#MeToo: Warum wir mit dem Hashtag aufhören und im Alltag weitermachen müssen
Eine Debatte in den sozialen Netzwerken wird nicht viel verändern. #MeToo hat eine Tür geöffnet. Jetzt müssen wir auch durchgehen.
Dieser Text erschien zuerst im Musikexpress 01/2018 und begleitend zu Dirk Peitz‘ „Das Schweigen der Männer“.
Natürlich ist #MeToo ein Glücksfall. Ein Momentum, ein Ventil. Ein masturbierender Elefant mitten im Raum, über den man jetzt gezwungen ist, zu sprechen. Völlig zu Recht ist dieser Hashtag von Frauen (und Männern) genutzt worden, um Erfahrungen zu teilen und auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Und zwar von so vielen, dass jetzt wirklich keiner mehr sagen kann, ihm wäre nicht klar, wie verbreitet sexistische Strukturen immer noch sind. Und wer genau hinhörte und hinschaute, erkannte schnell: Der eigentliche Kern von #MeToo, das ist nicht das Ich, nicht das Du, nicht der Einzelne – das sind wir alle.
Das Internet ist für die Debatte ein genauso guter wie schlechter Ort
Und so wirkungsvoll der Hashtag war, er neigt eben auch dazu, von genau dieser Wahrheit abzulenken. Das liegt zum einen an den vielen Geständnissen prominenter Schauspieler/innen und Sänger/innen, die von skandalhungrigen Medien – den Hütern und Motoren unserer erbarmungslosen Aufmerksamkeitsökonomie – dankend und zum Teil boulevardesk aufgegriffen werden (Auch das ist eine Wahrheit: Wir leben in einer aufgegeilten Gegenwart, die den Skandal fast so sehr herbeisehnt wie Sex). Zum anderen ist das Internet für diese Debatte ein genauso guter wie schlechter Ort: Denn dieselben Mechanismen, die die Offenheit der vielen #MeToo-Erzählungen ermöglichen (Anonymität, vermeintliche Trennung von Realität und Netzkommunikation etc.), begünstigen auch die Verteidigungsfloskeln („Sind ja nicht alle Männer so“) und Beleidigungen, die den Betroffenen in den sozialen Medien entgegenschlagen.Vor allem stehen sie auch einer Übersetzung in den Alltag im Weg: Zwischen Tweets und Facebook-Posts, Shitstorms und digitalem Fingerzeigen kann man schon mal vergessen, was das alles eigentlich mit uns selbst zu tun hat. Mit meinem Leben und mit dem von Millionen anderer Frauen und Männer. Einzelfälle sind nur Teil des großen, ganzen Problems. Und ein Hashtag ist nur ein Hashtag – ein abstraktes Schlagwort für ein sehr konkretes Problem. Er hat seinen Job erledigt. Jetzt müssen wir mit dem Tweeten aufhören und im alltäglichen Handeln anfangen. Das ist der einzige Ort, an dem es wirklich zählt.
Wir sollten mit dem Denken in zwei Lagern aufhören. Frauen gegen Männer, Angriff und Verteidigung, Opfer und Täter – das nervt.
Wo wir schon mal dabei sind: Ich würde mir wünschen, dass wir endlich mit diesem bekloppten Denken in zwei Lagern aufhören. Frauen gegen Männer, Angriff und Verteidigung, Opfer und Täter – das nervt. Wie wäre es, wenn wir zur Abwechslung versuchen, alles zusammen zu denken? Denn, wenn man so will, sind wir alle sexistisch – auch wenn es schmerzt, das zu sagen, besonders als Frau. Sexismus, das ist nicht nur das Diskriminieren, Herabwürdigen oder Begrabschen, sondern auch die verinnerlichten Geschlechterbilder, die unser Handeln bestimmen. Wir wiederholen diese Bilder täglich: Männer lachen über den blöden Spruch, den ein Kumpel über die Oberweite einer Frau macht, Frauen reden sich selbst und gegenseitig ein Schuldbewusstsein wegen eines zu knappen Outfits ein. Wir sagen „Schlampe“ (oder protestieren nicht, wenn ein anderer es tut), sagen „Weichei“ (oder finden es okay, das zu sagen).
Wir sind nicht alle schlechte Menschen, ändern müssen wir uns trotzdem
Wir zelebrieren Klischees, wir erwarten, dass sich eine Frau so und ein Mann so benimmt, wir schämen oder zerbrechen uns den Kopf, wenn etwas anders läuft und halten viel zu oft die Klappe – aus Anstand oder Angst vor den Folgen. Wir sind deshalb nicht alle schlechte Menschen. Ändern müssen wir uns trotzdem. Und dabei werden wir uns gegenseitig helfen müssen. Zugegeben, das ist einfacher gesagt als getan. Es ist sogar sehr, sehr kompliziert. Weil es ja nicht zuletzt bedeutet, sich von Jahrhunderte oder gar Jahrtausende lang geformten Normen und Machtstrukturen frei zu machen. Nicht nur, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Gerade auf dem Terrain zwischen Flirt und Aufdringlichkeit wird #MeToo für einige Unsicherheiten sorgen. Und das ist das Beste, was uns passieren kann. Weil es uns zwingt, wachsam und sensibel zu sein für Grenzüberschreitungen. Und die Regeln neu auszuhandeln.