ME-Jahresrückblick 2020: Die 50 besten Alben des Jahres
Der Jahreswechsel naht und damit wird es mal wieder Zeit, die besten Alben zu küren. Welche 50 Platten uns 2020 besonders begeistert haben, seht Ihr hier.
20. DUA LIPA – FUTURE NOSTALGIA
Warner (VÖ: 27.3.)
FUTURE NOSTALGIA wurde in Kritiken mit Madonna verglichen, mit Kylie Minogue und Giorgio Moroder. Prince und Abba stecken sicher auch noch drin. 80s- und 90s-Pop, Disco-Funk, klar. Dua Lipa versucht auch erst gar nicht, das irgendwie zu kaschieren. Es sind eingängige, energetische Songs. Die 25-Jährige stellt sich als Popstar-Persona aus, und als solche singt sie über Liebe und Sex. Das hat dann immer was Intimes und Distanziertes gleichzeitig, ist auch dann reflektiert, wenn es sich manchmal naiv anhört. Es ist Selbstinszenierung und ungezwungene Selbstbehauptung. David Numberger
19. YVES TUMOR – HEAVEN TO A TORTURED MIND
Warp / Rough Trade (VÖ: 2.4.)
Explosiver Post-Pop, der nur mit uns spielen will: Sean Bowies viertes Album unter dem Pseudonym Yves Tumor streckt sich in alle Genrerichtungen, ohne je zu gewollt zu klingen. Der Swagger des aktuell in Turin lebenden Amerikaners ist höchstens am Rande vergleichbar mit Dev Hynes und Mykki Blanco, gönnt uns aber auch wieder Funk- und Noise-Elemente, die ganz woanders hingrooven lassen. Die hohe Kunst Bowies ist es, mit seinem gut akzentuierten Sound-Chaos bis an den Rand des Wahnsinns zu treiben, nur um dann mit eingängigsten Soulpop-Melodien klarzumachen: Cool down, hier ist nichts so, wie es scheint. Hella Wittenberg
18. BRUCE SPRINGSTEEN – LETTER TO YOU
Sony (VÖ: 23.10.)
Mitten in der Menge stehen, wie früher immer bei „Tenth Avenue Freeze-Out“, sich auf dem „autumn carneval on the edge of town“ rumtreiben, die Band einzählen: „One, two …!“ Es geht hier um die transzendierende Macht des Rock’n’Roll. Und anders als auf WESTERN STARS ist die E Street Band wieder dabei. Das Saxofon, die Klavierintros und Gitarrensolos, sogar das Glockenspiel. LETTER TO YOU ist Erinnerung und Vergegenwärtigung, eine Fortsetzung der Autobiografie „Born To Run“ mit anderen Mitteln. Und am Ende ist auch der Tod nicht das Ende. David Numberger
17. THE 1975 – NOTES ON A CONDITIONAL FORM
Universal (VÖ: 22.5.)
Im ersten Track dieses Albums, traditionell „The 1975“ betitelt, erklärt Greta Thunberg ziemlich genau, was wir tun müssen, um diesen Planeten zu retten. Später erzählt Matty Healy von Freundschaft und Sexualität. Das sind die inhaltlichen Leitplanken dieser Platte, musikalisch gibt es keine: The 1975 spielen eine genrelose Popmusik, die sich Ausflüge in den Postcore ebenso erlaubt wie in Twee und in Jungle. Chameleon-Pop, in allen Farben schildernd, was schiefgehen könnte, würde das nicht Matt Healy mit seinem Ego, seinem Sendungsbewusstsein, aber auch seinem Witz zusammenhalten. Jochen Overbeck
16. THE STROKES – THE NEW ABNORMAL
Cult / Sony (VÖ: 10.4.)
Im April lieferten die nur auf dem Papier und in ihren Gesichtern in die Jahre gekommenen Strokes unfreiwillig den ersten Corona-Soundtrack auf Albumlänge: Inmitten des ersten Quasi-Lockdowns und der folgenden neuen Abnormalität segneten die New Yorker uns mit Laid-Back-Garage-Indie-Rock-Hits like it’s 2003. Die Schnoddrigkeit ist weg, neue Akzente da: Julian Casablancas singt stilsicher zwischen Crooner und Falsett, seine Band spielt sich tight durch die Jahrzehnte. Sieben Jahre Pause haben ihnen nicht geschadet: THE NEW ABNORMAL ist die beste Strokes-Platte seit ROOM ON FIRE (2003). Fabian Soethof
15. BOB DYLAN – ROUGH AND ROWDY WAYS
Sony (VÖ: 19.6.)
Ein Panoptikum der Popkultur in 70 Minuten. Und die Popkultur geht hier bis in die Antike. Cäsar und Anne Frank, der Scarface-Pacino und Indiana Jones. Es ist Dylans sage und schreibe 39. Studioalbum, dazu sein erstes mit neuen Songs seit acht Jahren. Und es ist so voll von Verweisen, dass einem schwindlig wird. Was das Ganze soll? Sagt er logischerweise nicht. Soll sich jeder selbst seinen Reim drauf machen, oder halt auch nicht. Die Songs zwischen Chicago-Blues, Geister-Folk und sentimentaler Ballade sind so oder so großartig. Die siebzehnminütige (!) Single „Murder Most Foul“ über das Attentat auf John F. Kennedy gehören zum Besten, was Dylan je gemacht hat. In mehr als zehn Ländern, darunter Deutschland, ging das Album auf Platz 1 der Charts. David Numberger
14. SEVDALIZA – SHABRANG
Twisted Elegance / Butler Records / H’art (VÖ: 28.8.)
Drama-Streicher, die mit Dissonanzen flirten, wie aus einem Bond-Soundtrack. Dann Arpeggio auf dem Klavier. Sevdaliza reist mit uns ans Ende der Nacht. Unterwegs geht’s durch die kalte Trip-Hop-Wüste. Ihre Stimme hat etwas von amerikanischer R’n’B-Intonation um die Jahrtausendwende. Aber im elektronischen Kontext, dem Kerngebiet von Grimes und FKA Twigs. Der Titeltrack „Shabrang“ gemahnt mit Synthie-Noir-Wabern und starker Melodiegitarre an ein arty (also überhaupt nicht artig) dekonstruiertes „Survivor“, weit abseits des auch schon fast 20 Jahre alten Chartssturm-Originals von Destiny’s Child. Stefan Hochgesand
13. FONTAINES D.C. – A HERO’S DEATH
Partisan / PIAS Coop / Rough Trade (VÖ: 31.7.)
Sänger Grian Chatten zeigte sich bei den ersten Interviews zum zweiten Album seiner Band vorsichtig. Man sei sich nicht sicher, ob diese Platte da draußen gut ankommen werde, zu sehr verhandele sie bandinterne Probleme – was, wenn die Leute das nicht kümmert? Das Gegenteil ist der Fall, mit A HERO’S DEATH wird aus der talentierten irischen Postpunk-Band eine Gruppe, die wie keine andere den Ton der Zeit trifft. Der Übersong „Televised Mind“ ist keine Medienkritik, sondern hinterfragt das eigene Verhalten. Und wie die Band in „Sunny“ die späten Beach Boys mit Postpunk zusammenbringt, das ist schon fabelhaft. André Boße
12. PORRIDGE RADIO – EVERY BAD
Secretly Canadian / Cargo (VÖ: 13.3.)
„Thank you for leaving me! Thank you for making me happy!“ Diese Zeilen singt Dana Margolin immer wieder in „Born Confused“. Damit sind wir beim zentralen Thema von EVERY BAD. Die 2015 im britischen Brighton gegründeten Indie-Rocker Porridge Radio leuchten auf diesem Album, es ist das zweite, das bei einer Plattenfirma erscheint, Ambivalenzen im Zwischenmenschlichen aus und nutzen dabei gerne die Kraft der Slogan-Wiederholung. Das Repetitive entwickelt dabei eine erstaunliche Wucht, die von einer Musik illustriert wird, die sich zwar klar bei Alternative-Sounds der 90er-Jahre bedient, diese aber ohne Dogmen neu zusammensetzt. Völlig zu Recht für den renommierten Mercury Prize nominiert. Jochen Overbeck
11. RÓISÍN MURPHY – RÓISÍN MACHINE
Skint / Warner (VÖ: 2.10.)
Es ist ja nicht so, dass Ms. Murphy sich vorher Disco und House nicht mit Interesse zugewandt hatte, erst auf diesem Album findet sie aber den Königinnenweg auf den Dancefloor. Der beginnt in Donna Summers High-Energy-Tempeln und endet irgendwo in den Spiralnebeln unseres Elektronik-Lieblingsclubs, der Corona-bedingt geschlossen hat. RÓISÍN MACHINE öffnet für die Dauer eines Albums die Pforten der Wahrnehmung für die Glücksmaschine Dancefloor, in Songs, die mehr vom Versagen erzählen, als man mitbekommen möchte. Der Tanzboden ist eine Welle in deinem Kopf, beste Maschinengeräusche vom Bass. Frank Sawatzki