Mick Jagger: Der Spätberufene


Rock 'n' Roll bis zur Rente? Mick Jagger (57) profiliert sich auf seine alten Tage lieber als Filmproduzent.

Das Männlein steht zwar nicht im Walde, ist aber trotzdem einsam. Niemand kümmert sich um Mick Jagger. Dabei hockt er mitten auf dem Trafalgar Square in London. Liegt’s an seinen fiesen lila Socken? Wohl kaum. Jaggers Einsamkeit ist selbst gewählt und ein Indiz dafür, womit sich der Stones-Chef die Zeit während der letzten Monate vertrieben hat, in denen sich die Öffentlichkeit vor allem für seine Scheidungsmodalitäten interessierte. „Enigma“ heißt der Spionagethriller, bei dem Jagger die Fäden zieht und für dessen Dreharbeiten sogar Londons Zentrum einen Tag lang abgeriegelt wurde. Im zarten Alter von 57 Jahren und nach diversen Erfahrungen vor der Kamera („Freejack“, „Bent“) startet Jagger seine späte Karriere als Filmproduzent. „Ist auch nicht viel anders, als eine Tournee vorzubereiten und durchzuziehen. Nur muss man zwei Jahre lang am Ball bleiben“, kommentiert der Novize lapidar. So lange schon bereitet er mit seiner Produktionsfirma Jagged Films die Bilderstory zum Bestseller von Robert Harris vor. Die mit „Titanic“-Heulboje Kate Winslet prominent besetzte Story um die Dechiffrierung deutscher U-Boot-Codes durch einen britischen Mathematiker (Dougray Scott) basiert auf tatsächlichen Ereignissen. Und das Spionagezentrum Bletchley Park, in dem feindliche Codes geknackt wurden, kennt in England jedes Kind. Das war allerdings nicht immer so. Jagger: „Es war eines der letzten Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs und bis in die 70er Jahre ein Tabuthema.“ Fast so wie für Musiker das Geschäft mit Leinwandträumen.“Die Filmbranche galt als Sperrbezirk. Dabei muss man nichts weiter tun, als ständig alle anzutreiben. Du lässt eine Geschichte schreiben, suchst jemanden, der das Geld auftreibt, um die Rechte zu kaufen, dann lässt du das Drehbuch schreiben, besorgst noch mehr Geld, damit Regisseur und Schauspieler kommen und so weiter.“ Soweit der Produzentenleitfaden à la Jagger, der in vorbildlichem Einsatz seine eigene historische Dechiffriermaschine als Requisite zur Verfügung stellt. Und wieviel seines nicht an Jerry Hall gezahlten Geldes steckt in dem 19 Mio. Dollar teuren Film? „Kein Penny“, grinst er, und der Brilli im Zahn blitzt listig. Das nächste Projekt wartet bereits: „The Long Play“. Martin Scorsese soll die Innenansicht der Plattenindustrie inszenieren. Brodelt statt Rock ’n‘ Roll jetzt die Leidenschaft für die Leinwand in Mick Jagger? „Quatsch, ich war noch nie von irgendetwas in meinem Leben besessen. Das ist nämlich ungesund.“ Wer’s glaubt.