Melt! Festival 2013: Nachbericht und Fotos vom Samstag – mit Babyshambles und Woodkid
Unser Samstags-Nachbericht vom Melt! Festival 2013 bringt die Erkenntnis, dass es Pete Doherty von den Babyshambles gerade richtig gut zu gehen scheint.
Heute sind wir früher da – zu früh? Ziemlich verwaist ist das Festivalgelände, aber das ist wohl auch kein Wunder: die Nacht dürfte für viele hier (uns eingeschlossen) ziemlich lang geworden sein, denn auf dem Melt! geht es für manch einen ja erst ab 3 Uhr morgens richtig los mit dem Bumm Bumm, und jetzt um 17 Uhr brennt die Sonne mit einer Intensität auf uns herab, die mit so etwas wie einem Kater wohl eher weniger vereinbar ist.
Als das KOMPAKT-Aushängeschild Michael Mayer um 17 Uhr auf der Big Wheel Stage mit seinen angenehm zurückhaltendem DJ-Set beginnt, ist entsprechend wenig los. Ein paar Nimmermüde hüpfen zwar schon (oder noch?) recht energetisch umher, ansonsten sieht das doch eher noch nach Schlurftanz aus. Zumindest steht man hier im Halbschatten. Auch was wert, aber trotzdem mal sehen, ob auf der Hauptbühne schon was los ist. Das ist los: kurz vor 18 Uhr warten genau 23 Menschen auf den Auftritt der Synthie-Pop-Gruppe Claire. Jetzt sieht man erst mal so richtig, wie riesig das Gelände vor der Bühne eigentlich ist. Dann also Claire, und es lassen sich schließlich doch noch einige Leute mehr von der durchaus hörenswerten Musik anlocken. Hätte einem ja sonst wirklich leid tun können, die Band.
Kurz Cola tanken im Pressezentrum, und auf geht’s zum Mainstage-Auftritt von Sizarr, einer außerordentlich begabten jungen Formation aus Landau, die … ja was denn eigentlich für Musik macht? Sagen wir mal eine sehr schöne, leicht dunkle Fusion aus elektronischen Grundierungen, analogem Schlagzeug und Gitarren und einem wunderbaren brüchig-souligem Gesang. (Leider kein Platz, das hier detailliert auszuführen – einfach mal in das tolle Debüt reinhören!). Recht verkniffen schaut Sänger Florian Altstötter drein, als die Band auf die Bühne tritt – Sonnenbrille vergessen? Gitarrist/Elektroniker Philipp Hülsenbeck hat jedenfalls die Sonnencreme vergessen, denn der hat in etwa die Gesichtsfarbe von Mr. Krabs aus „SpongeBob“. Dann die schwer beschreibbare Musik, die auch live sehr schön gerät – wenn nur die Ansagen von Altstötter nicht so seltsam wären. Ob nun die zum Ausdruck gebrachte „Freude“, hier auf der Hauptbühne spielen zu dürfen, die Feststellung, dass sowohl die Eltern der Bandmitglieder als auch jene der Zuschauer stolz sein dürften ob dieses gemeinsamen Events, oder Hoffnung, dass das Publikum auch viel „fun“ auf dem melt! habe: all das bringt Altstötter mit einem gallig-distanziert-gelangweilt-zynischem Ton zum Ausdruck, der anfangs noch ganz unterhaltsam wirkt („We love you!“ oder „You guys are great!“ hat man ja bereits zur Genüge gehört), dann aber irgendwann nervt.
Also weiter zur Big Wheel Stage, wo Christian Löffler, ein junger, musikalisch etwa Pantha Du Prince nicht unähnlicher Produzent, ein Live-Set zum Besten gibt. Ein riesiger blonder Schlaks ist das, der rotgesichtig und sonnenbeschienen über seinen Knöpfen hängt, allem Anschein nach ebenfalls nichts von Sonnenbrillen hält, und zu allem Überfluss noch ein hochgekrempeltes Sweatshirt überm T-Shirt trägt. Warm konnte es einem aber auch von dieser exquisiten Musik werden, denn die war deep wie der Mariannengraben, sehr tanzbar und von formvollendeter Eleganz. Sehr große Freude im Publikum – und beim Verfasser dieser Zeilen, der jetzt das Notizbuch Notizbuch sein lässt, um sich einfach mal nur aufs Tanzen/Genießen zu konzentrieren – muss ja auch mal sein!
Danach kurze Ratlosigkeit, denn für die zerhexelten Frickelbeats vom eigentlich schon sehr tollen Modeselektor-Kumpel Siriusmo fehlt nach dem Bad im Löffler-Ozean irgendwie das Ohr. Dann halt mal rüber zur Gemini Stage, wo die schmächtigen Knaben von Roosevelt aus Köln spielen. Aufgeräumt-fluffiger Gitarren-Synth-Pop ist das; sehr hübsch, etwas The-Whitest-Boy-Alive-alike, aber auf Dauer auch ein bisschen fad, da wenig abwechslungsreich. Wer spielt denn sonst noch? Kettcar auf der Mainstage? Wie passen die denn hier in dieses hippe Line-Up rein? Na ja, gucken kostet ja nix. Als man ankommt, und der Sänger Marcus Wiebusch gerade mit dieser grauslig pathetischen Intonation davon singt, dass man immer machen solle, was das Herz einem sagt, sagt das Herz prompt: Fort von hier, aber ganz schnell! Das Herz (oder vielleicht doch eher das Hirn) sagt einem dann, dass es vielleicht nicht verkehrt wäre, ins Intro Zelt zu schauen, wo Ry Coming und Frank Wiedemann spielen sollen. Mmh, ist das jetzt ein Musikjournalisten-Sakrileg, wenn man zugibt, nie etwas von dieser Formation gehört zu haben? So war das jedenfalls noch gestern. Heute zieht´s einem schon beim Gedanken an diesen Auftritt eine Gänsehaut auf, denn der war schlichtweg:
Wahnsinn! Hach, was die Fusion zwischen Digitalem und Analogem für ein Potenzial hat! Atemberaubend ist das, wie die saftig-treibenden Beats vom Elektronik-Produzenten Wiedemann, das famos detailverliebte Spiel vom Tourschlagzeuger unbekannten Namens, die sparsam eingesetzten Gitarren und schönst huschiger Gesang von Coming auf ein Publikum treffen, das sich vor Begeisterung geradezu überschlägt. Da ist man sofort mit drin, tanzt, staunt, ob des herrlich verquer ausgewalzten Covers von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ und gibt sich sogar der kollektiven Händer-überm-Kopf-Mitklatscherei hin.
Nach einer kurzen Brotzeit- und emotionaler Verdauungspause ein kurzer Ausflug zu Disclosure, die die hocheuphorisierte Gemini Stage aus allen Nähten platzen lassen. Beeindruckend was da los ist, aber nach der Extase im Intro-Zelt ist’s eher schwierig da rein zu finden.
Oha, 22 Uhr: Tricky im Intro-Zelt. Na dann, nix wie hin! Als dann schließlich eine dünne Gestalt mit kompletter Live-Band auf der abgedunkelten Bühne steht und eine rock’n’rollige Nummer spielt, die irgendwie ein wenig wie Frank Popps „Hip Teens (Don’t wear Blue Jeans)“ klingt, fragt man sich kurz: Ist er das denn wirklich? Dann klingt das neue Stück „Nothing’s Changed“ an, die dünne Gestalt greift zum Spliff, der vorm Schlagzeug deponiert ist, reimt mit dunklem Organ dunkle Zeilen ins Mikro, und die Zweifel sind ausgeräumt. Irgendwie wird’s im Anschluss dann aber doch ein wenig zu gitarrenbretterig und rockig – TripHop steht im definitiv besser zu Gesicht; also raus, frische Luft schnappen, und ein wenig den Pauken-und-Trompeten-Bombast von Woodkid auf der Mainstage anschauen, wo´s nun ebenfalls sehr voll geworden ist.
Das bärtige Woodkid gibt gerade den Florian-Altstötter-Gegenpart, indem es dem Publikum verkündet: „I have to tell you something: I think (kurze Kunstpause) … I LOVE YOU!!! Man will ja jetzt nicht dauernd rumnörgeln, aber das muss jetzt auch wieder nicht sein. Na ja, wurscht, musikalisch ist’s auf jeden Fall recht ansprechend, wenngleich im Habitus doch sehr effektheischerisch. Da wird auf die Pauken eingehauen, als gäb’s kein Morgen mehr, bläst sich die tolle Bläsersektion einen Wolf, erklingen Streicher und Chöre aus der Keyboard-Konserve, während im Hintergrund Statuen zerbröckeln und futuristisch anmutende Cyber-Städte sich in den Himmel heben. Ein bisschen hört sich das auch nach der Musik an, mit der Strategiespiele am Computer bevorzugt unterlegt werden. Darauf eine Leberkäs-Semmel!
Danach wird’s natürlich richtig spannend: Kommen sie oder kommen sie nicht, die oft so unzuverlässigen Babyshambles? Klar kommen sie, denn sonst würden ja nicht so eifrig die Gitarren gestimmt werden. Und da stehen sie auch schon am Bühnenrand, bilden einen Kreis wie die deutsche Nationalmannschaft vorm Fußball spielen, und marschieren ein: „Wie geht’s?“, fragt ein deutlich weinseliger und überraschend schlanker Pete Doherty mit Kapitänsmütze auf dem Kopf und Zigarre in der Hand. „Angenehm hier, oder? Angenehm. You see: I have a große Klappe!“ Große Klappe? Das war doch mal eine sehr nette Begrüßung! Zum Einstieg: „Fireman“ vom neuen Album; ein rotzig-kracherter Zweiminüter, der gleich mal richtig Spaß macht, und mit dem Doherty & Co. auch beweisen, dass sie voll und ganz auf der Höhe sind. In Topform möchte man fast sagen, wenn man so einen Begriff denn auf Herrn Doherty anwenden kann. Sehr tight, sehr inspiriert, sehr großartig spielen sie jedenfalls auf.
In der folgenden Stunde Babyshambles dann viel Wein für Pete, herrliche Stücke vom letzten Album SHOTTER’S NATION („Delivery“, „Carry On Up In The Morning“), sehr hübsches neues Material, wie etwa das bereits veröffentlichte (vielleicht etwas brave) „Nothing Comes To Nothing“ oder die berührende Emo-Hymne „Farmer’s Daughter“ für uns. Zum darnieder knien: „Killimangiro“ (mit bestechender Lässigkeit und Prägnanz dargeboten) und „Albion“ („We can go to: Leipzig, Krefeld, Düsseldorf“ sowie einen Ort namens Looooaaaah) vom Debüt, bevor dann zum Schluss obligatorischerweise mit „Pipedown“ und „Fuck Forever“ zum Grölen und Hüpfen gebeten wird, Doherty erst seinen Mikrofonständer und dann sich selbst auf den Boden wirft, Lust auf Huckepack bekommt, und seinem etwas überrumpelten Gitarristen Mick Whitnall während des Spielens auf den Rücken springt. Wie schön, dass es ihm gut zu gehen scheint.