Markus Kavka im Interview: „Wir waren Freaks“
Markus Kavka im (anekdotenreichen) Gespräch über die große Ära des deutschen Musik-TVs.
Markus Kavka wurde 1967 in Ingolstadt geboren. Seine Karriere als Journalist begann bei dem Magazin „Metal Hammer“, von da ging es in den Neunzigerjahren vor die Kameras von VIVA. Kavka moderierte erst das Magazin „Metalla“, später war er für VIVA2 aktiv. 2000 wechselte er wiederum zu MTV Deutschland, präsentierte dort die MTV-News. Er tritt auch als Romanautor und DJ in Erscheinung und moderiert nach wie vor Musikformate in TV und Web. Aktuell erschien gemeinsam mit Elmar Giglinger „MTVIVA liebt dich!“, eine Montage aus knapp 70 Interviews über das deutsche Musik-TV.
ME-Autorin Diana Ringelsiep traf Kavka zum Gespräch über verpeilte TV-Momente, das versaute Depeche-Mode-Interview und Positionierung in der Popkultur.
Im Buch wird das Arbeitsumfeld bei VIVA Zwei und MTV als ein anarchistischer Ort beschrieben, an dem alle miteinander befreundet und high gewesen sind. Klingt nach einer üblen Work-Life-Balance …
Markus Kavka: Im Grunde war unser Privatleben auch gleichzeitig unser Berufsleben und umgekehrt. In puncto Work-Life-Balance war das natürlich eine Vollkatastrophe, aber damals hat sich das nicht so angefühlt, weil wir beim Sender unsere Freund:innen getroffen und nebenbei Musikfernsehen gemacht haben.
Sind Totalausfälle vor der Kamera nicht vorprogrammiert, wenn das Drogentaxi täglich vorfährt?
Erstaunlicherweise nicht. Natürlich gab es von mir, Charlotte und Niels zwischendurch auch mal eine verpeilte Moderation, aber das war nichts, was wirklich Aufsehen erregt hätte. Es gab ja auch kein Skript, ich habe einfach immer irgendwas erzählt. Es gehörte zum Prinzip des Senders, dass wir keine glattgebügelten Moderatoren und Moderatorinnen waren – genauso wenig wie unser Publikum. Wir waren Freaks.
Welchen Tag deiner Karriere würdest du gerne noch mal erleben?
Ich würde gerne das Interview mit Depeche Mode wiederholen, das ich 2006 bei Rock am Ring komplett in den Sand gesetzt habe, weil ich einen Blackout hatte. Ich saß vor Martin Gore und konnte plötzlich nicht mehr vernünftig Englisch sprechen und habe total behämmerte Fragen gestellt. Das würde ich gerne wiedergutmachen.
Was war da los, warst du aufgeregt, weil du ein Fan der Band bist?
Auch, aber die Umstände waren insgesamt schwierig, weil das Interview im Zuge einer Live-Sendung stattfand. Ich musste in dem kurzen Zeitfenster eines Musikvideos zwei Stockwerke der VIP-Tribüne überwinden und kam schon keuchend dort an. Außerdem wusste ich, dass die Band gegen ihren Willen zur Live-Übertragung ihrer Show gezwungen worden war. Das alles war mit viel Stress und Hektik für mich verbunden.
Eurem Buch liegen Gespräche mit Zeitzeug:innen zugrunde. Gab es Anekdoten, die du selbst vergessen hattest?
Bei den knapp 70 Interviews, die Elmar und ich für das Buch geführt haben, sind wir auf viele Geschichten gestoßen, an die wir uns nicht mehr erinnern konnten. Ich habe mir in dem Zuge auch mal wieder das Interview angeschaut, das ich mit Mariah Carey im Schlosshotel Grunewald geführt habe und zu meiner Überraschung erinnert es stark an einen Softporno. Ich hatte wirklich nicht mehr auf dem Schirm, wie sie mir in diesem ultraknappen Top und in dieser lasziven, halbliegenden Position gegenübersaß. Beim Schauen habe ich bloß darauf gewartet, dass ich sie frage: „Warum liegt hier eigentlich Stroh?“
Waren die Erinnerungen deiner ehemaligen Kolleg:innen denn deckungsgleich?
Es gab ein paar Geschichten, von denen uns am Ende verschiedene Versionen vorlagen, weil sich alle Beteiligten anders an gewisse Details erinnert haben. Es gibt zum Beispiel eine Stelle im Buch, da erzählt Sarah Kuttner, dass Campino in einem Interview so scheiße zu ihr gewesen sei, dass sie im Anschluss heulen musste. Das hat wohl Nora Tschirner mitbekommen, die Campino daraufhin verfolgt und ihn in einer Kneipe zur Rede gestellt hat. Wir hatten also Sarahs Version und auch Campino konnte sich sehr detailliert daran erinnern und wer wusste nichts mehr davon? Nora, die Hauptprotagonistin der Story. Immerhin gab sie zu, dass sie die Aktion ähnlich sehe.
Einige deiner Kolleg:innen berichten davon, privat von Popstars kontaktiert und eingeladen worden zu sein. Warum warst du diesbezüglich zurückhaltender?
Ich bin ja nicht zu einem klassischen VJ-Casting gegangen, weil ich mich für einen besonders süßen Boy gehalten habe, der unbedingt vor der Kamera stehen muss. Ich hatte einen journalistischen Background, weil ich vorher im Printbereich und beim Radio gearbeitet habe. Diese journalistische Distanz habe ich mir als moderierender Redakteur bewahrt und im Musikfernsehen fortgesetzt.
Die Neunziger waren eine Ära, in der Politik und Popkultur nur wenige Berührungspunkte hatten. Vermisst du diese Sorglosigkeit manchmal?
Wenn ich zurückblicke, bin ich froh, dass ich diese Zeit erleben durfte. Ich kann aber nicht sagen, dass ich sie vermisse. Mir hat es damals schon nicht gefallen, wie arglos man in der Popmusik in den Tag hineingelebt hat. Die wenigen Beispiele derer, die sich öffentlich gegen Rechts ausgesprochen haben, konntest du an einer Hand abzählen. In der Rückschau wünschte ich, wir hätten uns mehr engagiert. Denn obwohl wir bei VIVA Zwei sehr nerdy unterwegs waren, sind wir vergleichsweise unpolitisch gewesen. Wenn ich allein an diese ganzen Nu-Metal-Bands zurückdenke, wie Limp Bizkit oder die Bloodhound Gang – aus heutiger Sicht hätte ich keinen Bock mehr, dass so ein Sexisten-Kram weitestgehend unkommentiert über den Äther geht. Da waren wir manchmal zu unkritisch.
Viele der weiblichen Moderatorinnen mussten vor der Kamera zahlreiche sexistische Sprüche und Gesten ertragen, wenn sie den großen Rockstars gegenübersaßen. Wurde das Backstage thematisiert?
Das wurde schon diskutiert. Ich kann mich an einige erbitterte Redaktionssitzungen erinnern, in denen es darum ging, ob wir das neue Video von Band XY in die Rotation nehmen oder nicht. Da gab es immer eine Fraktion, die gesagt hat: „Public Demand! Wir müssen das spielen!“ Und die andere Seite, die gesagt hat: „Wir können diesen misogynen Arschlöchern doch keine weitere Plattform geben.“ Da wurde heiß diskutiert und am Ende des Tages musste eine Entscheidung fallen. Es ist natürlich immer schwierig, bloß auf die „anderen Zeiten“ zu verweisen. Aber der zeitliche Kontext spielte da natürlich mit rein. Das würde heute anders laufen.
Anderseits sind VIVA und MTV, in Bezug auf die Frauen- und People-of-Color-Quote, diverser aufgestellt gewesen als viele heutige Formate. Woran lag das?
Beim Musikfernsehen wurden damals bewusst Leute gesucht, die edgy waren und bei anderen Sendern keine Chance gehabt hätten. Auf diese Weise wollte man sich vom restlichen Programm abgrenzen. Es war egal, welche Hautfarbe, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung die Moderator:innen haben. Aber es wurde nicht in Quoten gedacht, das war gelebte Diversität, ohne dass es den Begriff gab – und das war nur im Musikfernsehen möglich.
Interview: Diana Ringelsiep