Mick Jagger


‚Ich hatte bis jetzt nur einmal in meinem Leben Lampenfieber, das war im Ealing Club, vor unheimlich langer Zeit, zusammen mit Alexis Korner. Ich war so nervös, dass ich um die Ecke in einen Pub ging, um mich mit einem halben Liter zur Besinnung zu bringen. Ansonsten war ich nur noch einmal ein bisschen am Flattern, in dem Hyde Park Concert, eine Woche nachdem Brian Jones gestorben war.‘

GOATS HEAD SOUP

Wie überall auf unseren Breiten, neigt sich auch in London der Sommer dem Ende entgegen. Mick Jagger ist in den Büroräumen seiner Plattenfirma, mit einem Probeexemplar seines neuesten Albums. Jeder will ein vertrauliches, freundschaftliches Gespräch mit ihm, Fans versuchen ihn zu berühren. Durch das ganze Gebäude hört man das neue Stones-Album ‚Goat’s Head Soup‘. Es ist eine Sammlung sorgfältig geschriebener Songs. Besonders bei den Balladen ‚Angie‘ und ‚Winter‘ merkt man, dass Mick’s Stimme sich verändert hat: sie ist lange nicht mehr so rostig und heiser; sie klingt jetzt weich und fliessend.

IN BÜRO-RÄUMEN ‚ON STAGE‘

Er sieht typisch aus: in alten, roten Hosen und einem T.Shirt swingt er übertrieben grazil zu dem Sound seiner Musik, den Kopf im Nacken, trainiert er seine Gummilippen. Er fühlt sich wie ‚on stage‘; ungeheuer cool präsentiert er sein Sexappeal, konstant und bewusst hält er die Balance seiner Bewegungen. Er lässt sich von seiner Musik berauschen, mitziehen, antörnen. Nur er und Keith bestreiten den Gesang auf der LP, ohne Mädchen-Chor im Hintergrund. Nicky Hopkins spielt Klavier; auf ‚Silver Train‘ zaubert Mick Taylor herrliche, fliessende Töne aus seiner Gitarre, unterstützt von Miek Jagger, der die Rhythmus-Gitarre spielt. Keith Richard gebraucht auf ‚Through The Lonely Nights‘ und ‚Can You Hear The Music‘ den typischen George Harrison ‚Wonderwall‘-Sound (er erreicht den Effekt, indem er die Gitarre an ein Wah Wah-Pedal anschliesst und durch zwei Lesley Verstärker schickt). Insgesamt ist dieses Album besser vorbereitet und ausgearbeitet als ‚Exile On Main Street‘. Von Zeit zu Zeit gehen die Stones ins Studio und nehmen irgendwelche halbfertigen Songs auf – just for fun – um zu sehen, was dabei herauskommt. ‚Exile‘ war dafür ein typisches, schlimmes Beispiel.

MEHR MÜHE MIT DEN SONGS

Ich habe eine engere Beziehung zu den Songs die ich jetzt schreibe, weil ich mich mehr damit beschäftige, und Sachen schreibe, die mich wirklich betreffen. Das einzige Album, das jemals richtig organisiert wurde – ausser diesem neuen – war das erste. Damals konnten wir nicht mehr spielen, als was wir auch auf der Bühne brachten, deshalb nahmen wir eben diese oft geübten Sachen auf.‘ Wie bereits im letzten ME stand, wurde diese Scheibe zwar überall zusammengestellt, jedoch in Jamaica aufgenommen. Die Stones können ja immer noch nicht in England leben, weil die Steuern dort so immens hoch sind. ‚Ich weiss nicht wieso, aber sämtliche Leute wollen sich eine Scheibe von unseren Einkünften abschneiden. Leute, die absolut nichts für uns tun, und nie bei anderen Bands auf die Idee kämen, erheben plötzlich Ansprüche, und meinen auch noch, sie stellten sie zurecht.‘

EIN FUSSBALL IM POLITISCHEN SPIELFELD

Zu Anfang des Jahres hatten die Stones eigentlich in Japan spielen wollen. Sie hatten die Erlaubnis in der Tasche und zwei Konzerte waren schon ausverkauft, da hiess es plötzlich nein, sie könnten doch nicht auftreten.

Warum? frag nicht mich, sondern die undurchschaubaren Gelben. Sie hatten uns ihre Zustimmung gegeben und deshalb verkauften wir auch schon unsere Karten. Wir hatten alles fertig, die Bühne angemalt etc. und auf einmal drehten sie den Spiess um und sagten nein. Sie sagten, es wäre wegen der Vorstrafen, aber sie hatten schon vorbestrafte Leute da – Ray Charles z.B. mit Heroin. Die ganze Scene ist wie ein politisches Spielfeld, und wir sind der Fussball mitten ‚drin. Es war dasselbe mit Australien – es wurde uns nicht erlaubt da zu spielen, bis die neue Regierung kam. Es ist immer so, dass die Leute aus den unteren Schichten Angst haben, sie würden Ärger bekommen, wenn sie uns spielen Hessen. Deshalb fragen sie höher gestellte Leute usw. bis schliesslich der Premierminister entscheidet – die spinnen, die Freaks da hinten.‘

FILM-VIBRATIONS

Neben allen Sachen findet Mick es auch astrein, ‚rauszugehen. Er und Mick Taylor sind wohl die ‚freiheitsliebendsten‘ Typen der Band. ‚Ich glaube, ich würde wahnsinnig, wenn ich nicht mehr nach draussen gehen könnte. Ich finde es ja sooo scharf nur so ‚rumzuhängen, ein paar Hotelzimmer ‚aufzuräumen‘, und besoffen zu werden. Wenn man in einem Studio war, ist es dufte, hinterher irgendwo hinzugehen und die Songs zu spielen, die man gerade aufgenommen hat. Andererseits denke ich daran, einen neuen Film zu drehen, aber es gibt nicht so viele aufregende Sachen die aufgenommen werden können. Ich habe mich wirklich in der letzten Zeit stark auf Musik konzentriert, obwohl es mir echt Spass machen würde, einen neuen Streifen zu drehen. Um den Film so hinzukriegen, wie ich es mir vorstelle, muss ich alles selbst in die Hand nehmen, ich habe keinen Bock so unheimlich lange an einem Ding zu sitzen.‘