Interview

Mavi Phoenix: Ein Gespräch über Jungs, deren Spielzeuge und das Mannsein


Mavi Phoenix' Debütalbum BOYS TOYS erschien am 3. April und wurde von uns prompt zum Album der Woche ernannt. ME-Autor Daniel Koch unterhielt sich mit dem Rapper über Jungs, deren Spielzeuge und das Mannsein.

Im Januar machte der österreichische Rapper und Sänger Mavi Phoenix auf seinem Instagram-Kanal klar, was sich mit den jüngsten Singles schon angedeutet hatte und sein privates Umfeld bereits wusste: „Ich bin ein Transmann.“ Sein neues Album gibt in fantastischen Popsongs tiefe Einblicke in diese aufwühlende Lebensphase. Ein Gespräch über Jungs, ihre Spielzeuge und das Mannsein.

Mavi Phoenix im Interview: „Ich bin gar nicht cool”

Musikexpress: Dein Album hat stilistisch und textlich sehr krasse Ausschläge. „Strawberries“ ist ein sehr schöner, trauriger Lovesong, in dem du haderst, ob du Mann genug sein kannst für die Frau, die du liebst. „12 Inch“ oder „Choose Your Fighter“ wiederum sind gerappte Arschtritte, sehr explizit und breitkreuzig. Spiegelt das deinen momentanen Gefühlshaushalt wider?

Mavi Phoenix: Ja. So was wie „Choose Your Fighter“ hätte ich mich vorher wohl nicht getraut, weil ich es als unpassend empfunden hätte. Aber dieser Song ist wichtig für mich, weil da der Frust rausbricht, den ich mein Leben lang gespürt habe. In meinem Kopf habe ich mich immer schon als Mann gefühlt. Keine Ahnung, wie ich das besser beschreiben soll und ob es ein explizit männliches Gehirn gibt, aber es kam mir so vor, als hätte ich eins. Das durfte ich nur nie zeigen. Es tat unheimlich gut, das jetzt mit aller Power mal rauszulassen. Ich weiß natürlich auch, dass viele Sachen am Mannsein gar nicht so geil sind und dieses „Ich will zeigen, dass ich der Stärkste bin“ toxisch werden kann – aber hier musste es mal sein.

Ich fand es sehr gut, dass du in deinem Instagram-Post noch mal die Basics erklärt hast, wie die Situation ist und auch wie man dich anspricht. Ich habe vor Jahren mal Laura Jane Grace interviewt, die vorher Tom Gabel und Sänger von Against Me! war. Ich war bei dieser Begegnung total unsicher und verwirrt, weil ich mir genau diese Dinge nicht klargemacht und sie zudem vorher in einem Mann-Bier-Pogo-Kontext erlebt hatte. Dein Post hat sehr geholfen, dass mir das heute nicht passiert. War das deine Intention? Den Leuten entgegenzukommen, damit nicht jeder aufs Neue fragen muss? Und erlebst du es, dass sich dir Menschen jetzt unsicher nähern?

Ja. Vor allem Männer, die mich länger und noch als Frau kennen. Ein paar waren plötzlich total verunsichert. Ich glaube, weil sie mich süß fanden und plötzlich denken: „Äh, bin ich jetzt schwul, oder was?“ (lacht) Und manche Gespräche sind plötzlich verkrampfter oder finden einfach weniger statt – aus Angst, aus Versehen politisch unkorrekt zu sein oder so. Das finde ich schade – und auch scheiße, weil ich der letzte Mensch bin, der sauer wird, wenn das jemandem passiert, den ich mag. Aber diese Verunsicherung geht natürlich in beide Richtungen. Mein Verhalten ändert sich auch. Ich denke manchmal: „Ich bin jetzt ein Mann, ich muss Bier trinken und laut sein, damit keiner auf die Idee kommt, ich sei keiner.“ Andererseits bin ich ganz froh, dass ich in meiner Zeit als Frau gelernt habe, über Gefühle zu reden oder zu weinen. Es war vielleicht gut, dass ich die Zwänge, die das Jungssein mitbringt, nicht hatte. Mein Verhalten muss sich also erst einleveln.

Einleveln ist ein gutes Wort. Das hört man dem Album an. Wie kam es denn eigentlich dazu, jetzt ein Debütalbum rauszubringen? Als wir vergangenes Jahr sprachen, wusstest du noch gar nicht, ob du überhaupt eines machen willst, weil das mit den EPs immer gut geklappt hat. Und jetzt ein Album über diese Lebensphase…

Ich habe das ja schon in „Bullet In My Heart“ thematisiert. Als ich dann „Boys Toys“ fertig hatte, spürte ich, dass da was in mir ist, das raus muss. Und dass eine EP da nicht reicht. Dieser Charakter, der in „Boys Toys“ mit dieser hochgepitchten Stimme spricht, taucht auf dem ganzen Album auf und steht quasi für den Jungen, der ich nie sein konnte. Viele Songs brachen förmlich aus mir heraus. Dabei hat es sehr geholfen, mit Alex The Flipper im Studio zu arbeiten, der nicht nur mein Produzent, sondern auch mein bester Freund ist. Viele der Songs habe ich im Studio geschrieben. „12 Inch“ zum Beispiel kam an einem Tag ungefiltert raus.

Du rappst darin krasse Zeilen: „Suppressed aggressions, wanna know how my fist tastes? As if I was tough. I am just a little blond bitch but I got a big cock. In the sheets I fuck your mama with it.“ Im Refrain nennst du dich „Freak“, dann am Ende der Twist: „My life is fucked up. No it’s not. I could be such a cool guy.“ Gab es Momente, in denen du zurückgezuckt bist, ob du das so bringen kannst?

Anfangs ein wenig. „Fuck your mama“ – da dachte ich schon kurz: „Bin ich das? Kann man das machen? Ist das erwünscht?“ Aber das musste alles genau so bleiben, weil es in diesem speziellen Moment meine Wut und meine Verwirrung trifft – und dieses Gefühl, auch mal kurz Macho sein zu wollen. Das ganze Album ist eine ungefilterte Momentaufnahme. Die Zeilen über meinen Vater in dem Song sind auch sehr hart, was mir ein wenig leidtut, weil wir eigentlich ein gutes Verhältnis haben.

In „Family“, das fast nach Folk-Ballade klingt, fragst du dich, ob du mal ein „cool dad“ sein kannst.

Ja, oder überhaupt Vater. Als Trans-Mann kann ich ja keine biologischen Kinder haben – es sei denn ich krieg eines als Frau, was so ziemlich der schlimmste Alptraum für mich wäre. Natürlich gibt es Wege, Adoption oder so was, aber ich frage mich, wie das sein würde. Ob mich ein Kind als Vater ansehen würde, wenn es lernt, dass ich mal eine Frau war.

Im Video zu „Boys Toys“ sieht man dich als Muskelmann, aber auch als kleinen Jungen, der lachend mit Modellflugzeugen spielt. Was waren denn deine Lieblingsspielzeuge?

Flugzeuge fand ich wirklich immer schon spannend. Die Regisseurin Elizaveta Porodina hat Psychologie studiert und meinte gleich, mich interessiere das Phallische daran. Ansonsten war ich Lego-süchtig. Ich habe immer allein gespielt und mir Geschichten ausgedacht. So „Harry Potter“- und „Star Wars“-Zeug – schon ein wenig jungenhaft, aber auch nicht so, dass ich Schlachtfelder nachgebaut hätte. Als die ersten Konsolen kamen, habe ich gezockt.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

BOYS TOYS ist am 3. April 2020 via LLT/Broken Silence erschienen. Unsere Review zum Album findet Ihr hier.