Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel
Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.
Christiane Rösinger: „Warum hat sie so einen kleinen Fernseher?“
Mit 24 war Christiane Rösinger aus der Karlsruher Ecke nach Berlin umgezogen. Dort gründete sie 1988 die schnell legendäre Band Lassie Singers. Und im Jahr drauf verlor die Musikerin und Autorin dann ein paar romantische antikapitalistische Vorstellungen, wie sie heute berichtet …
Ich saß mit meinem Freund in meiner Kreuzberger Wohnung und wir guckten eher nebenbei die „Berliner Abendschau“. Die Pressekonferenz mit Schabowski, und später die Livebilder vom Übergang Bornholmer Straße. Ich hatte jedoch keine Lust, rauszugehen, es war ungemütlich draußen.
Doch dann meldete sich ein Reporter, der erste Grenzübergänge auf der Oberbaumbrücke sichtete, nur ein paar Minuten von meiner Wohnung entfernt. Also gingen wir auch mal gucken. Die Gegend ums Schlesische Tor – heute Touristenhotspot – war damals völlig ausgestorben. Die Schlesische Straße war abgeschnitten durch die Mauer, am Kanal hingen Rettungsringe, um sie im Ernstfall Flüchtenden zuzuwerfen.
Als wir an der Oberbaumbrücke ankamen, war sie bereits schwarz von Menschen. Einer rief weinend: „Nach 15 Jahren kann ich das Grab meiner Mutter besuchen!“ Ein anderer meckerte: „Hier sieht et ja genauso beschissen aus wie bei uns!“ Am türkischen Imbiss am Schlesischen Tor gab es einen Riesenstau, weil alle den rotierenden Dönerspieß durch die Glasscheibe bestaunten.
Dann hieß es: „Parole Kudamm!“ Wir quetschen uns zu sechst ins Auto. Im Radio liefen sämtliche Berlin-Songs in Dauerschleife: „Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern“, „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“, „Berlin“ von Fischer Z und so weiter.
Auch der Kudamm war voll von Menschen. Bei „Joe am Kudamm“ gab es Freibier, alle hielten die Sonderausgabe der „Bild“ in der Hand. In dem ganzen Gewimmel traf ich tatsächlich Bekannte, die ich 1988 bei einem Lassie-Singers-Konzert bei einer Hochzeit in Ahrensfelde in Brandenburg kennengelernt hatte.
Wir fuhren zusammen in meine Wohnung. Sie wunderten sich, dass bei mir alles so oll war und ich nur einen ganz kleinen Fernseher hatte. Die euphorische Stimmung nach dem Mauerfall hielt in Berlin tatsächlich nicht lange an, bald waren alle genervt von den langen Schlangen und dem Gedränge. Und ich war enttäuscht, weil ich mir die Bürger der DDR in meinem romantischen Antikapitalismus als edle sozialistische Menschen vorgestellt hatte, als Kenner der russischen Literatur, unverdorben vom westlichen Konsumismus. Aber die Mehrzahl interessierte sich nur fürs Einkaufen, wollte möglichst schnell D-Mark, Wiedervereinigung und jubelte Helmut Kohl zu.