Melt!, Ferropolis


Nach Jahren holprigen Wachstums hat die Party zwischen Braunkohlebaggern ihren Modus Operandi gefunden.

Endlich, nach zwei nassen Jahren, ist hier Name wieder Programm: Die Sonne knallt auf das Festivalgelände. Schnell aber wird die Freude darüber auf eine harte Probe gestellt. Fast wird es zu viel des Guten. Wie beim mitreißenden Auftritt Yeasayers. Doch die erweisen sich als hartgesotten, obwohl Sänger Chris Keating Zweifel anmeldet, dass er die Hitze im Zelt überleben wird. All jenen, die mit dem zweiten Album Odd Blood bislang gefremdelt haben, beweisen die Brooklyner, dass die poppigere Ausrichtung keineswegs zu Lasten ihrer Experimentierfreude geht. So holen sie zum Finale The Very Best auf die Bühne, die zuvor mit hüpfendem Afro-Pop das passende Programm zum Wetter geliefert haben und präsentieren ein kurz zuvor abgesprochenes Remake ihrer Single „Ambling Alp“.

Dass man vom Wetter auch unbeirrt sein kann, beweisen Hurts. Das Duo aus Manchester verbindet den Pop-Appeal von Spandau Ballet mit dem hymnischen Bombast von OMD. So richtig funktioniert das hier jedoch nicht. Wohl soll ihr opernsängerhaftes Outfit Pathos vermitteln. In diesem Setting wirken sie mit ihrer betont hölzernen Motorik aber eher wie Vertreter, die dem Publikum eine Idee verkaufen wollen. Immerhin ist ihr Auftritt Beleg dafür, dass den Melt!-Bookern wieder ihre bewährte Mischung aus Kontinuität und Innovation geglückt ist. Dass Etabliertes in Gestalt von Acts wie Booka Shade und Tocotronic überwiegt, hat wohl weniger mit fehlendem Wagemut zu tun, als mit der Tendenz, die auch in Jahresrückblicken immer wieder ein Thema ist: Das große neue Ding gibt es nicht mehr, auch wenn es oft herbei beschworen wird. Dafür differenzieren sich Nischen immer weiter aus, gelegentlich gelingt ein spannender Brückenschlag. Ob das auf der Bühne funktioniert, steht aber auf einem anderen Blatt. Und so ist auch in diesem Jahr das Melt! wieder ein Festival mit einigen Überraschungen. Zum Beispiel entwickelt der gar nicht sonderlich aufregende Blues-Rock des Archie Bronson Outfits einen ganzen eigenen Sog, Psychedelik und Härte trinken Brüderschaft. Das bizarre Outfit des Trios – bärtige Engländer gehüllt in afrikanische Gewänder – ist nur das Tüpfelchen auf dem i eines skurrilen, energiegeladenen Auftritts.

Am Samstag wirkt bei angenehmen Temperaturen die vorangegangene Hitze-nacht nach. Folk-Punk-Rapper Jamie T findet sein Publikum zu träge und bemüht sich bodenständig um mehr Engagement – mit Erfolg. Ein bisschen zickiger reagieren Hercules And Love Affair (Foto) auf die spürbare Erschöpfung. Die nach der Umformierung des Line-ups dazugekommene Sängerin Aerea Negrot fragt unwirsch: „Seid ihr müde, oder was?“ Es liegt wohl aber nicht nur am neuen, noch unveröffentlichten Material, dass die Menge sich schwertut. Der ehemals luftige und grenzgängerische Sound wurde überarbeitet und klingt jetzt nach Disco im 70s-Gewand. Selbst der Überhit „Blind“ verpufft ohne magischen Moment.

Doch für Enttäuschungsgefühle bleibt bei Melt! kaum Platz. Das Elektro-Funk-Duo Chromeo steht in den Startlöchern und lässt sich von zunehmend Verstrahlten feiern. Als sich am Sonntagabend die ganze Aufregung etwas gelegt hat und Massive Attack ihr atmosphärisches Abschluss-Set spielen, denkt man: „So könnte es jetzt noch ein paar Tage weiter gehen …“

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