu-Sprache das ganze Spektrum schwarzen südafrikanischen Lebens abdeckt. Hymnische Worksongs und wutentbrannte Klagen sind da genauso vertreten wie fröhliche Tanzkost.
Drei Stücke ragen besonders hervor: „Kulo Nyaka“ erinnert mit seinem Akkordeon-Einsatz und der gefälligen Melodie etwas an Neil Diamonds Hit „Soolaimon“, womit der Höhepunkt des POPigen auf dieser Platte schon erreicht ist. „Oh Mama“ gefällt durch ungewohnt zarten, zierlichen Gesang. Thema: Liebe, Stimmung: ergreifend. Und „Mosadi Ku Rima“, wo nach langer Vokaleinleitung ein von Trommeln unterstützter wiegender Rhythmus wohlige Schauer auslöst, könnte der „Hit“ dieser LP werden, die einen tieferen Sinn und Anspruch hat: Die Stimme des Menschen, der (über-) leben will und das der ganzen Welt mitteilt. Dies ist nicht der Soundtrack zur südafrikanischen Revolution, aber der Frontstaaten-Blues ist es allemal.
BIOGRAPHIE
Miriam Makeba wurde am 1.3.1932 in Johannesburg geboren. Mit 17 begann ihre musikalische Karriere, die sie zunächst zu den in ganz Südafrika berühmten Manhattan Brothers führte. In der City Hall von Johannesburg gehörte sie zu einer der ersten schwarzen Gruppen, die dort überhaupt auftreten durften – am Nachmittag gab es eine „schwarze“ Vorstellung, abends eine für Weiße. Apartheid in Reinkultur.
1956 drehte der US-Regisseur Lionel Rogosin einen Dokumentarfilm mit Spielszenen über die Apartheid, für den Miriam Makeba zwei Stücke sang. Der Film wurde 1959 in Venedig ausgezeichnet – und Makeba durfte anschließend nicht mehr in die Südafrikanische Union zurückkehren. Harry Belafonte nahm sich der politischen Emigrantin an, die er als „das revolutionärste Talent der letzten zehn Jahre“ pries. Mit seiner massiven Hilfe avancierte Makeba in den USA bald zum gefeierten Show-Star. Gleichzeitig machte sie ihr Engagement für den afrikanisehen Freiheitskampf deutlich:
„Afrika ist kein schlafender Kontinent mehr. Die Weißen können zwar noch immer weitgehend mit uns machen, was sie wollen, aber das ist keine Frage der europäischen ‚Rationalität‘ oder afrikanischen ,Emotionalität‘, sondern schlicht eine Machtfrage. „
1962 erhielt Makeba vom tansanischen Präsidenten Julius Nyerere einen Paß, inzwischen ist sie Ehrenbürgerin acht afrikanischer Staaten und Kubas. Zweimal vertrat sie Guinea, seit 1968 ihre neue Heimat, als Diplomatin in der UNO-Vollversammllung.
Zwei Ehemänner sind von Bedeutung im Leben der mittlerweile doppelten Großmutter: Stokeley Carmichael, einer der führenden Köpfe der „Black Power‘-Bewegung in den USA, und Hugh Masekela, der wie sie zwischen Afrika und Amerika irrlichternde Star-Trompeter, der 1968 mit „Grazing In The Grass“ sogar selbst einen Nr. 1 -Hit feiern konnte.
Stichwort „Hits“. Miriam Makeba hatte, ganz streng genommen, auch nur einen: „Pata Pata“, Ende 1967 Nummer 12 in den USA. Aber der hat sich derart intensiv ins „kollektive Unterbewußtsein“ eingebohrt, daß ihr Name unauslöschlich damit verbunden ist.
Miriam Makeba bereist noch immer unermüdlich die Konzertbühnen in aller Welt. Deutschland-West erlebte sie zuletzt 1979 beim Rockfestival in Nürnberg, Deutschland-Ost 1987 im DDR-„Palast der Republik“ anläßlich der 750-Jahr-Feier Berlins.