Mein Lieblingstape: Musiker*innen stellen ihre Kassetten vor
Kat Frankie, Captain Sensible, Joan As Police Woman, Thorsten Nagelschmidt, Romano und John Victor zeigen Euch ihre Abzüge.
Manche Dinge überdauern die Zeit: Mixtape und Ghettoblaster sind auch in digitalen Zeiten mehr denn je Ikonen der Popkultur. Vielleicht, weil wir damit so viele Erinnerungen verbinden. Das kompakte Magnetband in Plastikhülle kann man auch nach 20 Jahren abspielen – vorausgesetzt, das Abspielgerät ist denn griffbereit. Und schon sind sie wieder da: Die Jugenderinnerung an das erste gekaufte Tape, die erste Knutscherei zum selbstaufgenommenen Mixtape und, und , und. Wir haben Musiker gefragt, was ihr Lieblingstape ist – und vor allem: welche persönlichen Geschichten sie damit verbinden.
Kat Frankie über MAN OF COLOURS (1987) von Icehouse:
Mein erstes selbstgekauftes Album. Ich war neun, mein ganzes Taschengeld ging dafür drauf. Die Band ist für mich heute noch der Inbegriff des „Golden Age“ australischer Popmusik. Das war alles so aufregend mit Midnight Oil, Icehouse und Co. – meine Heimat Australien war auf einmal cool! Als ich später nach Berlin gezogen bin, habe ich all meine Tapes mitgebracht. Und als ich mir die Icehouse-Kassette jetzt noch einmal angehört habe, hat es mich erstaunt, wie sehr sich alle Songs in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Ich konnte alles noch mitsingen! Allerdings: Manche Songs sind echt nicht so gut, sogar ziemlich kitschig. Der Gitarrist, Robert Kretschmer, trägt übrigens denselben Nachnamen wie mein Schlagzeuger, nur etwas anders geschrieben. Wenn das kein Zeichen ist!Joan As Police Woman über BAD BRAINS (1982) von Bad Brains:
Dieses Tape bedeutet mir einfach alles. Die Bad Brains haben dieses Album zuerst nur auf Kassette veröffentlicht, was ja viele Punkbands getan haben. Ich habe die Bad Brains einfach abgöttisch geliebt, schon mit 14 war ich auf dem ersten Konzert von ihnen. Das war alles so anders und rough! Sie haben mich voll und ganz in ihren Bad-Brain-Ozean reingezogen. Noch viel aufregender wurde das Album dadurch, dass die Band ein Spielverbot in Washington, D.C. hatte. Auf dem Tape gibt es dazu auch einen Song: „Banned in D.C.“. Alles hatte eine Botschaft: Das großartige gelbe Cover mit dem Blitz über dem Kapitol, dazu die eindeutigen Songs. Einfach jeder in meinem Freundeskreis hatte dieses Tape, es lag überall rum, im Wohnzimmer, steckte in Autoradios … Möglicherweise haben wir sie sogar ständig vertauscht, ohne es zu merken.
Captain Sensible (Gitarrist von The Damned) über das Tape (im Englischen ist ein Tonband eben auch ein „Tape“) GENETIC BREAKDOWN 2 (1973) seiner ersten Band Dadaism And The Bonzo Dog Band:
Mein Bruder und ich hatten eine Band – ich an der Gitarre, er am Bass. Wir konnten keine Noten lesen, haben unsere Instrumente nie gelernt, aber wir nahmen alles mit diesem „Familien-Tonbandrekorder“ von Grundig auf. Nach ein paar Stunden hatten wir vielleicht zehn Minuten brauchbares Material. Irgendwann trafen wir Paul Halford auf einer Party, später bekannt als Johnny Moped. Ein ebenso schräger Sänger wie Tänzer. Den wollte ich in meiner Band haben! Die Session auf dem Tape hier stammte von einem unserer ersten Auftritte bei einem Band-Contest. Wir nannten uns Dadaism And The Bonzo Dog Band. Nach mehr als 45 Jahren klingt die Aufnahme selbst immer noch gut, die Stücke aber nicht. Ich spiele heute auch viel besser Gitarre, aber meine Technik ist genauso unorthodox geblieben.Thorsten Nagelschmidt (Schriftsteller, Ex-Muff Potter) über sein Mixtape „Grr … it’s Punk!“ vom 19. April 1991:
Wenn ich mir das Datum so angucke, kann es gut sein, dass das mein allererstes Mixtape ist, das mir jemand geschenkt hat. Es kam von meinem besten Freund, quasi mein musikalischer Mentor. Gerrit war älter als ich, zwei Mal sitzen geblieben, sah aus wie Sid Vicious, mit einer Kette um den Hals, richtig Punk. Ich wusste sofort: Ich will sein Freund sein! Bis dahin habe ich ein bisschen Metal gehört, meine Liebe galt aber dem Pop. The Cure und alles, was so in die Richtung geht. Gerrits Mixtape war mein erster Ausflug in den Punk. Das war ganz anders, radikaler, aufregender. Das Lustigste an dem Tape sind aber die durchgestrichenen Titel, etwa bei dem Song „Egg“. Jahrelang dachten wir, das sei von Asylum, diese Band war damals ein großes Rätsel für uns. Vieles, was wir nicht kannten, haben wir ihnen zugeschrieben. Bis wir irgendwann herausgefunden haben, dass der Song doch von jemand ganz anderem ist. Damals gab es halt noch kein Shazam.
Romano über sein selbst aufgenommenes Tape mit Dr.Dres THE CHRONIC (1992):
Nach einer Keller-Entrümpelungs-Aktion sind mir viele Tapes aus den 90ern wieder in die Hände gefallen – darunter das legendäre THE CHRONIC von Dr. Dre. Ich weiß noch, wie ich es zum ersten Mal auf einer Ostsee-Klassenfahrt 1993 auf dem Rekorder meines Kumpels David hörte. Bis dato kannte ich Dr. Dre nur als Produzenten und Rapper von NWA. Ich dachte nur: „Krass, das ist der heißeste Scheiß!“ David schenkte mir das Tape, als wir zurück in Berlin waren. Von da an habe ich das Album täglich gepumpt. Der letzte Song „Bitches Ain’t Shit“ hatte leider nicht mehr draufgepasst. Dafür hat mein Kumpel auf der B-Seite als Rauswerfer das „Theme From Shaft“ von Isaac Hayes raufgepackt. Auch geil! Die Kassette läuft nach gefühlt einer Million Mal abspielen übrigens immer noch. Death Row 4 Life!
John Victor (Gitarrist bei Genghar) über den Album-Sampler zu WHEN DO WE START FIGHTING (2001) von Seafood:
Meine kostbarste Kassette ist wohl zugleich die schrecklichste in meiner Sammlung, aber ich verbinde etwas Besonderes damit. Eines meiner ersten Konzerte war das der britischen Band Seafood. Ich hatte ihre Musikvideos gesehen und mich in ihr Album WHEN DO WE START FIGHTING verliebt. An meinem 14. Geburtstag gab es eine kleine Release-Show in London – aber sie war restlos ausverkauft. Ich hätte alles gegeben, um dahin zu können! Da setzte mein Vater alle Hebel in Bewegung, telefonierte alle Vorverkaufsstellen ab und kam schließlich bis zum Manager der Band durch – und setzte uns beide auf die Gästeliste! Das Konzert war großartig, ich nahm alle Promo-Poster mit, die ich kriegen konnte – ich habe sie heute noch. Das coolste Souvenir aber war dieses Promo-Tape – mit lauter 45-Sekunden-Snippets vom Album. Man kann sich das kaum anhören, außerdem ist es ein superbilliges Teil: Wenn du es zu oft spielst, zerfällt es. Aber es erinnert mich daran, was für ein legendärer Typ mein Vater ist.
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