Interview

Markus Acher (The Notwist) im Interview: „Wir müssen endlich lernen, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten“


Die Brüder Markus und Micha Acher sollen im Juni als „Artists in Residence“ das „Elbjazz“-Festival in Hamburg maßgeblich mitgestalten. Sie wollen dort demonstrieren, dass ihr künstlerischer Horizont weit über ihre ohnehin schon ziemlich außergewöhnliche Indieband The Notwist hinausgeht. Wir haben mit Markus Acher telefoniert und mit ihm über deprimierende Couch-Erfahrungen in Corona-Zeiten gesprochen, über Grenzen in der Kunst und Politik – und über das neue Album von The Notwist, das im Herbst erscheinen soll.

Im 31. Jahr ihres Bestehens gelten The Notwist längst nicht nur als das große bundesrepublikanische Vorbild für Bands, die es immer noch ernst meinen mit Begriffen wie Unabhängigkeit und Integrität. Sie haben auch bewiesen, dass man seine Kunst lebendig, frisch, beweglich halten kann, wenn man nur seine Türen weit offenlässt – für Ideen, Klänge, andere Genres und neue Freundschaften. Dabei spinnt die Band unter Führung der beiden oberbayerischen Acher-Brüder an einem internationalen Netzwerk von Musiker*innen und Bands, das immer noch größer und vielfältiger wird.

Gerade auch deshalb wurden The Notwist als „Artists in Residence“ auf das „Elbjazz“-Festival eingeladen, welches (hoffentlich) am ersten Juni-Wochenende in Hamburg stattfinden wird. Die Musiker spielen dort nicht nur mit ihrer Hausband, sondern auch in und mit anderen Projekten.

Musikexpress: Markus, macht das Corona-Virus auch euch einen Strich durch Pläne, die ihr mit The Notwist oder anderen künstlerischen Arbeiten hattet?

Markus Acher: Ja, extrem. Wir nehmen ja gerade unsere neue Platte mit The Notwist fertig auf. Gut, das wird noch irgendwie gehen. Da kann jeder für sich zu Hause daran arbeiten und wir schicken uns die Sachen online hin und her. Konzerte hatten wir zwar vorerst nur wenige geplant, eben weil wir unser Album fertigmachen wollten. Das bedeutet aber: Man hat keine Einnahmen. So etwas geht, wenn man sich sicher sein kann, das bald wieder welche kommen. Aber wir wissen nicht, was von den Konzerten, die für das weitere Jahr schon vereinbart sind, stattfinden kann und was nicht. Dadurch kann es ganz schnell ziemlich tragisch werden.

Risiko-Patient Clubkultur: Über ein Überleben in der Corona-Krise
Foto: Gerald von Foris

Wenigstens trifft es euch nicht in einem tourstarken Jahr.

Aber wir planen ja auch Tourneen mit anderen Projekten, zum Beispiel mit Spirit Fest (einem Bandprojekt von Markus Acher mit Mitgliedern von Tenniscoats, Aloa Input, Jam Money und Joashino – Anm. d. Aut.) und auch bei Fehler Kuti spielen Micha und ich live mit, und dann noch die Konzerte der Hochzeitskapelle (einer „Rumpeljazz“-Gruppe der Achers) … Das addiert sich zu dem zusammen, was die Miete bezahlt.

„Ich finde Streaming-Konzerte eher deprimierend.“ (Markus Acher)

Statt Clubauftritte gibt es jetzt Streaming-Konzerte im Internet. So nett das vielleicht ist, manche Künstler*innen in ihre Wohnzimmer und Proberäume schauen und ihnen bei der Hausmusik zuhören zu können – im Sinne des Erfinders ist das ja nicht.

Nee. Ich finde das eher deprimierend. Zum ersten Mal habe ich das bei befreundeten Musikern aus Japan gesehen, die nach einer Konzertabsage live aus ihrem Proberaum streamten. Ich dachte mir: Oh Gott, wenn das jetzt die Zukunft ist?!

„Und du sitzt. Und du scheißt. Zu allem bereit“: Beobachtungen zu Live-Streams von Spilker, Polak, Pocher und Wendler

Verrückte Zeiten…

Ja, plötzlich merkt man, was man bisher alles so hatte, dadurch, dass es von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden ist. Gerade diese Freiheit, sich bewegen zu können, zu reisen, die fehlt mir sehr. Ein Freund von uns musste zum Beispiel noch mit dem Nachtzug nach Dänemark, weil am nächsten Tag um 12 Uhr die Grenze zugemacht wurde, weil er zu seiner Freundin wollte. Das klingt wie eine Geschichte aus dem Krieg, wie man sie vielleicht von Oma und Opa kennt.

 „Allein kriegt das ja niemand hin.“ (Markus Acher)

Durch ein Virus, aus heiterem Himmel…

Ja, dass es ausgerechnet so etwas ist, das alles zur Strecke bringt. Wo doch auch politisch schon so vieles schiefläuft und so viele schreckliche Dinge passieren, von denen man sich dachte: Das sind die großen Probleme, die wir gerade haben. Und dann geschieht so etwas, und man steht vor ganz anderen Problemen, die aber ja doch wieder mit den anderen zu tun haben. Denn im Endeffekt geht es ja auch hier wieder darum, dass man endlich lernen muss, zusammenzuarbeiten – über Ländergrenzen hinweg. Statt alles zuzumachen. Denn alleine kriegt das niemand hin.

Lass uns über das „Elbjazz“-Festival reden. Noch darf man Hoffnung haben, dass es stattfindet. Ihr seid dort als „Artists in Residence“ eingeladen. Was ist darunter zu verstehen?

Während sich The Notwist ja seit vielen Jahren um Micha und mich zentrieren, featuren wir beim Festival Bands, in denen wir ganz andere Rollen spielen – sei es in dem Jazz-Trio von Micha gemeinsam mit Günter „Baby“ Sommer und Johannes Enders oder bei den Teeniscoats aus Japan, mit denen ich gemeinsam als Spirit Fest spiele, aber eben nur als ein Teil. Wir können auf diesem Festival Leute zeigen, die uns durch die Zusammenarbeit mit ihnen sehr inspiriert haben.

Dem „Elbjazz“-Festival in Hamburg, das seit 2010 veranstaltet wird, dient der Hafen als eindrucksvolle Kulisse.

Für Menschen, die euch schon ein bisschen genauer kennen, ist das ja nichts Neues: Ihr arbeitet schon seit Jahren in verschiedensten Projekten, es geht euch offensichtlich um die Überwindung von Grenzen und Hierarchien in der Musik…

Und das gilt heute vielleicht mehr denn je. Denn das hat sich durch unser „Alien Disko“-Festival, das wir vier Jahre lang in den Münchner Kammerspielen kuratiert haben, noch verstärkt. Wir konnten dorthin tolle Künstler einladen, bei denen wir uns dachten, dass sie ähnlich arbeiten oder denken wie wir. Das hat wiederum zu ganz vielen neuen Kontakten, Freundschaften und Kollaborationen geführt, das ist so eine Art großer Freak-Haufen an Leuten, die auch untereinander Sachen miteinander machen.

„In München herrscht nach wie vor eine Art Kultur-Notstand.“ (Markus Acher)

Die „Alien Disko“ hat sich schnell einen ausgezeichneten Ruf erspielt. Wie ist es um die Zukunft des Festivals bestellt?

Es ist nicht sicher, ob das fortgeführt wird, weil es einen Intendanten-Wechsel an den Kammerspielen gegeben hat. Es gibt schon Interesse seitens des Hauses. Und wir würden es auf jeden Fall gerne weitermachen. Aber es ist auch denkbar, dass es in einer neuen Form oder an einem anderen Ort fortgeführt wird.

Aber unbedingt in München?

Ja.

Weil es euch darum geht, in eurer Heimat etwas anzubieten, was den Horizont der örtlichen Kultur- und Veranstaltungsszene erweitert?

Ja, wir müssen! In München herrscht nach wie vor so eine Art Notstand – so viele Künstlerinnen und Künstler kommen einfach nicht in die Stadt. Da spielen zwar viele große Bands und auch einige ganz kleine, aber ein bestimmtes Mittelfeld findet einfach nicht statt.

Seltsam, in einer Stadt mit fast 1,5 Millionen Einwohnern.

Bestimmte Sachen kann man dort einfach nicht durchführen. Ich hatte außerhalb des „Disko“-Festivals angefangen, Konzerte zu veranstalten – über Kontakte, die wiederum durch das Festival entstanden waren. Wir dachten zuerst, also Markus Grassl (u.a. Musiker bei Aloa Input – Anm. d. Aut.) und ich, vielleicht haben wir ja durch die „Alien Disko“ etwas angestochen, was die Leute dazu bringt, sich auch mal außerhalb der Reihe eine bestimmte Band, vielleicht mit anderen Münchner Künstlern zusammen, anzugucken. Aber es bleibt schwierig. Meistens zahlt man drauf und leistet sich quasi Privatkonzerte. Und man will die Bands ja auch nicht dauernd im Preis drücken müssen …

„Es steckt viel von der ,Alien Disko´ in unserer neuen Platte.“ (Markus Acher)

Kannst du schon etwas über die kommende Platte von The Notwist erzählen? Inwieweit wird sie auch durch den von dir beschriebenen Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern beeinflusst?

Die Zusammenarbeit mit den Tenniscoats, die sind einfach sehr eigen und sehr inspirierend, hat zum Beispiel ganz sicher ihre Spuren hinterlassen. Von denen wird es auch Gastbeiträge geben, und wir haben noch andere „Alien Disko“-Leute gefragt, ob sie mitmachen wollen. Die aktuelle Situation sorgt allerdings dafür, dass die meisten von ihnen gerade ganz andere Sorgen haben. Aber selbst wenn das nicht klappen sollte, steckt tatsächlich sehr viel drin davon, was wir gesehen, gehört und erlebt haben auf der „Alien Disko“. Es ist aber trotzdem typische Notwist-Musik, würde ich sagen.

Und wie weit seid ihr konkret mit den Aufnahmen?

Wir sind auf der Zielgerade, haben alle Stücke beisammen. Bei zwei, drei Songs fehlt noch was, Gesang oder so. Und es fehlt noch der große Bogen. Wir versuchen ja jedes Mal – und diesmal vielleicht sogar noch mehr – ein Album zu machen, bei dem es sehr wichtig ist, es als Ganzes zu hören. Die Stücke verbinden sich, eines ist sogar aus einem anderen entstanden, Motive wiederholen sich oder eine bestimmte Akkordfolge. Und jetzt geht es eben darum, diese Dinge ineinander zu verschränken, damit die Platte einen guten Flow bekommt.

Das „Elbjazz“-Festival soll am Freitag und Samstag, 5. und 6. Juni, auf neun Bühnen rund um den Hamburger Hafen stattfinden. Neben den „Artist in Residence“-Programmpunkten der Brüder Acher mit Auftritten von The Notwist, Fehler Kuti, Spirit Fest und Acher Sommer Enders sind folgende Acts zu sehen: BadBadNotGood, Shabaka And The Ancestors, Moop Mama, Moka Efti Orchestra, Ron Carter, Archie Shepp Quartet, Oddisee & Good Company u.a.. Weitere Informationen unter: elbjazz.de.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

MIRAGE MIRAGE, das neue Album von Spirit Fest, erscheint am 15. Mai auf Morr Music. Eine Tour ist eigentlich ab Ende Mai geplant. Außerdem veröffentlicht Morr Music gemeinsam mit Markus Achers Label Alien Transistor am 1. Mai das Doppelalbum MINNA MITERU, eine von Saya (Tenniscoats) zusammengestellte Sammlung mit japanischer Independent-Musik.

Gerald von Foris Gerald von Foris
Jens Schlenker