Michael Jackson
Er fastet jeden Sonntag, verabscheut Drogen und ist ein überzeugter Zeuge Jehovas. Trotzdem gehört der einstige Kinderstar inzwischen zu den schillerndsten Pop-Grössen auf beiden Seiten des Atlantiks. Sylvie Simmons besuchte in Los Angeles die Dreharbeiten zu seinem Video "Beat It" und wurde von dem schüchternen Soul-Beau zu einem Gespräch in sein Haus gebeten.
Downtown Los Angeles, eine dunkle Gasse zwischen der Pacific American Fish Company und dem Lieferanten-Eingang des Hotels St. Agnes. Autos versperren beide Enden, niemand kann raus. Im Zwielicht der Scheinwerfer marschieren zwei rivalisierende Straßen-Gangs auf. Ein paar Leute stecken ihre Köpfe aus den Fenstern, brummein etwas von Ruhestörung und legen sich wieder schlafen. Unten im Dunst rücken sich die Gangs immer näher.
Die Banden sehen brutal aus. Die „Cnpps“ (die mit den blauen Halstüchern) wirken erschrekkend gefährlich, wie sie ihre Fäuste in die Hände schlagen, finster dreinblicken und immer näher kommen und „SCHNITT! Okay, zurück an eure Plätze. Der Schläger da links! Ja Sie! Ein klitzekleines bißchen mehr mit den Gelenken knacken. Perfekt. ACTION!“ – irgendwer schaltet ein Tonband ein – und ein Stück von „Beat It“ dröhnt in die Nacht. „Magie“, sagt Michael Jackson, der viel über Magie redet, „entsteht ganz automatisch, wenn du mit dem Herzen dabei bist.“
Magischere Situationen, als mitten in der Nacht prügelnden Horden in Los Angeles zuzusehen, dürfte es kaum geben. Inzwischen ist aus dieser kleinen Zauberei das Video zu Michael Jacksons neuer Single „Beat It“ geworden.
Der Song handelt von Gewalt, folglich auch das Video: Schweißgebadet wacht Michael in einem schmuddeligen Schlafzimmer auf; er hat von der bevorstehenden Schlägerei geträumt und muß los, um sie zu stoppen. Er springt aus dem Bett, bringt damit das Leben einer Kakerlaken-Familie ernstlich in Gefahr und macht sich auf den Weg zum großen Finale in einem leerstehenden Lebensmittel-Lager.
Genau dahin fahren wir auch alle sind sie da, sogar die Kakerlaken. Im Lagerhaus wird die einstudierte Kampf-Szene gedreht. Die echten Banden-Mitglieder stehen am Rand, während ungefähr ein Dutzend verkleidete Schauspieler, tanzen und Messer schwingen.
Die ganze Zeit über nippt ein schlanker, langfingriger Mann in einer zu großen, braunen Lederjacke an seinem Orangensaft, starrt mit neugierig aufgenssenen Augen auf Tänzer und Monitore, der Kopf nickt sachte im Takt der Musik, sein Fuß klopft automatisch mit. Michael Jackson scheint das Ganze zu faszinieren.
Erst um drei Uhr morgens hat er seinen Auftritt. Er muß reinkommen, den Kampf abbrechen und alle tanzend aus dem Lagerhaus führen. Eine Mischung aus Rattenfänger und Peter Pan. Als die Szene abgedreht ist, bricht die Dämmerung an; Michael Jackson ist immer noch nicht geschafft.
Wo der Mann seine Energie hernimmt, weiß kein Mensch. Drogen sind’s bestimmt nicht die faßt er nicht an; trinken tut er auch kaum. Rohes Fleisch kann’s auch nicht sein – Michael lebt streng vegetarisch und würde überhaupt nicht essen, wenn er eine Alternative wüßte; er fastet jeden Sonntag und schafft trotzdem den Start in eine neue Woche.
Und Michael Jackson schafft dabei in einer Woche mehr als die meisten seiner Kollegen in einem Jahrzehnt. In derselben Zeit, die Supertramp dazu braucht, um den gewünschten Piano-Sound auszutüfteln, sang Michael mit Donna Summer und die backing vocals für Joe King Carrasco, schrieb und produzierte „Muscles“ für Diana Ross, schrieb und sang „The Girl Is Mine“ mit Paul McCartney, machte einen Song und den Erzähler für das „E.T.“-Album, trommelte von Vincent Price bis Eddie Van Haien alle Leute für sein Solo-Album zusammen und hatte trotzdem noch Zeit für seine Haustiere: Lama, Schlangen und Pagageien.
Gerade aus England zurück dort nahm er mehrere Nummern mit McCartney auf, den er auf einer Cocktailparty bei Stummfilm-Komödiant Harold Lloyd in Hollywood traf -, plant er bereits die nächsten Projekte mit Gladys Knight, Jane Fonda, Barbara Streisand, Katherine Hepburn und – bleiben wir bei den Mädchen – seinem alten Freund Freddie Mercury von Queen. Ganz zu schweigen von der Arbeit an einem Steven SpielbergFilm – “ eine fu tunstische Fan tasie mit Musik“ – und einem Album mit den Jacksons.
Erinnert Ihr Euch an die Jacksons? Michael war ihr Sänger und Choreograf, seit sein Vater Joe Jackson – einst Chef der Falcons, einer Band aus Indiana, die Chuck Berry nachspielte die James-Brown-Imitation seines fünfjährigen Sohnes gesehen hatte. Mit elf Jahren hatte Michael bereits seine erste Nr.-l-Single…!
Michael ist das selbst ein Rät sei. „Magie“. Seiner Ansicht nach kommen Songs, Ideen und Energie von Gott – der Mann ist ein überzeugter Zeuge Jehova. Er wacht einfach nachts auf – und sie sind da! Wieder ein paar Millionen-Seiler. Sein erstes Solo-Album, OFF THE WALL, verkaufte sich allem siebenmillionenmal; THRILLER, auch in Deutschland Nr. 1, ist auf dem besten Weg dahin.
Während der Video-Aufnahmen können wir uns nicht unterhalten,- aber kurz vorher treffe ich ihn in seinem dreistöckigen Haus im San Fernando Valley vollgestopft mit Büchern, Pflanzen, Kunstwerken, Tieren, naturreinen Säften und verschiedenen Neffen, Vettern und Geschwistern der Familie Jackson. La Toyah ist da, mit einem Cowboyhut; die kleine Schwester Janet ist da und plappert meine Fragen an Michael mit dem ihr eigenen Akzent nach. Oh, fast hätte ich’s vergessen, da ist auch noch eine Schallplattensammlung, die von Smokey Robinson (die allererste Platte, die er sich gekauft hat, war „Mickey’s Monkey“) bis McCartney reicht: Funk, New Wave, Klassik und so ziemlich alles andere. Die Jackson-Einflüsse?
„James Brown, Ray Charles, Jackie Wilson. Chuck Berry und Little Richard ~ ich glaube, die haben eine ganze Menge Leute stark beeinflußt, weil das die Jungs waren, die den Rock and Roll angeleiert haben. „
Michael spricht mit dünner Stimme, wie aus einer anderen Welt. Er ist so schüchtern, daß es schon weh tut, er starrt auf seine Hände, seine Schuhe, seine Schwester, überallhin – bloß um zu vergessen, daß da ein Interviewer sitzt.
Er fährt fort; „Mit der Kunst mache ich es genauso. Ich liebe Kunst. Jedesmal wenn wir nach Paris kommen, sause ich in den Louvre. Ich kann nie genug davon kriegen! Ich besuche alle Museen, rund um die Welt. Ich hebe Kunst. Ich hebe sie zu sehr weil es da immer diese Auktionen gibt von denen ich nichts hören oder sehen will, weil das jedesmal damit endet, daß ich alles kaufe. Ich werde einfach süchtig nach Kunst. Du siehst etwas, das dir gefällt, und sagst: ,O Gott, das muß ich haben …‘ Ich liebe klassische Musik Ich habe so viele verschiedene Kompositionen.
Wir sind von den verschiedensten Sorten Musik beeinflußt worden – Klassik, R&B, Folk, Funk -, und ich glaube, daß all diese Zutaten zusammengenommen das ergeben, was wir jetzt haben.
Es würde mir keinen Spaß machen, nur eine Art von Musik zu spielen. Ich mache gern für jeden etwas. .. ich will nicht, daß meine Musik etikettiert wird. Etiketten haben was von Rassismus. „
Ein anderes Motiv für die immer neuen und grundverschiedenen Projekte ist noch einleuchtender. „Meine Karriere ist das, worüber ich am meisten nachdenke… Es ist ganz schön hart, mit den ganzen Verpflichtungen herumzujongheren hier meine Musik, meine Solo-Karriere, da meine Filme, Fernsehen und all das andere.“
Macht dich das glücklich, nur arbeiten?
Ja. Dazu bin ich doch schließlich da. Wie Michelangelo oder Leonardo da Vinci“, seine Stimme erstirbt, er ist hin und her gerissen zwischen der Wahl, unbescheiden zu klingen oder die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit – so wie er sie sieht – ist. daß Talent sowieso von Gott kommt, ihm (Michael) braucht man dafür nicht auf die Schulter zu klopfen.
„Schließlich kann uns die Betrachtung großer Werke auch heute noch inspirieren.“
Solange es Stereoanlagen gibt, wird es also auch Michael Jackson geben?
Ja. Ich möchte gern weiterhin die Leute inspirieren und neue Sachen probieren, die noch keiner gemacht hat.“
Bis zu welchem Grad hat der Glaube an Gott sein Leben beeinflußt?
„Ich glaube an Gott Das tun wir doch alle. Wir wollen unser Leben in Ordnung halten, nicht verrückt werden, nicht an den Punkt komn.en, wo wir unsere Perspektive verlieren, das Gefühl dafür, was wir sind und wer wir sind. Viele Entertainer verdienen das dicke Geld und verbringen den Rest ihres Lebens damit, das Erreichen dieses einen Ziels zu feiern.
Mit dem Feiern kommen die Drogen, der Alkohol. Und dann versuchen sie. wieder klarzukommen, und fragen sich. , Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist passiert?‘ Sie haben sich selbst verloren und sind daran zerbrochen. Du mußt da vorsichtig sein und Disziplin zeigen.“
Ist Michael Jackson ein Mensch mit viel Selbstdisziplin?
„Ich bin kein Engel, das weiß ich. Ich bm kein Mormone wie die Osmonds oder sonst einer, bei dem alles geregelt, geregelt und nochmals geregelt ist. So was kann manchmal ganz schön bescheuert sein. Das geht einfach zu weit.“
Bestimmt nicht einfach, ein Engel zu sein und gleichzeitig als emer der „sexy-sten“ Künstler weit und breit zu gelten – mit Mädchen, die im Hinterhof campieren und solchen Sachen.
„Ich würde nicht sagen, daß ich sexy bm! Aber ich habe auch nichts dagegen, wenn die Leute das sagen.“ __ Gar nicht so gut ist es, „wenn du in einen Schwärm Mädchen gerätst, das passiert mir ständig. Du fährst los – und da stehen all diese Mädchen an der Ecke, fangen an zu kreischen und herumzuhüpfen – und ich verkrieche mich in meinem Sitz. Das passiert andauernd…
Meine letzte Wohnung kannte jeder, weil sie im Prominenten-Stadtplan eingezeichnet war sie kamen mit Kameras und Schlafsäcken, sprangen über den Zaun, schliefen im Hof und kamen ms Haus – wir haben überall Leute gefunden. Es ist verrückt. Selbst wenn du rund um die Uhr bewacht wirst, finden sie einen Weg, um hinemzuschlüpfen.
Die Leute trampen her, kommen zum Hausund sagen, daß sie mit uns schlafen wollen, daß sie bei uns bleiben wollen, und normalerweise endet es damit, daß einer der Nachbarn sie reinläßt. Wir lassen sie nicht hierbleiben. Wir kennen sie nicht.“
In Gary, Indiana, wo er aufwuchs, lief die Sache nicht viel anders. Er erinnert sich an „ein großes Baseball-Feld hinter unserm Haus, wo Kinder spielten und Popcom aßen und alles“ und daß es ihm nicht erlaubt war, mitzumachen.
Trotzdem. „Ich fühlte mich wirklich mcht_ ausgeschlossen.
Wir gingen zwar zur Schule, aber ich glaube, wir waren sogar da etwas Besonderes, weil uns die ganze Nachbarschaft kannte. Wir gewannen jede Talent-Show, unser Haus war voller Preise. Wir hatten immer Geld und konnten uns Sachen kaufen, die sich die anderen Kinder nicht leisten konnten, wir hatten immer volle Taschen und verteilten Süßigkeiten.
Aber meistens waren wir auf Privatschulen. Ich bm in meinem Leben nur auf eine öffentliche Schule gegangen. Ich habe es hier noch mal versucht, aber es hat nicht geklappt. „
Aber wenn du dem Leben größtenteils mit deinen Geschwistern verbringst – fallt ihr euch da nicht auf die Nerven? Kriegt man da keine Platzangst?
„Nein. Wenn wir unterwegs sind, werden wir albern und ausgelassen. Wir machen Spiele, bewerfen uns, haben nur dummes Zeug im Kopf. Wenn du unter Druck stehst, brauchst du eben Ablenkung, um damit fertig zu werden.
Eine Tour bringt jede Menge Spannungen: Arbeit, Interviews, Fans, die nach dir grabschen, jeder will ein Stück von dir, du hast ständig zu tun, die ganze Nacht klingelt das Telefon, du mußt den Apparat unter die Matratze schieben, dann hauen die Fans kreischend an die Tür, du kannst nicht mal aus dem Zimmer gehen, ohne daß sie dich verfolgen. Du bist ständig Mittelpunkt Wie in einem Goldfisch-Glas, wo jeder reinschauen kann.“
Was tust du, um nicht durchzudrehen?
„Ich besuche Museen, lerne und studiere. Sport treibe ich keinen – das ist zu gefährlich. Es geht schließlich um eine Menge Geld – und wir wollen keinerlei Risiko eingehen. Mein Bruder hat sich mal beim Basketball-Spielen das Bern verletzt; wir mußten das Konzert absagen: Nur weil er eine Stunde lang seinen Spaß hatte, mußten Tausende von Leuten auf die Show verzichten: und wir wurden von allen Seiten verklagt, bloß wegen eines Spiels. Ich glaube nicht, daß es das wert ist… Ich versuche wirklich, vorsichtig zu sein.“
Das heißt freilich nicht, daß äußere Einflüsse dafür verantwortlich gemacht werden, wenn mal irgendwas nicht klappt. Michael hat jeden Aspekt seiner Karriere fest im Griff Und er kritisiert seine eigenen Bemühungen mehr als die von irgend jemandem sonst.
„Ich bm nie zufrieden mit dem, was ich tue. Ich denk‘ mir immer, daß ich’s noch viel besser machen könnte. Ich glaube“, faßt er zusammen, „daß es gut ist, so veranlagt zu sein.“