„Michael Jackson ist ein Meister“
Hurrikan Rita war im Anmarsch, als der ME in Miami mit dem erfolgreichsten Pop-Produzenten der Gegenwart sprach, doch Pharrell Williams fürchtet ganz andere Dinge.
Rita kommt. Auf der Collins Avenue, einer Parallelstraße zum Ocean Drive am Strand von Miami, haben sie schon flugs ein Schild montiert: „Bus Pick-Up Hurrican Evacuation“ steht da auf blauem Grund. Zwei der Kollegen aus unserer deutschen Reisegruppe geht gleich mal die Düse, die Herren legen ihren Rückflug um einen Tag vor, sie fürchten den Sturm, der ME, hüstel, wäre geblieben, hat die Heimkehr aber eh schon für den Abend gebucht.
Ziel des morgendlichen Spaziergangs in einem windigen, aber keineswegs stürmischen Miami ist das „South Beach Studio“. Das liegt in einem Hinterzimmer des „Hotel Marlin“, und dort wartet Pharrell Williams himself. Jetzt bin ich aber ganz schön nervös „sagt der, nachdem der erste Kaffee getrunken ist und die ausnahmslos schwarz gekleideten französischen Kollegen durch Smalltalkgelaber unangenehm aufgefallen sind. „Eigentlich erwartet erläutert er beim ME-Interview am Nachmittag, „und ich lasse mir solche Statements auch nicht in den Mund legen. „Dabei kann Williams, der in Virginia zur Welt kam und nun meist in Los Angeles und Miami lebt, ordentlich was vorweisen. Gemeinsam mit Schulfreund und Partner Chad Hugo produziert er seit Beginn der 90er Jahre Musik. Ihre erste Nummer verkauften sie 1992, der Song hieß „Rump Shaker“ und ging an das vergessene Duo Wreckx-n-Effect. Weitaus unvergessener jedoch sind viele der weiteren Neptunes-Arbeiten. Man hat Welthits produziert. Von Pharrell und Chad stammen nebst vielen anderem „I’m A Slave 4 U“ von Britney Spears, „Hot In Here“ von Nelly sowie fast das komplette Solo-Album von Justin Timberlake.
Vor zwei Jahren rechnete mal jemand aus, daß 19 Prozent der aktuellen US-Singlecharts aus Neptunes-Produktionen bestanden, was die beiden selbst ein wenig viel fanden. Zur Abwechslung machten sie als N.E.R.D. selbst Musik, allerdings gesungen von einem Rapper namens Shay und nicht ganz so kommerziell erfolgreich. „Ich war nie der Meinung, daß ich eine besonders geeignete Stimme zum Singen oder Rappen besitze. Trotzdem wollte ich mal schauen, wie das klingt, wenn ich nicht singen lasse, sondern durchgängig selbst singe.“ 14 Songs beinhaltet in my mind, das erste Solo-Album von Pharell Williams, aus dem sich Kollege Chad angelich komplett rausgehalten hat, auch wenn er während der Studiopräsentation des öfteren um die Ecken schleicht. Die Single „CanIHaveltLikeThat“kennen wir ja schon, leider chartete sie nicht wie gewünscht. Deshalb wurde die Veröffentlichung von IN mymind kurz vor knapp von Anfang Dezember auf Anfang Februar 2006 verlegt. Und das, obwohl bei „Can I Have It Like That“ Gwen Stefani mitsang – die immergleiche Zeile „You got it like that“. „Ich wollte möglichst wenig Kollaborationen. Man muß sich auch mal trauen, von solchen Erwartungsmustern abzuweichen. Das Ding ist: Ich wollte überraschen. Die Leute da draußen, aber in erster Linie mich selber. Gwen allerdings wollte sich unbedingt bei mir revanchieren, weil wir ja .Hollaback Girifur sie produziert haben.“ Ist gelungen, dieses in my mind. Vor allem die langsamen Nummern überraschen. Während „Angel“, die zweite Single, noch ein bißchen sehr nach Timberlakes „Senorita“ riecht, hätte man sich einen Song wie „Like you“ mit seiner 80er-Soul-Eleganz auch gut auf Jacksons Thriller-Album vorstellen können.
ihr von mir, daß ich supercool und superselbstbewußt agiere und euch lauthals meine Musik anpreise“, spricht Pharrell weiter, „aber das mag ich nicht. Ich sage nur: Das hier ist meine Kunst, hört sie euch einfach an.“ Für einen Kerl seines Kalibers wirkt Williams überhaupt nicht wie ein Angeber. „Ich lasse mich nicht ein auf dieses Spiel, daß ich der Tollste und der Größte bin „,
Inzwischen sind wir im „Bentley Beach Hotel“, der Wind hat aufgefrischt, und eilige Hotelangestellte tragen sämtliche Liegestühle von den Balkonen in die Zimmer. Pharrell sitzt in seiner Suite an einem Tisch und wirkt etwas unzufrieden. „Können wir nicht lieber rausgehen und das Interview auf dem Balkon machen?“ bettelt er den Mann an, der die Pressegespräche koordiniert. Können wir nicht. „Du, ich fürchte, das ist zu windig.“ Also bleiben wir am Tischchen hocken, zu dritt: Pharrell, ME und Pharrells Handy. Nach dem fünften Anruf in elf Minuten (dreimal ging er ran, zweimal ließ er bimmeln) schnappt sich Williams ein Kissen und legt sein Telefon da drauf. Da klingelt es dann immer noch, aber es surrt dabei nicht mehr so penetrant. „Das mit Michael Jackson ist aber ein sehr schönes Kompliment. Michael ist unberührbar, unerreichbar. Ich liebe sein Thriller-Album über alles, er hat ein ganzes Genre definiert.“ Ob er sich meldet, wenn er ein neues Album aufnehmen sollte? Pharrell: „Vielleicht. Ich habe schon bei invincible mehrere Songs mit ihm aufgenommen, die er nicht verwendet hat. Aber, schon aus Respekt, würde ich es jederzeit wieder tun. Er ist ein richtiger Meister.“
Aus den unbenutzten Jackson-Songs wurden Hits für Justin und Usher- und Grammy-Auszeichnungen für Pharrell, die bei seiner Mum im Wohnzimmer stehen. „Mum ist sehr stolz. Sie kann immer noch nicht recht begreifen, was da mit mir passiert ist. Ich liebe sie über alles. Ein ausgesprochen emotionaler Ausbruch, dieses Mutterstatement. Pharrell ist kein ausgesprochener Anhänger des gesprochenen Wortes. Vielleicht hat er auch Angst, Betriebsgeheimnisse auszuplaudern. „Eine spezielle Arbeitsweise habe ich nicht. Ich mache einfach. Ein wenig überlegen ist okay, aber nicht zu sehr trödeln. Nicht zwischendrin essen gehen, sondern was kommen lassen. Wenn ich produziere, arbeite ich in der Regel von 12 bis 21 Uhr. Vorher Frühstück und ein bißchen Sport, anschließend Abendessen. Sorry, aber Musik zu produzieren, ist eben keine besonders glamouröse Arbeit. Ein Stück aufzunehmen, ist so ähnlich wie ein Zimmer zu streichen. Dauert auch ungefähr genauso /cmge.“Pharrell Williams sieht sich, das sagt er wörtlich, als „Studioarbeiter“. Sollen doch die Leute da draußen ihn tausendmal zum „Best dressed man in music“ wählen, wie unlängst bei einer amerikanischen Umfrage, oder seine Bauchmuskeln bewundern, die er sowieso nicht mehr zeigen möchte, „weil ich es Leid bin. Außerdem möchte ich nicht, daß jemand denkt, ein vernünftiges Sixpack sei für den Erfolg wichtiger als gute Songs.“
Daß Williams nun mit in my mind dabei ist, sich vom Topmann hinter den Kulissen zu einem der führenden Frontleute moderner, urbaner Erfolgsmusik zu wandeln, dient ihm weniger als Motivation denn als Grund zur Beunruhigung. „Die Aussicht darauf, richtig berühmt zu sein.freut mich nicht. Sie macht mir Angst. Mir kommt diese gesamte Popstar-Welt noch sehr irreal vor. Ich fühle mich nicht so richtig wohl in diesem Glitzerding, diese oberflächliche Grundhaltung innerhalb der Musikindustrie entspricht nicht meinem Wesen. Ich habe mich auch noch nicht genügend an dieses Leben gewöhnt, um selbstgefällig sein zu können, ich finde das hier immer noch aufregend.“ Nur die Paranoiden überleben? [a. „Je weiter oben du bist, desto schneller und tiefer fällst du auch wieder. Der Status, den ich jetzt habe, ist nicht für die Ewigkeit. Drei bis fünf Jahre lang, habe ich festgestellt, bist du als Produzent so richtig angesagt. In dieser Zeit mußt du sehen, daß du soviel arbeitest und verdienst wie möglich. Danach kommen wieder neue Leute, und du selber hast deine Finanzen im Idealfall so weit abgesichert, daß du dich fortan selbst verwirklichen kannst.“ Draußen klopft einer und bittet, die Balkontür doch nun ganz zu schließen. Wegen Rita. Pharrell Williams mag einiges im Leben fürchten, ein heraufziehender Wirbelsturm gehört nicht dazu. Nach der Verabschiedung stellt er sich raus, guckt sich das aufgewühlte Meer an und hält seine Nase ein Weilchen in den Wind.
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