Mark Knopfler: King Knopfler


Der weltfremde Bub, der 1977 widerwillig ins Rampenlicht stolperte, gehört der Vergangenheit an. Ebenso die bange Frage, ob ein Künstler auch kommerziell erfolgreich sein darf. Mark Knopfler, mit seinen Dire Straits gerade am Start einer Mega-Tournee, hat längst seinen Frieden mit sich und seinem Bankkonto geschlossen.

Sechs Jahre ist es her,daß er – zum Entsetzen seiner Fans – die Dire Straits auf Eis legte. Der geborene Anti-Star, inzwischen 41 Jahre alt, war damals dem Psychodruck nicht mehr gewachsen. Die alte Geschichte: Jahrelang läuft man dem Erfolg hinterher – und dann wird man die Geister, die man rief, nicht mehr los. Mark Knopflers Versuch, sein musikalisches Rückgrat mit dem ungeliebten Status des Superstars unter einen Hut zu bringen, erwies sich immer mehr als ein aussichtsloser Kampf.

„Musik – das sollte wie ein Gespräch zwischen zwei Personen sein, dem Künstler und dem Publikum. Auf der letzten Tour lag das Gewicht immer mehr auf ‚Popstar‘ und ‚Personality‘ und immer weniger auf der Musik. Ich hatte einfach nicht mehr das Gefühl, eine echte Unterhaltung mit den Zuschauern führen zu können. Ich konnte, bildlich gesprochen, nur noch Phrasen dreschen wie ‚Hallo, wie geht’s?‘ und ähnlich hohlen Small-Talk.

Durch die nachfolgende Arbeit mit anderen Musikern habe ich mittlerweile viel über musikalische Kommunikation gelernt, ich kann mich inzwischen weitaus besser artikulieren als früher.“

Dabei war Knopflers musikalische und persönliche Frischzellenkur fast so etwas wie ein Kuhhandel: Während er bei diversen Star-Kollegen – Bob Dvlan, Eric Clapton und Tina Turner – beim Songschreiben, im Studio und auf der Bühne aushalf, leisteten diese praktische Lebenshilfe. Sie gaben ihm Nachhilfeunterricht, wie man als Star ohne bleibende Schäden überlebt.

Nun, da er seine persönlichen Dämonen erfolgreich gebannt hat, ist Knopfler wieder entschlossen, das Heft in die Hand zu nehmen. Und dabei geht er in die Vollen: Während der anstehenden Welttournee absolvieren die Dire Straits 230 Auftritte in knapp zwei Jahren, und obwohl jede Woche „on tour“ 600.000 Dollar verschlingt, werden Knopfler & Co, sobald der letzte Applaus verklungen ist, vermutlich mehr als 200 Millionen Dollar eingespielt haben, erheblich mehr als jede andere Band zuvor. (Die 80 Millionen Dollar, die die Rolling Stones mit ihrer „Steel Wheels“-Tour einspielten, wirken im Vergleich dazu wie ein mageres Taschengeld.) Ein erstaunlicher Sinneswandel, wenn man bedenkt, daß Knopfler, der sich zur Zeit in einem Londoner Studio auf das Mammutunternehmen vorbereitet, nach der letzten Tour fast die Gitarre an den Nagel hängen wollte. „Ich dachte eine Zeitlang ernsthaft daran, einen großen Strich zu ziehen. Die Band wurde zu groß. Die ganze Chose nahm Ausmaße an, die mich in Panik versetzten. Jedermann flüsterte uns ins Ohr, wir seien die beste Band der Welt. Es war mir unmöglich, mit diesem Ballast leben zu müssen.“

Aber warum gleich eine sechsjährige Zwangspause?

Knopfler hat darauf eine pragmatische Antwort: „Studioaufnahmen, Proben und Tour, das ist ein gigantischer Kreislauf – es dauert jedesmal ungefähr drei Jahre, und dann fängst du wieder von vorne an. Nach einer zweijährigen Welttournee ist es kein besonders erhebender Gedanke, gerade mal zwei Wochen Urlaub zu machen und dann gleich wieder in den Ring zu steigen.“

Die „Platte-Tour-Platte“-Tretmühle war jedoch nicht der einzige Grund für Knopflers Aussteiger-Ambitionen. Nachdem ihn Fans und Medien wie weiland Eric Clapton in den Rang eines Gitarrengottes erhoben hatten, nachdem 60 Millionen verkaufte Alben kaum mehr Platz für neue Rekorde ließen, begann Knopfler, sein ganzes bisheriges Leben rigoros in Frage zu stellen. Die Gretchenfrage lautete: Will ich zu einem Megastar wie Madonna oder Michael Jackson werden oder mir einen letzten Rest künstlerischer Glaubwürdigkeit bewahren?

Knopfler war sich bewußt, daß der ersten Möglichkeit nicht nur sein Privatleben, sondern – angesichts der mörderischen 200 Gigs pro Jahr, die bei den Dire Straits damals im Terminkalender standen – wahrscheinlich auch seine Gesundheit zum Opfer fallen würde. Warum weitermachen, wenn man ohnehin schon in die Annalen der Rockgeschichte eingegangen ist und sich als Musiker, Songwriter und Produzent ein beruhigendes 40-Millionen-Mark-Konto angelegt hat?

Knopfler fand eine elegante Lösung: Anstatt sich selbst weiterhin gnadenloser Fan-Verehrung und Medienüberwachung auszusetzen, versteckte er sich hinter dem breiten Rücken prominenter Kollegen. „Es hat verdammt lange gedauert, bis ich kapiert habe, daß man sein Leben nicht damit verbringen kann, anderer Leute Träume zu verwirklichen. Man darf sich nicht zu Tode arbeiten, um anderen ihren Kick zu verschaffen – ob das jetzt eine Platte oder ein Konzert ist. Irgendwann wachst du auf und merkst, daß von dir selbst nichts mehr übrig ist – du hast dich in jeder Beziehung verausgabt. Ich brauchte dringend eine größere Pause. Ich mußte das Steuer eine Zeitlang aus der Hand geben.“

Nicht so einfach für jemanden, der von sich selbst sagt: „Ich fühle mich sehr wohl als Nabel aller Dinge. Ich mag Macht“, und der zugibt, daß sein Ruf als beinharter Perfektionist, der die Kontrolle über alle Aspekte seiner Karriere verlangt, nicht ganz unbegründet ist. „Ich freue mich, wieder auf Tour zu gehen – weil ich der Boß bin. Ich liebe es, wenn ich das Zentrum all dieser Aktivitäten, der Mittelpunkt des ganzen riesigen Tournee-Teams bin.“

Hinter dem sorgfaltig gepflegten Image des Rockstars wider Willen steckt ein Mann, der mittlerweile sehr wohl weiß, was sein musikalisches Talent auf dem Markt wert ist. Knopfler, der sich vor sechs Jahren in einer Karriere verstrickt wähnte, über die er keinerlei Kontrolle hatte, hält die Zügel heute fest in der Hand und kann über seine einstigen Ängste nur noch laut lachen: „Ich finde es großartig, daß die Band so populär ist. Ich kann Popularität nur empfehlen.“ Während der versuchsweisen Trennung von den Dire Straits war Knopfler alles andere als untätig: Neben Projekten mit Kollegen wie Joan Armatrading, Chet Atkins, Peter Gabriel und Randy Newman und der Arbeit mit seiner Country-Blues-Band The Notting Hillbillies hat er auch Neulingen wie der amerikanischen Country-Sängerin Martraca Berg unter die Arme gegriffen. Doch auch derart selbstlose Arbeit verliert irgendwann ihren Reiz: „Ich kam jeden Morgen um drei aus dem Studio, kletterte ins Bett und dachte: ‚Ich muß so etwas doch nicht machen.‘ Es war gut, mal etwas anderes auszuprobieren, über ich habe selbst noch soviel Neuland zu erforschen. Die Zeit ist zu wertvoll, ich kann sie beim besten Willen nicht nur in anderer Leute Arbeit investieren.“

Die nächsten drei Jahre, so hat es sich King Knopfler vorgenommen, wird seine Schaffenskraft ausschließlich den Dire Straits zugute kommen. Selbst die Familie muß da zurückstecken, denn Knopfler hat nicht vor, seine Frau Lourdes Salamone und die vierjährigen Zwillinge Joseph und Benjamin auf die nächste Tour mitzunehmen. „Ich denke, daß es nicht ratsam ist, übermüdete Kinder durch die Welt zu schleppen. Kinder haben es nicht so gern, wenn man sie ständig aus ihrer vertrauten Umgebung reißt. Sie brauchen die Sicherheit eines Zuhauses, und sie mit auf Tournee zu nehmen – selbst nur für ein paar Wochen – würde sie zu sehr durcheinanderbringen.

Natürlich ist es schrecklich, so lange von der Familie getrennt zu sein, aber damit muß man halt leben. Ich glaube, ich habe sowieso ein bißchen etwas von einem Zigeuner in mir. Wenn ich spüre, daß ich raus muß, einfach etwas unternehmen muß, kann ich wenig dagegen tun.“

Wenn er nicht gerade im Studio oder auf Tour ist, verbringt Knopfler die meiste Zeit in seiner Villa in London (die mit sieben Millionen DM zu Buche schlug, falls das jemanden interessiert), und im Sommer übersiedelt die Familie mit Sack und Pack in ihre kaum weniger großzügige Behausung in Manhattan, für die Knopfler knapp vier Millionen auf den Tisch blätterte. Doch so ganz glücklich ist er mit der Auswahl an Wohnsitzen noch immer nicht: „Wir haben bis jetzt noch kein Haus auf dem Land, dieses Problem muß ich bald mal in Angriff nehmen.“ Mit den Einnahmen der nächsten Tour kann er vermutlich etwas Größeres ins Auge fassen – und das ist auch bitter notwendig, denn schließlich muß ja die Sammlung alter Rennwagen (Wert: ca. vier Millionen Mark) noch irgendwo ein kleines Plätzchen finden.

Von diesen Kleinigkeiten mal abgesehen, unterscheidet sich Knopflers Leben nicht entscheidend von dem anderer Leute seines Alters:

„Zuhause führe ich ein stinknormales Leben. Morgens hebe ich ein paar Gewichte, das hilft, wenn man mal in einer langen Nacht zuviel Nikotin oder Alkohol abbekommen hat. Wenn ich im Studio arbeite, verlasse ich das Haus um 11 und komme gegen sechs Uhr wieder. Abends sehe ich mir dann gern Sportsendungen an, vor allem amerikanischen Football, und wenn ich mich noch fit fühle, spiele ich eine Runde Billard oder Tennis. „

Knopfler gibt zu, über neuere Pop-Entwicklungen so gut wie nichts zu wissen. „Ich hasse es, Pop zu hören, wenn ich zuhause bin. Die Charts interessieren mich nicht die Bohne. Wenn ich vor dem Fernseher sitze und zufällig eine Pop-Sendung erwische, schalte ich gleich verschreckt weiter. Musik mit einem Dance-Beat ist immer Müll. Aber das wissen eigentlich sowieso alle, das muß ich niemandem erzählen.“

Auch für MTV, das immerhin durch eifriges Abnudeln der frühen Straits-Videos einiges zum Erfolg der Band in Amerika beitrug, kann sich Knopfler nicht erwärmen: „Ich mag manches von diesem Rap-Zeug, aber das meiste, was MTV bringt, ist wie Tennis ohne Netz. Wenn ich mir diese jungen amerikanischen Bands anhöre, die über ‚Rock’n’Roll‘ reden – also meine Vorstellung von Rock’n’Roll ist das nicht!

Ich bin froh, daß ich schon 28 war, als es mit den Dire Straits richtig losging. Wenn du einen Teenager ins Rampenlicht stellst und ihm eine Menge Geld in die Hand drückst, kann das eigentlich nur schiefgehen. Es sollte verboten werden, 18jährige zu Popstars zu machen. Ganz egal, für wie schlau sich diese Bürschchen in den Hitparaden halten, sie landen unausweichlich in der Scheiße.“

Im Gegensatz zu anderen Megastars verspürt Knopfler keine Lust, sich vor der Öffentlichkeit abzuschotten. „Ich möchte immer noch in London oder New York herumspazieren, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn ich nicht mehr die Möglichkeit hätte, ganz banale Dinge zu tun – in eine Kneipe zu gehen oder in einem Cafe einen Happen zu essen – wüßte ich auch nicht, worüber ich schreiben sollte. ‚Sultans Of Swing‘ ist zum Beispiel in einem kleinen Pub in London entstanden, und der Text zu ‚Money For Nothing‘ fiel mir ein, als ich mir in New York einen Fernseher kaufte.“

Während Popgötter wie Madonna, Eric Clapton und Bono sich vor den Attacken der Medien kaum retten können (und manchmal, zumindest im Falle von Madonna, auch gar nicht wollen), hat es Knopfler bisher geschafft, sein Privatleben aus den Medien herauszuhalten. Es gibt nicht gerade viele Fotos, die ihn beim Verlassen eines angesagten Nachtclubs zeigen, und Sensationsmeldungen über die angeblich so typischen Sex & Drugs-Orgien fehlen vollständig.

„Ganz am Anfang haben wir auch ein bißchen über die Stränge geschlagen, aber das hat sich mit der Zeit gelegt. Heutzutage läuft unsere Maschinerie so geschmiert, daß wir überhaupt nicht Gefahr laufen, mit diesen Dingen konfrontiert zu werden. Mit Drogen kommen wir gar nicht erst in Berührung, und es gibt auch keinen triftigen Grund, ein Hotelzimmer auseinanderzunehmen. Ich bin mittlerweile in einer Position, in der der Wahnsinn gar nicht soweit eskalieren darf.

Was nicht heißt, daß ich mit einem Heiligenschein rumlaufe. Heiligen würde ich nie über den Weg trauen. Ich glaube, man muß auch ein paar schlechte Charakterzüge besitzen, um unterm Strich gut zu sein.“

Knopfler kann daher auch gelassen gestehen, in jungen Jahren ein wenig zu häufig den Joint gerollt zu haben, zumal das nun wirklich Schnee von gestern ist: „Ich habe seit Jahren keine Drogen mehr angerührt. Wenn ich heute einen Joint rauchen würde, müßte man mich danach wahrscheinlich unter dem Tisch hervorziehen.“

Knopfler ist nicht nur einer der erfolgreichsten Musiker, den England in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat, er ist auch einer der eigensinnigsten – und das gedenkt er auch zu bleiben. Nur eines steht für ihn fest: Diese Dire-Straits-Tour wird, entgegen allen früheren Beteuerungen, doch nicht die letzte sein. „Ich werde mit Sicherheit nie wieder an einen Punkt kommen, wo ich mit dem Spielen aufhören will. Ich glaube, die Dire Straits wird es wohl noch eine ganze Weile geben.“