Memphis-Rap: Was den düsteren HipHop aus den Südstaaten ausmacht
Wir nehmen das Sub-Genre und seine Protagonist:innen genauer unter die Lupe.
US-Rap aus den 90er-Jahren – für viele die goldene Ära des HipHop. Der raue, harte Sound des East-Coast-Boom-Bap und der partytaugliche G-Funk der West Coast definieren diese Periode für gewöhnlich. Und das auch zurecht, jedoch wird dabei ein Sub-Genre unterschlagen, dessen Einfluss und Geschichte nicht verkannt werden sollte – Memphis-Rap, auch bekannt als Memphis-Horrorcore. Die unheilvollen, geradezu teuflischen Beats, sowie die brutalen Lyrics, die die Rapper:innen mit dem typischen Memphis-Flow vortragen, prägen den HipHop bis heute.
Die Ursprünge von Memphis-Rap
Als Gründervater des Sub-Genres gilt weithin DJ Spanish Fly. Der ursprüngliche House-DJ entwickelte gegen Ende der 80er-Jahre einen düsteren, langsamen Sound, den er immer wieder in seine Sets einfließen ließ. Er popularisierte beispielsweise die Roland TR-808 Drum-Machine, deren knallharte Samples heute aus der HipHop-Szene nicht mehr wegzudenken sind. DJ Squeeky, ein Fan von Fly, erkannte darin das Potenzial für Rap-Instrumentals. So entstanden zu Anfang der 90er-Jahre schnell die ersten Independent-Mixtapes, auf denen Artists wie 8Ball & MJG oder Kingpin Skinny Pimp vertreten waren. Squeeky und seine Kolleg:innen fertigten alle Aufnahmen selbst an, produzierten die Tracks im Home-Studio und waren sogar selbst für die Distribution verantwortlich. Bei vielen dieser Tapes liegt die Stückzahl bei unter 100, was sie zu echten Sammlerstücken macht. Einige davon sind (fragmentarisch) online verfügbar, wie etwa VOLUME 1, dessen DIY-Charakter nicht zu überhören ist.
Die ersten Rap-Stars aus Memphis: Three 6 Mafia
Perfektioniert wurde der sinistre Memphis-Sound aber durch DJ Paul & Juicy J, die Anfang der 90er – gemeinsam mit Pauls Halbbruder Lord Infamous – die Rap-Crew Backyard Posse gründeten, aus der später die Three 6 Mafia wurde. Paul Duane Beauregard (DJ Paul), Jordan Michael Houston III (Juicy J) und Ricky Terrell Dunigan (Lord Infamous) hoben die Horror-Elemente, die sich im Kern schon in Flys und Squeekys Mixtapes fanden, auf ein neues Level. Paul und J verarbeiteten Samples aus Gruselfilm-Soundtracks und harte TR-808-Drumloops zu düsteren, tranceartigen Beats, die Lord Infamous und schon bald weitere Künstler:innen mit Rap-Parts über das brutale Leben in ihrer Stadt schmückten.
So erweiterte sich der Kreis um die Backyard Posse schnell: Crunchy Black, Gangsta Boo und Koopsta Knicca schlossen sich dem Trio an, um schließlich Three 6 Mafia zu gründen. Um die Kerngruppe formte sich ein Kollektiv, denen bekannte Rapper wie Project Pat, Kingpin Skinny Pimp, Gangsta Blac, Frayser Boy und viele weitere angehörten.
Auch unabhängig von den Pionieren der Mafia konnten sich weitere Artists etablieren. Wichtige Namen sind hier beispielsweise DJ Zirk, Al Kapone, M.C. Mack, Princess Loco und Tommy Wright III. Sie alle verband der Sound ihrer lokalen HipHop-Szene.
Das macht den typischen Memphis-Sound aus
Die Producer aus Memphis waren in ihren Möglichkeiten stark limitiert. Die Home-Studios, in denen die meisten Produktionen entstanden, verfügten nur über simples Equipment, etwa einfache 4-Tracks, oder die bereits erwähnte TR-808. Sie mussten also Wege finden, um ihre Vision trotz des beschränkten Rahmens umzusetzen. Die Geräte wurden von ihrem eigentlichen Zweck entfremdet, um einem neuen Sound die Tür zu öffnen. DJ Paul & Co spielten ihre auf der 808 programmierten Drumloops in Halftime – also mit halbiertem Tempo – ab, um die aggressive Grundatmosphäre zu schaffen. Das daraus entstandene durchgezogene Hihat-Pattern, das den Mainstream-HipHop der vergangenen Jahre mitbestimmt hat, hat hier seinen Ursprung. Auch der 808-Bass, wie HipHop-Heads ihn heute kennen, ist eine Erfindung der Memphis-Beatmaker. Ein weiteres Element ist die Cowbell des Roland-Drumcomputers. Durch Pitchen wurde sie zu einer melodischen Komponente umfunktioniert. Der Track „Murder in the First“ von Tommy Wright III aus dem Jahre 1994 ist ein gutes Beispiel, bei dem all diese Techniken zum Einsatz kommen.
Das Samplen war auch in Memphis eine gängige Technik, um Beats zu produzieren. Allerdings hatten die DJs dort einen anderen Zugang dazu: Statt Jazz-Klassiker á la East-Coast, oder Soul und Funk wie im Westen, griffen Producer in Memphis zu Horrorfilm-Soundtracks oder ähnlich düster klingender Musik. Im Gegensatz zu ihren Kollegen in den HipHop-Hochburgen choppten sie ihre Samples nur sehr grob, ließen sie sogar teilweise komplett unverändert über ihre Drumloops laufen. Allgemein sind die Beats monoton gehalten, es gibt wenig Switch-Ups oder B-Parts. „Shit Popz Off“ von DJ Zirk veranschaulicht diese Art von Beat. Das (noch unbekannte) Sample läuft hier für knappe fünf Minuten durch.
Fun Fact: Efro und Funkvater Frank haben den Beat für den Gianni-Suave-Track „The Hills Have Eyes“ aufgearbeitet.
Zwar sind hier und da auch Soul- und Jazz-Samples zu hören – siehe etwa den ikonischen Track „Sippin‘ on Some Syrup“, der sich bei Marvin Gaye bedient – sie haben aber keinesfalls die Relevanz wie in anderen Teilen der USA zu dieser Zeit.
Das Sampling als Hommage
Der Song zeigt außerdem ein weiteres Phänomen, das in diesem Genre anzutreffen ist: Einzelne Vocals aus älteren Tracks werden herausgepickt und zu Hooks zusammengebastelt. Am Beispiel von „Sippin‘ on Some Syrup“: Die Hook, die nur aus der Line „Sippin‘ on some sizzurp“ besteht, kommt eigentlich von dem Track „Ballers“ von Project Pat und Gangsta Boo. Einige der bekanntesten Nummern aus Memphis wenden diese Technik an.
Ein weiteres Beispiel: „Powder“ von Gangsta Blac ist fast komplett von dem Vocal-Sample „Powder get you high“ durchzogen. Dabei heißt es im ursprünglichen Track „Dirty South“ von Goodie Mob eigentlich „Powder get you hyper“.
Der Flow und die Lyrics
Nicht nur die Producer aus Memphis machten sich besondere Techniken zunutze. Auch die Rapper:innen trugen ihren Teil zum charakteristischen Sound bei. Die angewendeten Flows sind diverser, als es ein erstes Reinhören in manche Tracks vermuten lässt. Lord Infamous beispielsweise popularisierte den sogenannten Triplet Flow. Für jede Viertelnote im Beat rappte er drei Silben. Eine Technik, die sich später vor allem die Migos zu eigen machten.
Ein Beispiel für den Triplet Flow findet sich auf „Where’s Da Bud“ von Three 6 Mafia:
Abgesehen davon prägten die MCs monotonere Flows, in denen sie so viele Silben wie möglich mitnehmen, um den tranceartigen Vibe ihrer Musik zu unterstützen. Diese können mal mehr, mal weniger aggressiv vorgetragen werden.
Thematisch dreht sich Memphis-Rap meistens um Themen wie Drogen und Gewalt, driftet aber manchmal auch ins Okkulte ab. Fest steht jedenfalls, dass die Artists aus dieser Stadt – Rapper:innen und Producer:innen gleichermaßen – stark von ihrem unmittelbaren Umfeld beeinflusst waren.
Von Memphis in die weite Welt hinaus
Im aktuellen Mainstream-HipHop ist der Einfluss dieser Musik unverkennbar herauszuhören. Egal, ob es um die Drumloops, den 808-Bass oder den Triplet Flow geht – Memphis-Rap hat den HipHop von heute geprägt und fliegt dennoch bei vielen, vor allem jüngeren Rap-Fans, unter dem Radar. Wer zum Beispiel 21 Savage, Migos, Future und A$AP Rocky feiert, sollte diesem Genre zumindest mal eine Chance geben.
Eine Playlist, die euch eine kleine Einführung in Memphis-Rap bietet, findet ihr hier:
Nicht nur amerikanische Mainstream-Künstler:innen finden hier viel Inspiration, auch Musikrichtungen wie Cloud Rap, Mumble Rap, oder Phonk haben ihre Wurzeln in Memphis. Selbst in unseren Breitengraden finden wir Artists, die in die Fußstapfen von DJ Paul, Juicy J & Co. treten. Lugatti & 9ine etwa verweisen in ihren Verses öfter darauf. Traya, der für die beiden produziert, sampelt für seine Hooks alte Memphis-Songs, ganz in der Tradition seiner Vorbilder. Die Hook von „AK“ ist beispielsweise dem Track „Hit The Blunt“ von Gimisum Family entnommen.