ME Liste

ME hat gewählt: Das sind unsere Alben des Jahres 2024


50 Alben, die uns begeistert haben – mit Platten von Pearl Jam, Last Dinner Party und Charli XCX.

39. Torres – WHAT AN ENORMOUS ROOM

Was für ein Riesenraum! Den braucht’s aber auch für die Fülle der Genres, die Mackenzie Ruth Scott auf ihrem sechsten Album bedient: Nach der im Keller geschrammelten Lo-Fi-Nummer „I Got The Fear“ wandelt sie in „Ugly Mystery“ und „Songbird Forever“ wie Alison Goldfrapp durch vereiste Anna-und-Elsa-Landschaften und bereitet sie sich mit dem Rrrock von „Collect“ auf die riesigen Räume der Stadions vor, die immer noch auf sie warten. Doch ihre Schranken sind nicht echt, nur künstlich, „Artificial Limits“.

Stephan Rehm Rozanes

38. This Is Lorelei – BOX FOR BUDDY, BOX FOR STAR

Eine auf unnervige Art eingängigere Platte dürfte es dieses Jahr nicht gegeben haben. Der kathartische Auto-Tune-Pop von „Dancing In The Club“ führt spätestens nach zwei, drei Mal Hören zur Sucht, „Where’s Your Love Now“ ergründet in pointierten Zeilen die Abgründe einer Beziehung („When you left me to drink I thought I’d die in my sleep“), „An Extra Beat For You And Me“ macht den Byrds und Gram Parsons Beine. Ach ja: Hinter This Is Lorelei steht Nate Amos, eine Hälfte der Artpopper Water From Your Eyes.

David Numberger

37. Pearl Jam – DARK MATTER

Verjüngungskur durch „Pimp My Ride“-Politur: Pearl Jams elftes, von Andrew Watt (Miley Cyrus, Post Malone, Rolling Stones) produziertes Album klingt wie ein alter, mit Lack, Felgen und Endstufen aufgemotzter Pickup. Wie eine freshe Karre mit enormer Spielfreude auch unter dem Verdeck, die dafür an Charme einbüßt. Die entsprechend glänzenden Songs werden die letzten Überlebenden des Grunge zumindest auf der laufenden Welttournee nicht müde zu präsentieren. Auch wenn vielleicht nicht viele bleiben werden.

Fabian Soethof 

36. Bleachers – BLEACHERS

Der wichtigste Pop-Produzent unserer Zeit, Jack Antonoff, belegt erneut sein sagenhaftes Talent, persönliche Anekdoten in monumentale Hymnen zu verwandeln. Dabei tanzt er beschwingt auf der Brücke von der in den 80ern (das Saxofon-Riff von „Modern Girl“!) ansetzenden Vergangenheit in die Gegenwart (für „The Waiter“ würde Matty Healy von The 1975 killen). Dazwischen überrascht der Song „Jesus Is Dead“, der religiöse Metaphern nutzt, um Fragen über Zweifel und das Aufbrechen traditioneller Strukturen zu stellen.

Stephan Rehm Rozanes

35. Waxahatchee – TIGER’S BLOOD

Auf dieser Platte ist keine Verbindung linear oder gar statisch. Einige Songs klingen tough und angriffslustig, andere zurückhaltend und fast spröde, aber immer melodisch. Seit Katie Crutchfield vor ein paar Jahren Alternative-Country und Americana für sich entdeckt hat, bewegt sie sich in diesen Genres zunehmend freier und selbstbewusster, scheint Hits wie „Bored“ einfach aus dem Ärmel zu schütteln. Ihre Punk-Vergangenheit ist spürbar in der Art, wie sie singt, und in der Skepsis allem und allen gegenüber, auch sich selbst.

Christina Mohr

34. Kim Gordon – THE COLLECTIVE

Keine beherrscht die hohe Kunst des Musik-Häckselns so gut wie Gordon. Die Stimme der früheren Sonic-Youth-Bassistin und -Sängerin klingt auf der zweiten Solo-Platte nach drei Tage wach und kein Matcha Latte in Sicht. Jeder einzelne der Experimental-Indie-Tracks kickt wie die übelste Vertonung der Großstadt, des Innenlebengewirrs, des Scheißens auf Turbokapitalismus. Und trotz all der Dissonanz und Anti-Haltung will man die ganze Zeit nur genüsslich Kopfnicken, den alles umgreifenden Beat fühlen.

Hella Wittenberg

33. Kali Uchis – Orquídeas

Gewohnt sinnlich und anmutig kommt Kali Uchis auf ihrem fünften Studioalbum daher. Die amerikanisch-kolumbianische Sängerin huldigt auf den 14 Tracks ihren Wurzeln und tänzelt dabei zwischen Reggaeton, Elektro-Dream-Pop und R‘n‘B. Die Tracks handeln von Themen wie Femininität, Schwangerschaft und Selbstermächtigung, aber auch von toxischen Beziehungen. ORQUÍDEAS ist ein raffiniertes Bouquet aus unterschiedlichen Sounds, Stimmungen und Sujets.

Louisa Zimmer

32. Adrianne Lenker – BRIGHT FUTURE

Von Bildschirmen und dem konstanten Online-Sein hält Adrienne Lenker nicht allzu viel. BRIGHT FUTURE, das fünfte Soloalbum der Big-Thief-Sängerin und -Leadgitarristin, nahm sie im kleinen Kreis in einer Hütte mitten im Wald auf. Die Sessions, die sie ursprünglich gar nicht hatte veröffentlichen wollen, wurden dabei direkt aufs Tape eingespielt und analog abgemischt. Lenker schöpft in der ländlichen Isolation indes unermüdlich aus ihrem eigenen vulnerablen Erfahrungsschatz. Von der komplizierten Beziehung zu ihren sektenaffinen Eltern bis zu Jahreszeitenmetaphern, die die Flüchtigkeit von Romanzen begleiten.

Sophie Boche

31. MJ Lenderman – MANNING FIREWORKS

Im ersten Moment scheinen sie einem gängigen Country-Rock-Bauplan zu folgen, diese Lieder. Aber was der Sänger und Multiinstrumentalist aus dem Bible Belt aus den Americana-Schleichern und Crazy-Horse-Tornados macht, kratzt doch heftig an Konventionen. Wenn die Vögel vom Himmel stürzen, geht die Gitarre in den Wah-Wah- und die Klarinette in den Ententanz-Betrieb. Lenderman porträtiert eine Welt auf der Kippe zwischen realem Alptraum und literarischer Verschwendung, das gelingt ihm einfach großartig.

Frank Sawatzki

30. Jessica Pratt – HERE IN PITCH

Auf Jessica Pratts viertem Album weht eine Brise Laurel Canyon. Ihr introvertierter, kammerhafter Folk trägt sich wie je durch reduzierte Arrangements. Den gezielten, aber zurückhaltend eingesetzten Percussions, gezupften Gitarren und Streichern haftet dabei ein altmodisch analoger Zauber an – wie den rauschig-warmen Aufnahmen der Sechziger- und Siebziger-Dekaden. Und funktioniert in der Unaufgeregtheit noch eindringlicher. Das findet auch Anerkennung bei Kolleg:innen quer durch Genres —A$AP Rocky releaste in diesem Jahr mit Pratt den gemeinsamen Track „Highjack“, während Troye Sivan sein Sample von Pratts „Back, Baby“ in ein Pop-Gewand hüllte.

 Sophie Boche