MIA. im Interview: „Wir sehen langsam wieder den Silberstreifen am Horizont“
Die Berliner Band MIA. hat mit uns über die Corona-Politik, kritische Demos und das Zaubern mit Musik gesprochen.
Wir haben die Musikgruppe MIA. getroffen – auf einem Charity-Event der BVG. Die Berliner Elektropop-Band hat inmitten der ersten Pandemiewelle 2020 ihr siebtes Album LIMBO veröffentlicht und wurde von den Restriktionen und dem Lockdown hart getroffen – weder konnten ihre Releaseparty, noch darauffolgende Konzerte im vergangenen Jahr wie geplant stattfinden. Gründungsmitglieder Mieze Katz und Andy Penn, Robert Schütze sowie Gunnar Spies erzählen uns im Gespräch von Schock und Starre, Problemen in Gesellschaft und Politik sowie dem täglich Brot der Musiker*innen – und was man tun kann, wenn das ausbleibt.
Musikexpress.de: Ihr habt im März 2o2o Euer neues Album LIMBO herausgebracht. Um Euch damals zu zitieren: „Berlin steht niemals still“ – kurz danach ist genau das passiert. Wie habt Ihr darauf reagiert, dass direkt nach dem Release Stillstand war?
Mieze Katz: Es war eine Achterbahn der Gefühle. Schock und Starre. Das erste, das uns abgesagt wurde, war unsere Record-Release-Party zum neuen Album. Da wussten wir: Das, was jetzt um uns passiert, ist größer als wir. Es hat uns erwischt in einem Moment, in dem wir losrennen wollten, Kopf und Herz voran.
Robert Schütze: Anfangs hat es sich abseits unseres konstruktiven Nachvornedenkens manchmal wie ein Schlag in die Fresse angefühlt.
Wie habt Ihr das gelöst?
Mieze: Ich spürte von Anfang an große Kreativität und Zusammenhalt. Wir haben uns sehr schnell organisiert, etablierten Videotelefonie. Für uns war das neu und chaotisch, aber mittlerweile sind wir da eingegroovt. Wir haben neue Wege gefunden zu kommunizieren.
Warum habt Ihr das Album nicht verschoben?
Andy Penn: Ob das Ironie oder Schicksal ist – auf LIMBO geht es darum, Widrigkeiten mit einer positiven Einstellung zu begegnen. Es gibt Leute, die unsere Musik brauchen, in dieser Zeit mehr denn je. Es war ein Schock für alle, aber Schieben machte keinen Sinn für uns. Und das Feedback der Leute über Social Media war sehr heilsam.
Im Sommer konntet Ihr schließlich auftreten. Wie war das für Euch nach Monaten der Abstinenz?
Mieze: Wir arbeiteten intensiv mit Veranstalter*innen, die sich die ersten Hygienekonzepte überlegt haben, mit der Stadt und dem Land. LIMBO ist stark inspiriert von unserer Live-Energie. Wir machen Musik für Menschen, wir bringen Menschen zusammen. Das ist die Seele von MIA. Es waren ganz große Glücksmomente. Alles hat gelebt.
Wie sieht es mit politischer Unterstützung in der Krise aus? Hättet Ihr Euch mehr erhofft?
Andy: Geredet wurde ja viel. In der Umsetzung blieb aber nicht mehr allzu viel übrig. Dass bei Autofirmen, Fußball und Fluggesellschaften alles total schnell ging, es aber in der Kreativwirtschaftsbranche ewig dauerte, ist schwierig. Ich hätte mir nach den staatlichen Lippenbekenntnissen etwas mehr erwartet, gestehe ich.
Mieze: Zumindest etwas Realistischeres. Es sind durchaus Dinge passiert und es gab auch finanzielle Unterstützung. Aber generell war das so weit von unserer Realität entfernt, dass es mit unserem Beruf und der Art und Weise, wie wir Geld verdienen, unserem realistischen Bedarf, nicht viel zu tun hatte. Wir arbeiten ja genauso, um unsere Miete und unseren Unterhalt zu finanzieren. Uns hat die Situation einmal mehr gezeigt, dass die Musikbranche eine Lobby braucht.
„Jetzt zeigt sich, wo in diesem System die Lücken sind“ – Mieze Katz
Bis jetzt wirkte das Business zweigeteilt: Auf der einen Seite all die Leute, die man nicht sieht – die die Bühne aufbauen, das Licht machen, das Equipment besorgen, fahren, den Ton machen. Auf der anderen Seite die Künstler*innen, die du vorne siehst, auf der Bühne. Es ist jetzt unsere Chance, in und nach der Krise zu erkennen, dass wir alle eins sind. Wir gehören zusammen. Jetzt zeigt sich, wo in diesem System die Lücken sind.
Seid Ihr deshalb bei einem Charity-Event dabei?
Mieze: Ja, denn wir finden gut, dass sich gerade Allianzen bilden. Wie beim Dreh mit der BVG, wo von unerwarteter Seite Support kommt. Menschen fangen jetzt an zu sagen: ‚Wir sehen euch!‘ Das kommt genau zur richtigen Zeit. Denn: Wir in der Kultur sind die Allerersten, die aufhören mussten zu arbeiten und wir werden die Letzten sein, die wieder anfangen dürfen. Aber man sieht langsam wieder den Silberstreifen am Horizont.
Gunnar Spies: Um nochmal auf den Punkt mit der Lobby einzugehen – wir sind weder die Gaststätten noch die Tourismusindustrie, deshalb hatten wir keine Lobby. Es gibt viele Branchen, denen es super erging. Aber sichtbar zu machen, wie es den restlichen geht, können wir nur zusammen, und dafür sind solche Events super.
Mieze: Auch an die Medien ein Aufruf – jede Redaktion hat ebenso Verantwortung. Über die illegale Party im Park wurde zum hundertsten Mal berichtet. Aber was ist mit den ganzen Veranstalter*innen, die sich krass aus dem Fenster lehnen, weil sie nicht aufgaben? Jede*r von uns hat eine neue Art von Verantwortung und kann selbst entscheiden, wie er oder sie damit umgeht und was er oder sie sichtbar macht.
„Es ist gruselig, wie viele Menschen kein Problem damit haben, mit Nazis auf die Straße zu gehen“ – Robert Schütze
Was haltet Ihr von den Corona-Demos? Die wollten ja auch etwas sichtbar machen.
Robert: Krisen belichten Widersprüche über. Sie zeigen, dass es die Schwächsten zuerst trifft. In einer Krise liegt so etwas unter dem Brennglas. Ich finde es in Ordnung, für Dinge, an die man glaubt, auf die Straße zu gehen. Aber die Corona-Demos haben mich wirklich beschäftigt. Bei allen Widersprüchen, die sichtbar werden und waren, da hat sich für mich etwas vermischt. Es gibt so viele Leute, die kein Problem damit haben, mit Nazis auf die Straße zu gehen. Das ist gruselig. Das hat mich in manchen Momenten mehr beschäftigt als die Pandemie an sich. Ich dachte mir: ‘Ey scheiße, was fällt hier gerade auseinander?’ Es ist mir unbegreiflich, dass so viele Menschen in meiner subjektiven Wahrnehmung aussteigen und beginnen, von Diktatur zu reden. Ich bin in der DDR groß geworden, und plötzlich gibt es junge Leute, die in der heutigen Zeit von Diktatur reden.
Mieze: Und so etwas spaltet die Gesellschaft. Was wir gerade erleben, schafft man nur zusammen. Deshalb sind wir heute hier: um Musik zu machen. Künstler*innen zu vereinen. Ich bin daher dankbar, dass wir das Album veröffentlichen konnten. Ich liebe dieses Album. Auch, wenn es die schlimmste Veröffentlichung unseres Lebens war. Aber da sind Lieder drauf, die berühren so sehr – zum Beispiel das Lied „Reisen“. Wir konnten nicht ahnen, dass das mal unsere Hauptbeschäftigung sein wird, das Reisen in Tagträumen. Das konnten wir nicht wissen, als wir es geschrieben haben. Oder das Lied „Sorgenfalter“. Es ist eine Zeit des Zusammenfindens.
Wie bringt Musik Menschen zusammen?
Mieze: Menschen dachten eben noch, sie haben nix miteinander zu tun, und genau das schaffen Musik und Konzerte für mich: Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder zaubern zu dürfen und diese Unterschiede zusammenzuschmelzen. Menschen, die glauben, dass sie sehr unterschiedlich sind, sehen auf einem Konzert, dass sie doch alle zusammengehören.
MIA.s aktuelles Album LIMBO ist am 27. März 2020 erschienen.
LIMBO im Stream hören: