Melt! 2012: Ekstase! Blutende Fingerkuppen… und Federboas
Auf dem Melt! Festival dreht sich alles um Wettervorhersagen, die richtige Verkleidung und die monströsen Bühnenbilder der Elektro-DJs. Aber auch um Sonnenscheinrock, Außenseiter und Neon-Indianer.
Der Freitag:
Auf dem Melt! Festival dreht sich alles um Wettervorhersagen, die richtige Verkleidung und die monströsen Bühnenbilder der großen Elektro-DJs. Dazwischen stecken Sonnenscheinrock, Außenseiter und Neon-Indianer.
Ja, es hatte ziemlich schlecht ausgesehen für das Melt-Festival. Die Wetterdienste kündeten von einem Tief. Auch über Gräfenhainichen? Ja, bestätigten die Smartphone-Apps, insbesondere über Gräfenhainichen – und prognostizierten Dauerregen auf der Ferropolis. Und dann zeigt sich, was von präzisen Wettervorhersagen zu halten ist. Am Freitag Nachmittag hört der Regen, entgegen aller Vorhersagen, auf.
Zwischen den Kränen der Ferropolis sind The Rapture zwar etwas wortkarg, aber sie spielen routiniert ihre Show. Das Melt-Publikum dankt, feiert unter Hello-Kitty-Partyhütchen, die ersten Wasserbälle fliegen, und wenn Luke Jenner es befielt, strecken ihm alle die Arme entgegen.
Die Überraschung des Abends spielt auch auf der Hauptbühne und heißt Plan B. Ben Drew lässt beatboxen und gibt im feinen Zwirn und mit großer Band Soul-Pop zum Besten. Nur kurz bevor Drews Soul eine Spur zu schmalzig wird und das Publikum dabei ist, in einen gemächlichen Schunkel-Schwoof à la Michael Buble abzudriften, mixt der Engländer seinen Soul mit harten Beats. Es schäme sich, wer vorher noch an Michael Buble denken musste.
Unterdessen spielen M83 sich und das Publikum im Gemini-Zelt in Ektase. Gitarrist Yann Gonzales wirkt im schwarz-weißen Shirt wie ein aristokratischer Jack White. Es gibt große Posen. Fast reißt sich Gonzales die Gitarre vom Hals und bei all der Leidenschaft, mit der er die Saiten bearbeitet, muss man zwangsläufig an blutende Fingerkuppen denken. Was auch immer der Mann will, das Publikum ist bereit es zu geben. Der Mob reckt ihm die Arme entgegen, singt, zuckt, längst liegen die Hello-Kitty-Hütchen zertreten im Dreck. Danach unken vor allem die, die alles nur von einem der Randplätze aus mitbekommen haben. Ja, M83 hätten auf der Hauptbühne spielen können, aber den Clubfaktor, den verdankt ihre Show dem heimeligen Zelt.
Mittlerweile stimmen die Smartphone-Apps wieder, es regnet. Ausgerechnet zum Auftritt von Bloc Party. Kele Okereke entschuldigt sich. Die Fans trotzen dem Wetter. Dafür bekommen sie allerdings nur wenig vom neuen Album zu hören. Der Regen wird stärker, Stimmung will unter den Regenmänteln nicht so recht aufkommen.
Vom Regen profitiert der erklärte Außenseiter des Melt. Rufus Wainwright hat es sich im Zelt gemütlich gemacht, es brennen Kerzen, die Bühne hüllt sich in einen Vorhang aus rotem Samt. Weil es draußen so ungemütlich ist, ist das Zelt fast voll. Natürlich kennt Wainwright die Kleiderordnung auf Festivals, trägt daher eine rote Sonnenbrille zum roten Glitzer-Pulli. Wainwright weiß, das die meisten Festivalbesucher noch nie von ihm gehört haben. Dabei passt das Publikum perfekt zu ihm, schließlich trägt hier jeder dritte Glitzerlidschatten zum Schnäuzer und auch Federboas gehören bei den Herren auf den Campingplätzen zum guten Ton. Und weil Wainwright weiß, dass er hier nichts zu verlieren hat, spielt er ein zauberhaftes, mitreißendes Set. Bei der letzten Nummer„Bitter Tears“ kriegt er fast alle im Zelt dazu, mitzutanzen.
Frittenbude kommen zu spät und nicht alle Audiolith-Jünger bekommen das mit. Die drei machen dann das Übliche: ein bisschen Bass, ein bisschen Mittelfinger gegen Deutschland und ein bisschen Elektro. Vor allen Dingen machen sie auf Sparflamme, wahrscheinlich sind sie müde. Der Regen hat ein wenig nachgelassen, und diejenigen, die nicht wissen, dass gerade Frittenbude auftreten, tanzen zu den dröhnenden Bässen Neros. Der letzte Blick gilt der apokalyptischen Bühnendekoration, das Pult gleicht der Schaltzentrale eines Raumschiffs.