ME hat gewählt: Das sind unsere Alben des Jahres 2024
50 Alben, die uns begeistert haben – mit Platten von Pearl Jam, Last Dinner Party und Charli XCX.
2024 sind wieder etliche bemerkenswerte und kuriose Platten erschienen – und von 50 dieser Releases können wir guten Gewissens sagen, dass sie unsere Alben des Jahres sind!
50. Astrid Sonne – GREAT DOUBT
Kleine Ursache, große Wirkung. Auf ihrem dritten Album führt die klassisch ausgebildete dänische Komponistin und Viola-Spielerin vor, wie ihre Stimme zu minimalistischen, aber vielfarbigen Arrangements auf Basis elektro-akustischer Experimente passt. Astrid Sonne singt zum ersten Mal auf einem Album. Dieser Mix aus Ambient- und TripHop-Vibes, gesampelten Blasinstrumenten, Folk und dekonstruiertem R’n’B macht GREAT DOUBT in Tateinheit mit ihrer Stimme zum schönsten Avant-Pop-Album des Jahrgangs 2024.
Albert Koch
49. Porridge Radio – CLOUDS IN THE SKY WILL ALWAYS BE THERE FOR ME
Dass Frontfrau Dana Margolin im Vorfeld der Aufnahmen einen Burnout erlitten hat, hört man dem neuen Album an: Ihr Schreibstil hat sich in eine Art lyrische Meditation verwandelt, mit der sie Themen wie Klarheit und Sehnsucht verarbeitet. In den intensivsten Momenten, in Songs wie „A Hole In The Ground“ und „Lavender Raspberries“, zieht sie uns in ihren Bann, ganz nah an sich heran und lässt uns nicht mehr los. Während Dana Margolin selbst Trost sucht, spendet sie ihn uns schon. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid und führt zu doppelt guter Musik.
Stephan Rehm Rozanes
48. Jamie xx – IN WAVES
Die Rückkehr von The xx dürfte unmittelbar bevorstehen, nun, nachdem alle Mitglieder Soloalben veröffentlicht haben – und damit kommerziell krachend gescheitert sind. Die zweite Platte ihres Soundtüftlers nach neun Jahren macht da keine Ausnahme: Wurde Vorgänger IN COLOUR im UK noch mit Gold ausgezeichnet, hielt sich die neue Platte gerade mal zwei Wochen in den Charts. Das ist beschämend angesichts dieses grandiosen Sets aus euphorischen Ravemonstern wie „Still Summer“ und Soulnummern wie „The Feeling I Get From You“.
Stephan Rehm Rozanes
47. King Hannah – BIG SWIMMER
Seit ihrer ersten EP 2020 ist es ein XL-Genuss, Hannah Merrick und Craig Whittle dabei zuzuschauen, wie sie sich immer mehr ausprobieren und dehnen. Auch wenn sich das Duo aus Liverpool im Gespräch zurückhaltend gibt, so brechen sie auf Album und Bühne in derartig düster-große Noise-Exzesse aus, dass man ihnen zuhören muss. Am Storytelling wurde für die zweite Platte ebenso weiter gefeilt, sodass der Amerika-Trip, von dem sie hier ausführlich berichten, wie eine Dia-Show vorm inneren Auge abläuft.
Hella Wittenberg
46. Bill Ryder-Jones – IECHYD DA
Der Titel bedeutet auf Walisisch „gute Gesundheit“. Die dreizehn Songs des sehr guten fünften Albums von Bill Ryder-Jones überzeugen mit verträumten, beinahe malerischen Arrangements. Der 41-jährige Songwriter singt darauf von der Liebe, gescheiterten Beziehungen und dem Älterwerden. In den letzten Jahren hat sich der ehemalige Sänger von The Coral auch als Produzent etabliert. Diese Skills zeigen sich in der mal orchestralen, mal zurückgenommenen Produktion des Albums. Ein frühes Highlight des Jahres 2024, das in seiner bezaubernden Melancholie noch lange nachhallen wird.
Louisa Zimmer
45. Beabadoobee – THIS IS HOW TOMORROW MOVES
Bei ihren Erkundungen emotionaler Verwerfungen legt die 24 Jahre alte Songwriterin selbstbewusst eigene Unsicherheiten offen („In a way I’m figuring it out at my own pace / Just a girl who overthinks about proportions or her waist“), teilt aber auch nicht schlecht aus („It was my song / You made it worse just by singing along“). Produziert hat Rick Rubin, in der Heimat Großbritannien ging die Mischung aus 90s-Alternative-Gitarren, Indie-Folkpop und sanft hingetupfter Klavierballade auf die Eins.
David Numberger
44. Isolation Berlin – ELECTRONIC BABIES
Nachdem die Band bei dem Vorgänger GEHEIMNIS auf einer verwaisten Winterreise wandelte, führt Flaneur Tobias Bamborschke seine Hörerschaft hier durch das hauptstädtische Treiben. Energetisch aufgeladen wabern sowohl Dark-Wave-Titel als auch Indie-Rock-Balladen. In ihnen ankern eine Freude an Sprachtollereien – und nicht zuletzt die Reife zur Ambivalenz. Erstmals im Œuvre von Isolation Berlin halten sich das Dunkle und das Helle die Waage: „Liebe tut so gut, Liebe tut so weh. Wie der Sommer, der Herbst, deine Lügen, der Sprung in die Spree.“
Martin Schüler
43. Coco & Clair Clair – GIRL
Echt erstaunlich: Je sedierter das Duo aus Atlanta seine Sprechgesänge vorträgt, umso unwiderstehlicher. Ihre anspielungsreichen Texte zwischen Disstrack und subversiver Unterwürfigkeit betten Taylor Nave und Claire Toothill, seit 2014 zusammen aktiv, auf eine leichte, Modeshooting-taugliche Mixtur aus Cloud-Rap, Bedroom- und Hyperpop, in der aber auch ein Gitarrensolo nicht fehl am Platz ist. Sogar das Drum’n’Base-Cover von Crosby, Stills & Nashs „Our House“ passt voll ins Konzept.
David Numberger
42. Sorry 3000 – GRÜSSE VON DER ÜBERHOLSPUR
Das schnuffelige Kollektiv aus Leipzig und Halle hat sich dieses Jahr endlich angeschickt, den Indie-Nerd-Hype, den ihr Debüt WARUM OVERTHINKG DICH ZERSTÖRT ausgelöst hat, erneut heraufzubeschwören. Ganz gelungen ist das Album Nummer zwei nicht. Sicher auch, weil so ein Übersong wie „Nasenspray“ nicht einfach zu wiederholen war. Dennoch finden sich auf der Überholspur wunderbare Hit-Miniaturen, die zwischen liebevollem Unsinn, melancholischem Pop und freundlichem Weltekel changieren. Jetzt dranbleiben, Leute!
Linus Volkmann
41. SOPHIE – SOPHIE
Sophie aka Sophie Xeon starb vor drei Jahren. Vermutlich durch einen Unfall. Zu Beginn ihrer Karriere war sie vornehmlich als Produzentin, u.a. für Charli XCX, tätig und ließ sich später hineingleiten in eine eigenständige Künstlerpersona, die sowohl auflegte, als auch performte. Einfach hatte sie es nicht als Transfrau im Business. In „It’s Okay To Cry“ sprach sie 2017 davon. Ihr selbstbetiteltes letztes Album musste schließlich von ihrem Bruder fertiggestellt werden, der intelligent und zart mit dem Material umging.
Rebecca Spilker
40. Cindy Lee – DIAMOND JUBILEE
Mit angestoßen von einer Rave-Review auf Pitchfork, entfachte die zwei Stunden lange Platte des Drag-Soloprojekts von Patrick Flegel, früher bei der Indie-Band Women, einen Insider-Hype. Dass man sie anfangs nur auf YouTube streamen konnte, trug zum Mythos bei. Referenzpunkte sind zum Beispiel Lou Reed, Nico, Girlgroup-Pop der 60er und Daniel Johnston. Geisterhaft hallende Klänge aus einer Rock’n’Roll-Parallelwelt, die man genauso gut konzentriert hören oder wie einen dieser stundenlangen Andy-Warhol-Filme im Hintergrund laufen lassen kann.
David Numberger