Marx im Kopf und Musik im Herzen
Im Grunde macht es keinen Unterschied, ob du nun im Musikbusiness oder als Verkäuferin im Supermarkt arbeitest — du machst Geld für Leute, denen du als Person völlig egal bist.“ Alice Nutter, Sängerin der britischen Anarchistenband mit dem exotischen Namen Chumbawamba, gibt sich — ihrer eigenen Bedeutung betreffend — keinen Illusionen hin. Dabei könnte sie durchaus optimistischer sein. Denn 15 lange Jahre nach seiner Gründung hat das Musikerkollektiv aus Leeds zumindest in der britischen Musikszene einen achtbaren Platz erstritten. Dabei setzt auch Chumbawambas aktuelles Album ‚Swingin‘ With Raymond‘ mit seiner Mischung aus balladenhaften Songs und herben Punk-Krachern die Tradition einer Band fort, die immer politisch sein wollte. „Ich gehe weiterhin zu den Versammlungen meines Kaders“, erzählt Alice Nutter (35) freimütig, „schreibe Artikel für unsere Zeitung und habe viel mit Leuten zu tun, denen es herzlich egal ist, daß ich in einer Band spiele.“ Was Geld betrifft, geht man bei Chumbawamba streng sozialistisch vor: „Wir bieten jedem Roadie den gleichen Anteil am Gewinn einer Tournee an.“ Daß schweres proletarisches Bewußtsein und leichte Musik einander nicht ausschließen müssen, davon ist man bei Chumbawamba fest überzeugt: „Wir gehören zur Arbeiterklasse und haben durchaus unseren Spaß an Pop.“ MTV allerdings übersteigt die Toleranz der britischen Politaktivisten-. „Erst kommt Shaggy und redet irgendwelchen Unsinn über seine überflüssige Musik daher, dann berichtet eine Frau drei Minuten lang, wie sie von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Das verschwimmt bei MTV alles zu einer gleichmäßigen Infotainment-Soße“, meint Alice Nutter und zupft ihren selbstgestrickten Pulli zurecht. Ein Kleidungsstück, das ebensowenig zur Glitzerwelt des Showgeschäfts passen will wie sie selbst.