ME hat gewählt: Das sind unsere Alben des Jahres 2023
50 Alben, die uns begeistert haben – mit Platten von Boygenius, Mitski und Lana Del Rey.
5. Queens Of The Stone Age – IN TIMES NEW ROMAN…
Zehn Jahre nach …LIKE CLOCKWORK vollendete Josh Homme die Trilogie an Alben, die er und seine Mannen – hier kann man’s ja noch mit Fug n’ Recht sagen – für das Traditionslabel Matador aufgenommen haben. Nach deren Allstar-Auftakt (die Featurings reichten von Jake Shears über Alex Turner bis Elton John) und den Dance-Elementen des poppigen VILLAINS kehrten die Stoner-Rocker nun zu ihrer ursprünglichen Erfolgsformel zurück: gezielte Schläge muskulöser Riffs, denen man einfach nicht ausweichen kann, so sehr man auch denkt, Homme nach mehr als 35 Jahren im Game durchschaut zu haben. Der verpasst uns, wie Muhammad Ali zu einem Mörder-Groove tänzelnd, Hieb für Hieb, hebt uns in „Obscenery“ weit über den Boxring und lässt uns dann über das oberste Seil zu Boden krachen. Und was machen wir? Wir halten auch noch die andere Wange hin. Ganz am Ende des epischen „Straight Jacket Fitting“, im staubigen Western-Chill-Outro der Platte, ziehen wir ohnehin gemeinsam an der Friedenspfeife. – Stephan Rehm Rozanes
4. Christine & The Queens – PARANOIA, ANGELS, TRUE LOVE
Chris hätte es leichter haben können. Das Mini-Album LA VITA NUOVA gab 2020 eine Möglichkeit vor, die Songs klangen romantisch, sentimental, zugänglich. Doch das war nur eine Zwischenstation, es folgte die Erfindung der Figur Redcar, die 2022 durch ein wirres Gesangsspiel geisterte, um 2023 Platz zu machen für PARANOIA, ANGELS, TRUE LOVE, einem Dreifachalbum, das in der Vinylversion zur Einzel-LP eingedampft wurde. Der Titel steht für die drei Themen: Die Paranoia ist für Chris ständige Begleiterin, ihre neue Rampe ist der Tod seiner Mutter. Die Engel erfüllen Rollen als Botschafter:innen, der dunkelste von ihnen wird von Madonna gespielt. Die wahre Liebe schließlich ist das große Ziel, gemeint ist die Selbstliebe genauso wie perfekter Sex. 96 Minuten lang umschwirrt Chris mit Hit-Produzent Mike Dean diese drei Themen. Ein zerschossenes, unglaublich reichhaltiges, nicht fassbares Werk – und die erste Platte, die das Chaos des menschlichen Hormonspiegels bis ins Detail nachzeichnet. – André Boße
3. Róisín Murphy – HIT PARADE
Róisín Murphy geht es rosig. HIT PARADE gilt da als doppeltes Unterstreichen. Die Platte ist gar nicht nur für uns Zuhörenden gemacht, sondern vielmehr ein Feierei ihrer selbst. In diesem Jahr wurde die ehemalige Moloko-Sängerin 50 Jahre und aus diesem Grund musste schon auch mal reflektiert und sich auf die Schulter geklopft werden. So fuhr sie auch zum „Fader“-Videodreh in die irische Heimat und stellte mit ihrer alten Nachbarschaft in Arklow eine Art Love Parade auf die Beine. Sie führte im Alleingang Regie, alle zelebrierten sie und Murphy zeigte sich selbstbewusst wie immer. Das ganze Album ist das groovende Zeugnis einer Frau, die gerne mit Mittelpunkt steht. Die aber gar nicht so wirkt, als würde sie zwingend viele Leute brauchen, die ihr Rückmeldung geben – einfach weil sie von alleine so unfassbar strahlt. Den Glanz und Glamour der HIT PARADE hat sie so auch erst für sich heraufbeschworen und dann im zweiten Schritt geteilt. Jahrelang schickten DJ Koze und sie sich Song- bzw. Gesang-Files hin und her und der Hamburger Produzent brachte schließlich alles in diese Albumform, die wie eine aus dem Ruder laufende Partynacht klingt. Aber halt in geil – ohne unangenehme Abstürze. Eher in dieser Wir-sagen-uns-alles-weil-alles-ist-gut-Stimmung.
Murphy fühlt sich und die housigen Tracks ertönen allesamt so, wie sie eh schon immer auf der Bühne getanzt hat. So als könnte man mehr aus einem Takt herausholen als zu ihm zu klatschen und zu stampfen. Als würde sie der Drang zur Bewegung in einen anderen Aggregatzustand bringen, ihr Schatten gleich mitwirbeln und alles etwas mehr schimmern. So gesehen auch auf dem Melt Festival 2023, auf dem Murphy erstmalig, noch vor Release, einige neue Songs auf deutscher Bühne austestete. Sie startete mit „Can’t Replicate“ und schlackste dazu über die Stage, verbog sich, sodass ihr Outfit so „lebendig“ wurde wie man das sich bei Germany’s Next Topmodel immer wünschte. Dieses Selbstverständnis steht ihr sowohl live als auch auf Albumlänge gut. Auch die Ängste, die sie in den Stücken hin und wieder teilt, wirken dadurch greifbar, aber eben auch das Überwinden machbar.
Und deshalb bleibt wohl der einzige Wermutstropfen, dass sie diese Lässigkeit, die so auf ihre Übermelodien abfärbt, nicht auch im Social-Media-Game mitbringt. Als sie dann doch einmal in die Schlagzeilen geriet, weil sie sich gegen Pubertätsblocker bei Trans-Teenagern aussprach. Plötzlich wurde sie als transphob wahrgenommen. Aber das richtig ausformulierte Statement von ihr, in dem sie sich umfassend dagegen wehrte, blieb aus. Warum nur? Das Album – klar, es bringt den inklusiven Club-Vibe und das Alles-Umarmende mit sich – aber irgendwie ginge da doch noch mehr, oder? Schließlich ist HIT PARADE ein einziges Mehr an Soundglanzundtanzwahnsinn. Nicht zuletzt auch dank DJ Koze. Von dem man hofft, dass er noch länger am Start ist und mit ihr einfach weiter Ibiza unsicher macht. – Hella Wittenberg