Millennium Angst Memories – Radiohead, Berlin, Wuhlheide
Die Oxforder kehren an den Ort einer Großtat zurück. Diesmal wurde auch mal gelacht auf der Wuhlheide.
Wissen Sie noch, wo sie am 11. September 2001 waren? Klar. Thom Yorke weiß es auch noch: Er war in Berlin, hier, in der Wuhlheide, wo Radiohead an diesem Abend, knapp fünf Stunden nach dem Einsturz der Türme, ein Konzert spielten, das legendär wurde. Ein tröstendes Gemeinschaftserlebnis in der Stunde der Verstörung – nur nicht für den Kollegen, der unglaublicherweise erzählt, er sei an jenem Dienstagnachmittag beruflich unterwegs und dann schon so früh auf dem Konzertgelände gewesen, dass er nichts von den Anschlägen mitbekommen hatte und ihm dann beim Konzert die wortkarge, kontemplative Stimmung zwar auffiel, aber ihn doch nicht wirklich verwunderte: Radiohead eben. Nachgerade feierlich ist die Atmosphäre heute auch, das gravitätische Moment geht aber wie stets vor allem vom ehrfürchtigen Publikum aus, nicht von der angenehm posenfrei agierenden Band. Thom Yorke, merklich guter Dinge und mit fusseligem Kopf, spricht wenig, aber auch nicht so wenig, dass es Masche wäre, verweist mitten im Set knapp auf jenen Abend 2001, freilich ohne die Anschläge zu erwähnen. „I remember us playing this one“, sagt er, und es folgt „My Iran Lung“, der älteste Song heute, der Song, der Radiohead einst einführte als die Doyens der Vertonung dieses diffusen, kriechenden Gefühls von Verunsicherung und Paranoia, das damals „millennium angst“ hieß und dann quasi nahtlos in die „post 9/11 angst“ überging.
14 Jahre ist dieses Lied alt: Was in diesen anderthalb Jahrzehnten an tollen Bands und Quatschcombos gefeiert und wieder vergessen oder demontiert wurde oder anfing zu nerven oder verglühte – und Radiohead sind immer noch da und kaum einen Tick weniger aufregend, interessant, kompromisslos (und verlässlich g-e-i-l) als einst. Es fiebert nicht mehr alles so dringlich und schicksalshaft, wozu der hohe Anteil an Songs (elf von 25) vom notwistesk aufgeräumten neuen Album(komplex) In rainbows beiträgt. Hin und wieder korrespondiert die Musik, etwa bei neuen Songs wie „All I Need“ und „Nude“, vielleicht gar zu wohlig mit den wunderschönen und so noch nicht gesehenen Farbkaskaden, die das energiesparende LED-Lichtsystem auf die Bühne zaubert.
Radiohead „gefällig“? Aber was heißt das schon bei einer Band, bei der zu einer experimentell-minimalistischen Seltsamkeit wie „Everything In Its Right Place“ die Puppen tanzen wie anderswo nur zum MTV-genudelten Top-Ten-Smasher. Radiohead eben. Während eines, nun, furiosen „The National Anthem“ in der zweiten Zugabe sieht man in der Ferne ein kleines Feuerwerk in den Nachthimmel ploppen. Keine Ahnung, was es heute außer Radiohead noch zu feiern gibt in Berlin. Und es ist uns auch egal.
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