Meat Loaf – Die Rückkehr des falschen Hasen


Es war ein überraschender Haken, den der schwergewichtige "Hackbraten" zog. Nach Erscheinen seiner Monster-LP BAT OUT OF HELL ließ der Dicke fast vier Jahre verstreichen. Von einem mysteriösen Stimm-Verlust und anderen Psycho-Problemen wurde gemunkelt. Was passierte - und wie er den verlorenen Boden wieder gutmachen will, erzählte ein jovialer Hackbraten der staunenden Gitti Gülden.

Der Schauplatz des Interviews könnte nicht schöner sein: Eines der klassischen Hamburger Nobel-Hotels, mit Blick auf die Alster selbstverständlich. Ein hübsches Frühstücksbuffet ist aufgebaut – und im kleinen Empfangsraum der Hotelsuite warten – artig auf Stühlchen verteilt – die Journalisten.

Plötzlich wird die Flügeltür zum Ballsaal-ähnlichen Wohnraum aufgerissen: Witzelnd, grinsend, ein wenig blaß, bester Laune, barfüßig und das Riesenoberhemd über einer Spezialanfertigung von Jeans hängend, platzt der Fleischklops in die beschauliche Runde. Er entläßt einen Schreiberling und ruft mit der Stimme eines amerikanischen Fernsehpredigers: „Wer ist der Nächste, bitte? Wo ist bloß mein Stetoskop? Also, wer ist jetzt dran, wer hat noch ein Problem?“

Meat Loaf spielt Arzt, wir sind seine Patienten. Nach einer Stunde Wartezeit bin auch ich dran. Höflich ist er („Was möchtest du trinken, etwa Obst?“), schnell ist er (wieselflink eilt der wuchtige Mann, einem eleganten Rhinozerus gleich, zum Fenster, um die hanseatische Aussicht zu bewundern) und einen fixen Kopf hat er auch, das bekomme ich schnell zu spüren. Er redet mit der Geschwindigkeit eines New Yorker Sportreporters und liebt es, humorvolle Vergleiche einzuschieben. Kurz, er ist der leibhaftige Showmann!

Da er intelligent und ehrlich erscheint, gestatte ich mir als erstes die Frage, warum die Fertigstellung seines neuesten Werkes derart lange gedauert hat, sich aber trotzdem nicht wesentlich von dem vier Jahre alten Millionenseiler BAT OUT OF HELL unterscheidet? Meat – so laßt er sich von seiner winzigen Frau Lesley nennen – macht eine verblüffte Miene und läßt Luft ab: „Pfffhhhhuuuuu, das ist das erste Mal, daß ich das so gefragt werde. Jaaaaaaa, warum hat das so lange gedauert? Hmmm.“

Liegt es vielleicht an seiner Filmerei, die in den letzten Jahren doch offensichtlich in den Vordergrund getreten ist?

„Insgesamt habe ich fünf Filme in den letzten drei Jahren gedreht. Das war aber nicht der Grund. Als ich (nach zeitweisem Stimmverlust) endlich in der Lage war, ins Studio zu gehen, war mir schon klar, daß es seine Zeit dauern würde. Nachdem die Aufnahmen abgeschlossen waren, habe ich mich allerdings auch gelragt, warum zum Teufel das sooo lange gedauert hat.“

„Zunächst einmal dauert der simple Aufnahmeprozeß bei mir relativ lange, denn jeder meiner Songs ist eher ein Schauspiel oder ein Film. Ich stelle jede Person der Stücke dar, so wie ein Schauspieler den Charakter einer Rolle verkörpert. Schon allein die basic tracks, also Baß, Gitarre und Schlagzeug, sind bei mir eine äußerst langwierige Angelegenheit. Nimm mal Ian Hunter, der spaziert ins Studio und nimmt an einem Tag vier basic tracks auf. Ich brauche für einen einzigen drei Tage! Jedes winzige Detail meiner Aufnahmen ist bei mir von Bedeutung – und wenn ich eins dieser Details vernachlässige, ist der ganze Song futsch.“

„Das liegt an meinen Themen. Sänge ich ‚Uh ich sing die ganze Nacht Rock’n’Roll yeah ich meine Rock’n’Roll‘ dann sind die Möglichkeiten, diesen Text zu variieren, natürlich recht begrenzt. Ich habe es aber mit Steinmann-Songs zu tun – und Jim ist ein Poet, das ist Literatur! Wenn ich also bei einem Sieben-Minuten-Song nach drei Minuten die Kontrolle verliere, sind die restlichen vier Minuten für die Katz.“

Fühlt sich Meat dabei als so eine Art ausführender Schauspieler, der eine Rolle vorgesetzt bekommt und dann nach eifrigem Studieren den Charakter darstellen darf?

„Bei uns geht das automatisch ineinander über. Ich erklär‘ ihm, wie ich mir eine Person vorstelle, er überlegt dann, was er mit dem Text machen würde und wie die Musik aussehen könnte. Das geht alles erschreckend dicht ineinander über. Deshalb hängen wir auch nicht allzu häufig zusammen, wir kennen uns einfach zu gut. Ich kenne Steinmann besser, als seine Mutter ihn kennt – und er mich besser, als meine Frau, so ist das. Wir können uns gegenseitig ins Hirn sehen. Für Steinmann muß das manchmal zum Fürchten sein, denn ich kenn‘ ihn noch besser, als er mich. Ich weiß schon vorher, was er vorhat.“

Der Fleischklops, in deutschen Hausfrauenkreisen auch als Falscher Hase bezeichnet, gerät immer mehr in Fahrt. Sein rasender Redefluß wird lediglich durch das Entleeren riesiger Wasserflaschen unterbrochen.

Jim ist eben seeeehr geheimnisvoll. Wenn wir zusammen in einem Raum sitzen, ist das manchmal beängstigend, wie genau wir die Gedanken des Anderen lesen können. Daher sehen wir unsere Beziehung auch als reines Arbeitsverhältnis, wir ergänzen uns zu perfekt, um auch noch privat zusammen zu sein. Es bringt dich einfach um, wenn der eine einen Satz anfängt, der andere ergänzt ihn und umgekehrt – und das pausenlos! Das grenzt manchmal an Chaos, nichts kannst du für dich behalten. Mittlerweile versuchen wir, möglichst nicht zu oft allein in einem Raum zu sein.“

Vor kurzem hat Jim Steinman sich selbstständig gemacht und ein Album veröffentlicht, dessen Songs ursprünglich für ihn, den Hackbraten vorgesehen waren. Sein mysteriöser Stimmverlust, aber vielleicht auch die rasant vollzogene Eheschließung kamen dazwischen. Was hält er eigentlich von Steinmanns Alleingang?

„Steinmann ist ein unglaublicher Schreiber und kann im Prinzip nichts falsch machen. Klar, ’ne Menge Leute haben gesagt, niemand könne seine Songs so interpretieren wie ich es mache. Das ist grundsätzlich auch wahr, soll ihn aber, weiß der Himmel nicht abwerten. Schließlich hat er das Recht zu tun, wozu er lustig ist. Vielleicht wurde es Zeit für ihn zu beweisen, daß er flügge geworden ist, also nicht n ur ein Son gschreiber für Meat Loaf oder sonst jem an den, sondern auch für sich. „Eine

weitere Literflasche sprudelfreien Wassers wird angesetzt, so daß ich hastig dazwischenwerfen kann, ob sich Meister Meat vorstellen kann, mit jemand anderem als Jimmy“ zu arbeiten.

„Nein. Doch, Freddy Mercury, du weißt, Queen.“

Ich bin sprachlos, doch so unmöglich erscheint diese Kombination auf den zweiten Blick gar nicht, schwärmt Mister Mercury doch in seinen Arrangements ebenso fürs Bombastische.

„Ich bin überzeugt, daß es auf der ganzen Welt keinen besseren Produzenten gibt, frag mal andere Produzenten, die sind auch davon überzeugt, daß Freddie ein Künstler ist. Wie gesagt, es gibt zur Zeit keinen Besseren!“

Er unterstreicht die letzten Silben mit erhobenem Zeigefinger. Wieso hat er gerade Queen in sein Herz geschlossen?

„Ganz einfach. Kein Album auf der ganzen Welt klingt so gut wie sämtliche Produktionen von Queen, der Sound ist das Sauberste, den du heute hören kannst. Nebenbei – manche meiner Stücke klingen ebenso gut“

Es haut mich fast vom bequemen Fauteuil, so überzeugt ist Meat von seinen Qualitäten. Ganz flink und ohne mit der Wimper zu zucken, werden andere Künstler zitiert.

„Sieh mal, manchmal wird meine Art, das Publikum zu faszinieren, mit denen der Who oder Bruce Springsteen verglichen. Mit Bruce ist das ja auch ganz offensichtlich, seinerzeit stromerten wir gemeinsam durch die Straßen von New York, wir haben eben was Gemeinsames.“

Ich muß doch noch einmal auf meine Eingangsfrage zurückkommen, die er nur zur Hälfte beantwortet hat. Wie kommt es, daß er nach vier Jahren ein Album veröffentlicht, das sich kaum von der Debut-LP unterscheidet, wo doch überall die Kids Funk, Rap oder Soul entdecken.

„Ich kann doch nur ich sein, ich kann nicht aul irgendetwas aufspringen. Ich achte auch nicht sonderlich darauf, was gerade angesagt ist. Die einzigen Platten, die ich mir überhaupt in letzter Zeit reingetan habe, sind die von Queen, weil ich die Background-Vocals bei ihnen einmalig finde. Da werden die Baßstimmen so eingesetzt wie ‚ ganz früher, fast wie bei den Gospelsängern, wo einer ganz tief brummen konnte. Bei DEAD RINGER haben wir das auch gemacht“.

Er versucht den Refrain mit vier Stimmen auf einmal vorzusingen, besonders die ganz tiefen.

„Dann gibt’s noch etwas, was ich von Freddie Mercury gelernt habe. Er benutzt nur wenige Instrumente, aber die setzt er in den Harmonien ganz dicht nebeneinander. Das machen wir auch. Wenn ich ein paar Produktionen der letzten Zeit vergleiche, sagen wir mal Linda Ronstadt, Elvis Costello oder sogar Queen, komme ich zu dem Schluß, daß ich mich von allen den Who am meisten nähere.“

Warum denn das?

„Ich setzte die Gitarren ähnlich wie Pete Townshend ein. Steinmann erinnert mich immer ein bißchen an Townshend; sie sind beide introvertiert und paranoid. Sie sind gleichermaßen vielseitig begabte Künstler, Instrumentalisten, Poeten, Maler, Zeichner.“ .

Das alles klingt nach einem ausgewachsenen Dickschädel, der sicher nicht gerade der Liebling seiner Plattenfirma ist, will er doch den Sound von Queen, die Gitarren wie die von Who und was weiß ich nicht auf die eigenen Rillen bannen.

Meat lacht belustigt auf und gibt zu: „Die einzige Möglichkeit, tatsächlich das so zu machen, wie ich es will, hieße ne eigene Plattenfirma zu gründen.

Aber irgendwie kommt mir das auch lächerlich vor. Guck dir doch bloß mal die Beatles und Apple an, man fällt zu leicht auf die Nase.“

Nun ja, muß es denn gleich ein derartiges Riesenuntemehmen sein, kann man das nicht im kleineren Rahmen halten?

„Das läuft nicht ich bin nun mal Big Business‘. Wenn du einmal ner Firma 70 Millionen Dollar eingebracht hast, kannst du nicht von heute auf morgen kleine Brötchen backen. Ich bin nicht der radikale kleine Starrkopf, der seine Platten unbedingt auf einem winzigen Label veröffentlichen will. Schließlich habe ich meine Verpflichtungen. „

Wann können wir denn nun Meat Loaf in seiner ganzen Pracht wieder bestaunen, und wer wird ihn auf der Tournee begleiten?

„Eine Tourist fürs Frühjahr geplant, denn zunächst geht’s durch die Staaten. lim (Steinmann) wird nicht dabei sein, Rory (Dodd, Background-Sänger) nicht, und Carla (de Vito, die Wahnsinnsfrau bei Meats „Rockpalast“-Gig) wird auch nicht dabei sein.“

Schade, die fand ich so toll.

Wenn jemand mit mir auf die Bühne geht, steht er in meinem Schatten, du weißt, ich meine das wörtlich, haha. Du hast als Bühnenperson neben mir einfach keine Chance, wenn du nicht irgendwann einen Soloversuch unternimmst. Sonst sagt nämlich jeder ‚A h, ja ich erinnere mich, das war die, die mit Meat Loaf dieses „Dashboard“-Ding gemacht hat‘. Ich nehme jede Partnerin nur einmal.“

Wer ist diesmal das Beast an der Seite der Zentner-Beauty? Schließlich hat Meat selbst die Mär vom Biest und der Schönheit ins Spiel gebracht.

„Sie ist dunkelhaarig und heißt Pamela Moore, früher war sie bei Bob Seger Background-Sängerin. Als Band konnte ich mir zum ersten Mal Musiker der absoluten Spitzenklasse leisten. Die kosten zwar ’ne Stange Geld, dafür wird die Show um so geiler.“

Nach einem kleinen Gähner geht es im gewohnten Affentempo weiter.

„Mein Gott, diese Band ist so unglaublich gut, das ist die beste Rockband, die du überhaupt sehen kannst. Ich wechsle so lange die Leute, bis ich die ideale Band zusammen habe. Der Trommler allein: Terry Williams (früher Man und Rockpile) und am Baß wieder Steve Buslowe, der war beim letzten Mal auch dabei. Dann an der Gitarre Davey Johnston (früher bei Elton John), dem meine Musik tierisch gefällt. Für die Musiker ist es auch ein unglaublicher Nervenkitzel, mit mir live aufzutreten, denn sie können nie wissen, was ich in der nächsten Sekunde machen werde, also müssen sie dauernd aufpassen, folglich wird jeder Auftritt anders und jedes Mal sehr überraschend. Sir Laurence Olivier hat mal gesagt: Jeder gute Schauspieler spielt den Moment‘ – und das versuche ich auch.“

Während meiner anfangs beschriebenen Wartezeit segelt Mrs. Loaf ins Zimmer („Hi, l’m Meats wife“), wie gesagt unvorstellbar schmal und zierlich, ein ausgesprochener Gegensatz zum Angetrauten, und zeigt stolz Fotos ihrer beiden Töchter. Die sechsjährige Amanda Lea und die gemeinsame Meat-Tochter Pearl Maria, sieben Monate, sind der ganze Stolz von Familie Loaf. Er hat Beiden eine Widmung aufs Cover der letzten Platte geschrieben:

„Ich dachte mir, daß sie es ganz toll finden, ihre Namen in zehn Jahren auf einem Coverzu finden, also zu wissen, daß Daddy an sie gedacht hat. Ich weiß nicht, wie sie die Platte in zehn Jahren finden werden, aber auf jeden Fall waren sie mit auf dem Cover.“