Mark Knopfler: „Ich fühle mich wie ein Kind mit neuem Spielzeug“


Das neue Album der Dire Straits klingt zum Teil anders als die beiden Vorgänger. Das liegt nicht nur am Ausscheiden von David Knopßer, sondern auch an der Hinzunahme eines Keyboarders. Zu welchen Einsichten Mark Knopßer inzwischen gelangt ist, erzählte er dem MUSIK EXPRESS Fangen wir am Anfang an. „Making Movies“ heißt eure neue Platte. Ist das nur ein Verlegenheits-Titel, oder gibt’s da so etwas wie einen „tieferen“ Sinn?

Furchtbar symbolisch war das eigentlich nicht gemeint. Es ist nur so, daß ich – bzw. die ganze Gruppe – sich mehr und mehr in Richtung von Filmmusik entwickelt.

Heißt das, daß ihr einen Soundtrack zu einem bestehenden Film machen wollt, oder meinst du lediglich, daß eure Musik allgemein visueller wird?

Afein, ich denke an eine Filmmusik zu einem existierenden Film. Aber es stimmt auch, daß unsere Musik visueller wird, und das sehe ich als sehr positive Entwicklung. Das hängt einlach damit zusammen, daß sich durch den Einsatz der Keyboards in letzter Zeit ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven aufgetan haben. Von den Keyboards hängt’s wirklich ab. Die Songs auf dem neuen Album habe ich erstmals alle auf dem Klavier geschrieben, und es liegt dadurch in der Nakir dieser Songs, daß sie eine vollere Orchestrierung brauchen.

Gibt es denn bereits ein konkretes Filmprojekt, oder sind das noch vage Ideen?

Nein, nichts Konkretes, aber ich würde es liebend gerne machen. Ich verstehe unsere gegenwärtigen Versuche auch mehr als Fingerübungen, weil ich mich in Zukunft mit dem Verhältnis von Film und Musik noch intensiver beschäftigen möchte. Vielleicht habe ich in einem Jahr auch schon die Nase davon voll, aber im Moment ist es das, was mich brennend interessiert.

Und die Sache mit den Keyboards war es eben, die mich auf diese Idee gebracht hat. Durch den Synthesizer beispielsweise steht mir plötzlich eine ganze Bläsergruppe zur Verfügung. Ich wollte eigentlich sogar zwei Keyboard-Leute haben, aber unser neuer Mann Alan Clark meinte, er könne das mit seinen ganzen Keyboards alleine schaffen. Und es macht mir viel Spaß, all diese neuen Sounds verarbeiten zu können. Ich fühle mich wie ein Kind mit neue. Spielzeug! Ich hätte mir früher 1 nie zugetraut, mich in diese Rieh tung zu entwickeln, ich kann ja nicht einmal Noten lesen. Ich dachte, ich würde lebenslänglich RocknRoller bleiben.

Nun habe ich schon einige Stimmen gehört, die ein bißchen enttäuscht meinten, der Rock’n’Roll sei auf dem Album ein wenig zu kurz gekommen – zumindest im Vergleich zum Repertoire der letzten Tournee.

Man kann eben schlecht auf zwei Hochzeiten tanzen. Ich spiele auch noch immer gerne einen gradlinigen, unkomplizierten Rock- oder R&B-Song. „Solid Rock“beispielsweise, dashaben wir ohne langes Fackeln richtig herausgepumpt. Aber momentan gibt es eben andere Dinge, die mich mehr faszinieren.

Hast du denn beim Verlassen des Studios diesmal ein besseres Gefühl gehabt als bei den Platten zuvor?

Zufrieden bin ich eigentlich nie mit unseren Platten; wir müßtenuns eigentlich bei den Aufnahmen noch mehr Zeit nehmen. Bei der ersten LP waren es ganze drei Wochen, bei „Making Movies“ auch nur etwa fünf. Aber diesmal habe ich wirklich ein besseres Gefühl gehabt. Nicht so sehr wegen der Platte selbst, sondern weil ich gemerkt habe, daß sich für mich neue Wege auftun, ich hatte das Gefühl, als könnte ich plötzlich mit einem ganzen Orchester arbeiten. Ich merke, daß ich ein riesiges Nachholbedürfnis in Sachen Musik habe.

Eine Frage zu den Texten. Es sind ja nun durchweg Lovesongs. Und wer deine persönlichen Umstände kennt, kann sich ja an den Fingern ausrechnen, daß der Bruch mit deiner langjährigen Freundin da Spuren hinterlassen hat…

Das sind einfach verschiedene Stimmungen. Ich würde nicht mal sagen, daß das alles so furchtbar autobiographisch ist. Manchmal kann man auch Gefühle anderer Leute nach vollziehen, und manchmal ist es auch nur… „poetische Freiheit“.

Inwieweit fiktiv ist denn beispielsweise der Song „Les Boys“, in dem es um ein Transvestiten-Cabaret geht, das dir anscheinend in München über den Weg gelaufen ist?

Wir hatten in München gespielt, kamen ins Hotel und konnten nichts mehr zu essen bekommen nur oben in der Bar. Wir sind also hochgegangen und sahen „Les Boys“, ein Transvestiten-Trio, das zu einem Playback mimte. Sie waren entsetzlich! Überhaupt nicht witzig. Kein Mensch lachte. Und ich fing irgendwie an, sie zu bewundern. Die ganze Situation war so absurd. Der Kellner war aus Algerien, der DJ aus England, die Nutten versuchten die Businessleute anzumachen, wir saßen total ausgemergelt in unserer Ecke – und trotz alledem machten die Boys unbekümmert ihre Show. Sie waren so billig und geschmacklos, aber trotzdem hab‘ ich sie bewundert, weil sie aus negativen Umständen etwas Positives zu machen versuchten. Sie zogen ihre Sache einfach durch – trotz der lächerlichen Situation.

Ist das eine Haltung, zu der du dich persönlich hingezogen fühlst: Daß man trotz negativer Umstände möglichst positive Energien erzeugen sollte?

Exakt. Das ist etwas, woran ich fest glaube. Denn wenn du das nicht tust, geht es mit dir schnell den Bach hinunter. Ich war in der Vergangenheit auch mehrmals wie paralysiert – das wird wohl auch keiner ganz vermeiden können – aber es darf nur vorübergehend sein. Du mußt aus solchen Erfahrungen die Konsequenzen ziehen.

In „Solid Rock“ klingt ja wohl so etwas durch, als hättest du, wie Bob Dylan auch, endlich „festen Boden“ unter die Füße bekommen?

„Solid Rock“ haben wir schon lange vor Bob Dylan einmal aufgenommen. Und ja ich glaube gelernt zu haben, nicht mehr so sehr ein Opfer von Umständen zu sein.

Willst du eigentlich noch Sessions machen, wie im Falle von Dylan, Steely Dan und Phil Lynott?

Liebend gerne. Ich werde auch von vielen Leuten gefragt, ob ich sie nicht produzieren möchte. Aber da gibt es natürlich erhebliche Zeitprobleme.

Über das Ausscheiden deines Bruders David möchtest du ja sicher nicht so gerne sprechen, aber…

Er möchte Produzent sein – und er möchte die Sachen, an denen er arbeitet, selbst bestimmen können. Wenn du selbst Songs schreibst, wenn du selbst kreativ sein willst, dann willst du auch keinen vor der Nase haben, der an deiner Musik rumfummelt. Und wenn das doch jemand tut, dann sollte der Betroffene die Konsequenzen ziehen und sein Leben in die eigene Hand nehmen. Und genau das hat David getan. Es war der beste Zeitpunkt. Sonst hätte es im Studio und auf Tournee erhebliche Probleme gegeben.

Gab es denn nicht die Möglichkeit, einen Kompromiß einzugehen und ihm in der Musik die gleichen Chancen einzuräumen? Lassen sich da zwei Perspektiven nicht unter einen Hut bringen?

Das hat gar nichts mit Perspektiven zu tun. Bei den Songs, die ich für diese Gruppe schreibe, weiß ich auch am besten, wie sie letztlich klingen sollen. Natürlich kann jeder seine Ideen beitragen…

Aber das bezieht sich wohl mehr auf Details. Die letzte Entscheidung willst du doch anscheinend nicht aus der Hand geben?

Ich weiß schon, worauf du hinaus willst: Daß ich hart sei und nicht mit mir reden ließe. Aber das ist nicht der Fall. Ich bin mir sicher, daß die Dire Straits im persönlichen Bereich eine der entspanntesten Gruppen sind, die es überhaupt gibt. Wenn Leute ihren Job beherrschen, wenn sie den nötigen Überblick haben, habe ich auch keinerlei Probleme mit ihnen zu arbeiten und ihnen Ideen genauso zuzugestehen wie mir. Es macht mir sogar Freude, das Beste aus einem Musiker herauszuholen. Auch aus einem Manager, einer Sekretärin, einem Journalisten. Aber sie sollten in ihrem Bereich auch fähige Leute sein.

Haben die beiden neuen „Gastmusiker“ eigentlich eine Chance, fest in die Gruppe zu kommen?

Klar, sie sind schon in der Band. Es sind phantastische Leute, es wird mit jedem Tag besser. Ich möchte jede Minute nutzen, um mit dieser Gruppe zusammenzuarbeiten.

(Dire Straits-Manager Ed Bicknell, der mit einem Ohr zugehört hat, sieht die Situation sogar noch unkomplizierter: „Solange sie im Bus nicht furzen, sind sie fest in der Band.“) Eine letzte Frage: Jemand erzählte mir, daß du ein Heim für sozial geschädigte Kinder einrichten wolltest, sobald du Millionär bist. Wie sieht’s damit aus?

Wer hat dir das erzählt?

Keine Namen, bitte.

Ja, das stimmt. Es war nur eine Idee, um etwas Sinnvolles zu tun. Aber es ist leider so, daß ich dafür noch immer nicht genug Platz in meinem Kopf habe. Es hilft schon, viel zu reisen, andere Zivilisationen zu sehen – und dadurch Ideen zu bekommen, wie man so eine Sache aufziehen könnte. Aber es fehlt mir einfach an dem nötigen Handwerkszeug, an Erfahrung, auch an der theoretischen Grundlage. Nein, im Moment gibt’s da leider nichts Konkretes zu berichten.