Mark Knopfler
Sollte es der Gnadenschuß für die Dire Straits gewesen sein? Oder nur ein heilsamer Seitensprung im eintönigen Gruppenehe-Alltag? Mit seinen "Notting Hillbillies" demonstriert der Dire Straits-Kopf jedenfalls kreative Unabhängigkeit. Und auch der elegante Anzug, der Knopfler beim Interview in London schmückt, paßt nicht so recht ins bislang biedere Bild. Mit dem runderneuerten Knopfler sprach ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch.
ME/SOUNDS: „Das ist ja ein ganz neues Knopfler-Gefühl: kein Stirnband, kein Schweißband. Warum so chic heute? Hast du deinen Sinn für Mode entdeckt?
KNOPFLER: (grinst) „Nein, den Anzug hab ich nur an. weil ich nachher mit den Kollegen fein essen gehen will. Normalerweise trage ich wie üblich Jeans oder – noch praktischer – Trainingsanzüge.“
ME/SOUNDS: Zum Thema: Dein jüngstes Projekt heißt The Notting Hillbillies. Ist dies das Ende der Dire Straits, der Anfang einer neuen Ära?
KNOPFLER: „Nein – es ist viel einfacher. Es begann damit, daß ich für einige alte Freunde die Produktion einer LP übernehmen sollte. Im Verlauf der Vorbereitungen wurde ich musikalisch immer mehr einbezogen – ich spielte, meine Ideen wurden verwendet. Der Zufall machte uns zu einer Band.“
ME/SOUNDS: Dieser Zufall weist allerdings weit zurück in deine Vergangenheit. Deinen Dire Straits-Kollegen, Guy Flechter ausgenommen, verbinden dich doch wohl alte Freundschaftsbande mit Brendan Croker und Steve Phillips?
KNOPFLER: „Richtig. Wir kennen uns schon sehr lange und haben in Leeds – lange vor den Dire Straits – zusammen in Clubs gespielt. Wir nannten uns ,The Duolian String Pickers‘. Wir hatten zwar keinen Penny. aber immer Spaß. Steve hat mir damals übrigens meine erste Rational Steel‘-Gitarre (später auch auf dem BROTHERS IN ARMS-Cover abgebildet} besorgt. Sie kostete ungefähr hundert Pfund, seinerzeit ein Vermögen für mich.“
ME/SOUNDS: Sind die Notting Hillbillies auch der Versuch, dem Druck zu entgehen, der automatisch entsteht, wenn man eine „Supergruppe“ leitet?
KNOPFLER: „Hm, vielleicht auch das. Sicherlich ist da auch so ein Gefühl von „Mach mal Pause!“. Aber wie gesagt, das war alles ein einziger Zufall mit den Hillbillies. Ich habe ein kleines Heimstudio in Notting Hill (einem Londoner Stadtteil nahe der Ponobello Road). untergebracht in einem alten Pferdestall. Dort haben wir produziert – Guy als Toningenieur und Keyboarder. ich als Produzent. Dann kam Brendan mit einem eigenen Song, Steve steuerte Material bei – und zu guter Letzt habe ich auch noch einen Song rausgerückt.“
ME/SOUNDS: MISSING … PRESUMED HAVING A GOOD TIME, so der Titel dieses Albums, erscheint bei der Phonogram, wo auch die Dire Straits unter Vertrag sind …
KNOPFLER: „… auch das ist ein Zufall. Ursprünglich wollten wir die Platte bei einem Independent-Label unterbringen. Aber auch einige große Companies fanden es toll. Sollte ich da etwa nein sagen?“
ME/SOUNDS: Mal ehrlich – glaubst du wirklich, daß diese Musik, so gut sie auch ist, eine Chance gehabt hätte ohne deinen zugkräftigen Namen ?
KNOPFLER: (grinst) „Sie hätten sowieso lieber ein Dire Straits-Album gehabt. Aber nur die Ruhe – sie kriegen sowieso eins. Wozu die Aufregung?“
ME/SOUNDS: Die Hillbillies klingen sehr traditionell, um nicht zu sagen: nostalgisch. Inwieweit übernimmt man bei einer solchen Arbeit selbst alte Produktionsmethoden ?
KNOPFLER: „Überhaupt nicht. Mein Studio ist zwar kein High Tech-Studio, sondern nur Marke Eigenbau. Die Tür schließt nicht richtig, und das Telefonklingeln geht mit aufs Band. Aber soweit moderne Technologie vorhanden war, haben wir sie genutzt, z.B. das Svnclavier.“‚
ME/SOUNDS: Also kein puristisches Unternehmen!
KNOPFLER: „Nein, die Puristen werden diese Platte gar nicht mögen, weil wir zuviel verändert haben. Beim Gesang allerdings haben wir weitestgehend auf moderne Produktionsmethoden verzichtet – Steve und Brendan haben zusammen – soweit das sauber auf Band kam – nur ein Mikrofon benutzt.“
ME/SOUNDS: Bedauerst du es nicht, daß eine Sache, die ein reiner Spaß unter Freunden war, jetzt wieder Business wird? Und das – so möchte ich behaupten – hat doch mit deiner Person zu tun.
KNOPFLER: (grinst) „Sicher, da hast du recht. Das läßt sich wohl nicht vermeiden.“
ME SOUNDS: Ist da nicht die Gefahr, daß es Eifersüchteleien gibt? Hier Knopfler, der Plattenmillionär, der Mann, der die Medien interessiert; der alle Interviews gibt, und dort die drei – weitestgehend unbekannten – alten Freunde?
KNOPFLER: „Hm, nein, glaube ich nicht. Sie sind realistisch genug, um die Situation richtig einschätzen zu können. Große Jungs, aber kein Kindergarten! Wer sich die Platte aufmerksam anhört, wird obendrein feststellen, daß Brendan 90 Prozent des Materials singt.“
ME/SOUNDS: Noch ein Kuriosum: Der Dire Straits-Manager Ed Bicknell sitzt hinter dem Schlagzeug. Wie kommt’s?
KNOPFLER: (lachend) Ja, er ist richtig aufgeregt. Ein Manager, der Nerven zeigt. Bei einer konspirativen Sitzung in einem Cafe saßen die Musiker an einem. Ed an einem anderen Tisch. Als er merkte, daß wir zu einem Entschluß gekommen waren, kam er angepirscht. Und ehe er etwas fragen konnte, sagte ich:, Wir haben uns dazu entschlossen, eine Band zu gründen, und du bist unser Schlagzeuger!‘ Das Gesicht hättest du sehen sollen. Nun – es ist mehr als ein Gag. Ed hat mehr Erfahrungen als wir alle zusammen und. wie Brendan immer sagt: Man gebe ihm ein Messer und eine Gabel und man hört, daß er ein Schlagzeuger ist.‘ Ob während des Telefonierens. ob mit Teelöffeln oder chinesischen Eßstäbchen. der Mann hat immer getrommelt.“
ME/SOUNDS: Auf dem Hillbillies-Cover habt ihr alle vier diese „National Steel“-Gitarren zur Hand. Ist das auch die Gitarre, die allabendlich neben deinem Bett steht?
KNOPFLER: „He. neben meinem Bett steht keine Gitarre. Am häufigsten benutze ich die Gitarre, die Steve Phillips gebaut hat. Er ist ein Wahnsinniger: Insgesamt hat er es bislang erst auf acht Exemplare gebracht. Aber diese Instrumente sind einfach erstklassig. Kürzlich war Tony Joe White hier in London und hat auf meiner Phillips-Gitarre gespielt. Er war hin- und hergerissen. (Imitiert den schleppenden Südstaatenakzent): ,Man, if I had a guitar like this, I’d write the funktest piece of music you ever heard in your life.'“
ME/SOUNDS: Anderes Thema: Du hast vorhin erwähnt, daß ein Dire Straits-Album in der Planung ist. War also nichts dran an den Gerächten, daß es mit den Straits aus und vorbei sei?
KNOPFLER: „Nein. Wir werden im September oder Oktober wieder zusammenkommen. Die LP-Aufnahmen werden voraussichtlich bis Weihnachten dauern, die Veröffentlichung könnte im Frühjahr ’91 stattfinden. Und dann heißt’s Koffer packen für die nächste Welttournee. Das heißt also, wir beide werden uns in drei, vier Jahren wieder irgendwo treffen.“ (qrinst)
ME/SOUNDS: Die BROTHERS IN ARMS-Tour muß ein ganz schöner Schlauch gewesen sein: 248 Auftritte, drei Millionen Zuschauer, 30 Länder. Muß man das haben?
KNOPFLER: (erstaunt) Wieso nicht? Die Fans erwarten das. Sie kaufen unsere Platten und haben ein verdammtes Recht, die Band dann auch live zu sehen. Man vergißt leicht, daß unsere Musik ein Teil ihres Lebens ist. Und da soll ich hingehen und sagen: .Nee. kein Bock mehr zu touren!‘ Es gibt allerdings eine Veränderung: mehr Gigs in großen Konzerthallen statt unzähliger Auftritte auf mittelgroßen Bühnen. Denn wie du gesagt hast: Es war ein verdammter Schlauch. 250 Shows – das ist nicht mehr drin. Die meisten Bandmitglieder haben Familie, Babies… das geht einfach nicht mehr. Das bedeutet: Wir werden jeweils drei Wochen lang touren und dann nach Hause fliegen, unreine Woche mit den Kindern spielen zu können.“
ME/SOUNDS: Ist Älterwerden ein Problem für dich?
KNOPFLER: „Nein, überhaupt nicht. Nicht, wenn man sich fit hält. Ich trainiere, stemme Gewichte und spiele Tennis.“
ME/SOUNDS: Was ist eigentlich noch dran an dem Mythos von Sex, Drugs & Rock ’n’Roll?
KNOPFLER: „Das ist – wie du selbst sagst nur ein Mythos, nur die halbe Wahrheit. Ich halte nichts davon, mit Kind und Kegel auf Tournee zu gehen: das ist Zirkus, das läßt den Respekt vor der Musik und den Musikern vermissen. Gut. wir gehen nicht mit der Bibel unterm Kopfkissen zu Bett, aber es ist nun mal eine Band, eine Tournee. Ein Busfahrer nimmt ja auch nicht Frau und Kinder mit, wenn er zur Arbeit geht. Oder hat man schon mal einen Chirurgen gesehen, der seinen Dienst in Familienbegleitung antritt?“
ME/SOUNDS: Wie lange hast du gebraucht, um dir die Hörner abzustoßen ?
KNOPFLER: „Ich?? Ich wollte schon seit Jahren Kinder haben. Was keiner vermutet: Ich kann sehr gut umschalten. Wenn ich von einer Tournee zurückkomme, ist es für mich vorbei. Kollegen haben da weitaus größere Probleme – abends gegen acht fangen sie an, auf die Uhr zu schauen, werden unruhig, vermissen den Adrenalinstoß. Ich nicht. Ich kam z.B. von dem ‚Mandela‘-Konzert nach Hause und habe in aller Seelenruhe die Fische gefüttert und mir eine Suppe heißgemacht.“
ME/SOUNDS: Ist es nicht ein wenig blauäugig, anzunehmen, daß du in deiner Position noch ganz normal sein kannst? Anders gefragt: Haben Geld und Erfolg dich nicht doch verändert?
KNOPFLER: „Sicher! Ich habe das Gefühl, es hat mich ungeduldiger gemacht. Man ist daran gewohnt, daß Dinge funktionieren. Man ist nicht gewillt zu warten. Angenommen man fährt hinter jemandem her, der plötzlich ohne ersichtlichen Grund bremst und einen damit aufhält. Das kann mich zur Raserei bringen. Dummheit – egal in welcher Form – regt mich auf – worauf ich allerdings überhaupt nicht stolz bin. In Beziehungen muß man ja auch geduldig sein – mit seiner Frau, seinen Kindern. Geduld ist eine Tugend, die ich noch lernen muß.“
ME/SOUNDS: Bist du ein guier Vater?
KNOPFLER: „Doch, das bin ich. Meine beiden Jungs freuen sich riesig, wenn ich komme. Ich bin der geborene Vater. Verbrieft!“
ME/SOUNDS: Würdest du deine Söhne unterstützen, wenn sie Musiker werden möchten‘.‘ KNOPFLER: „Klar, es ist das Beste, was es gibt.“
ME/SOUNDS: Warum schreiben denn so viele Musiker depressive Roadsongs, Songs über Entfremdung, Heimweh und emotionale Defizite?
KNOPFLER: „Weil es hart ist, ständig auf Achse zu sein. Trotzdem ist es besser, als in einer Fabrik am Fließband zu stehen, besser als fast alles, was man sonst so treiben kann. Aber man muß es richtig wollen, um auch mit den negativen Seiten umgehen zu können. Man muß Willenskraft haben. Leidenschaft. Vielleicht sogar ein wenig Besessenheit. Wenn man dieses Leben nicht wirklich liebt, sollte man an eine Musikerkarriere keinen Gedanken verschwenden.“
ME/SOUNDS: Du selbst hast drei Jahre Literatur studiert und außerdem eine Ausbildung als Journalist absolviert. War das nur ein vorübergehendes Interesse?
KNOPFLER: „Nein ich wollte mich damals einfach bilden. Englische Sprache und Literatur war immer ein Lieblingsfach von mir. Und Journalismus gibt dir einen Einblick in die Gesetze der Gesellschaft, zeigt dir. wie das alles funktioniert. Aber es ist keine Schule des Denkens. Man beobachtet nur.“
ME/SOUNDS: Liest du heute noch viel?
KNOPFLER: „Oh ja!“
Romane sind mein täglich Brot. Gerade habe ich einen Roman von Jay McInerney gelesen, dem Autoren von .Bright Lights, Big City. Das Buch hieß „Ransome“. Hat mich nicht überzeugt. Es gibt einen anderen jungen Autoren namens Don Delillo, den ich sehr schätze.“
ME/SOUNDS: Wenn man das erreicht hat, was du erreicht hast: Weiß man dann noch, was man ursprünglich wollte?
KNOPFLER: „Ja. das weiß ich ganz genau. Die Songs wollten heraus. Und die Dire Straits waren mein Vehikel dafür. Schon zu Zeilen der Duolian String Pickers versuchte ich Steve (Phillips) zu überreden, daß er meine Songs vorträgt. Aber er wollte nicht. ‚Das sind deine Songs, das bist Du!‘, sagte er. Aber ich hatte damals keine Einstellung zu mir selbst als Sänger. Doch wenn man sich entwickelt, verändert sich auch die Selbsteinschätzung. Ein Gitarrist beginnt, Songs zu schreiben und fängt dann auch noch an zu singen. Wie sieht er sich: Ist er in erster Linie Gitarrist, dann Songwiter, dann Sänger?“
ME/SOUNDS: Wie siehst du dich denn ? Hältst du dich für einen guten Sänger?
KNOPFLER: „Nein, ich halte mich gewiß nicht für einen Sänger im klassischen Sinne. Eigentlich sehe ich mich überhaupt nicht als Sänger. Oder Eric Clapton: Hält er sich für einen Sänger? Vermutlich nicht, aber ich finde seinen Gesang wirklich gut. Er ist sogar einer meiner Favoriten.“
ME SOUNDS: Entwickelt man eigentlich Schuldgefühle, wenn man sein Hobby zum Beruf macht und damit dann noch viel Geld verdient?
KNOPFLER: „In der Tat. Ich freue mich auf morgen. Ich freue mich, wenn ich wieder ins Studio gehen kann. Ich freue mich auf das Mittagessen mit den Notting Hillbillies. Und wer sich auf etwas freuen kann, der gehört ganz eindeutig zu einer Minderheit. Denn die Mehrheit freut sich höchstens aufs Wochenende.“
ME/SOUNDS: Freust du dich auch darüber, interviewt zu werden?
KNOPFLER: „Ich mag es. Aber wenn man 350 mal dieselbe Frage hört – etwa: ‚Bist du überrascht über deinen Erfolg‘?‘ – dann wird’s langsam langweilig.“
ME/SOUNDS: Die Hillbillies haben sehr teamorientiert gearbeitet. Die Dire Straits sind mehr oder minder eine Knopfler-Sache. Wird sich deine Vorgehensweise künftig ändern?
KNOPFLER: „Glaube ja. Weniger in der von dir angesprochenen Weise als vielmehr, was die Instrumentenauswahl betrifft. Es wird z.B. eine Pedal Steel-Gitarre auf dem Album zu hören sein. Ich möchte in dieser Richtung experimentieren.“
ME/SOUNDS: Hörst du privat Musik?
KNOPFLER: „Ja. aber ich bin kein Experte in punkto populärer Musik. Es gibt zuviel rein rhythmische Dinge, zuwenig Melodie, zuwenig Songs. Wenn ich das Radio anstelle, betätige ich ständig den Sendersuchlauf. Meist halte ich bei einem Fußballspiel oder Tennismatch.“
ME SOUNDS: Du hast ein halbes Dutzend Soundtracks abgeliefert: LOCAL HERO, LAST EXIT BROOKLYN, um nur einige zu nennen. Was reizt dich an dieser Arbeit?
KNOPFLER: „Nur die Melodien, die Titelthemen. Der Rest ist Gehirnkrampf, purer Schmerz, fürchterlich. Ich weiß nicht, ob ich das in Zukunft noch machen werde. Es macht mehr Spaß, richtige Songs aufzunehmen.“
ME/SOUNDS: Was hat dich denn anfangs daran gereizt?
KNOPFLER: „Das Unmögliche möglich zu machen. Die ‚Riot‘-Szene in ‚Last Exil Brooklyn‘ etwa – die dauert sieben bis acht Minuten. Das Orchester dreht voll durch. Da muß man sich echt durchbeißen. Perverse Geduld.“
ME ‚SOUNDS: Kannst du gut nein sagen, wenn man dir einen Job anbietet?
KNOPFLER: „Nein, das ist gerade in punkto Produktion mein Problem. Immer wieder lasse ich mich auf fremde Projekte ein und mein eigenes Ding – die Dire Straits – werden immer weiter nach hinten geschoben. Da liegt man dann nach einer langen Nacht im Bett und fragt sich: ‚Was mache ich hier überhaupt?‘ Man träumt anderer Leute Traum und vergißt darüber die eigenen. Ich muß wirklich lernen. Nein zu sagen.“
ME SOUNDS: Stell dir vor, du solltest dich mit wenigen Worten selbst beschreiben… ??
KNOPFLER: „Jack of a few trades, master of none!“ (Frei übersetzt: Ich kann ein bißchen von allem, aber nichts richtig.)