Marius Müller Westernhagen
Einmauern läßt er sich nicht Marius Müller-Westernhagen will sich weder vom Publikum noch von einem verkaufsträchtigen Image vereinnahmen lassen. Zwei Jahre lang hatte er auf stur geschaltet, ehe er nach "Theo" wieder ein Drehbuch akzeptierte. "Der Mann auf der Mauer" kommt Anfang Oktober in die Kinos. Die neue LP, diesmal in England eingespielt, soll Ende des Monat draußen sein. Was für ein Timing ...
Merr Kabe hat die Vision, als Moses durch die Mauer zu schreiten. Herr Müller auf Tournee versucht, seiner Verantwortung gerecht zu werden und dem Publikum zwei Stunden lang Spaß zu verkaufen. Marius Müller-Westernhagen weiß, daß man die Zuschauer irgendwann wie per Knopfdruck in jede gewünschte Flichtung dirigieren könnte. Kabes Vision habe mit einem Rockmessias zwar nichts zu tun, meint Marius. Aber sowohl der eine wie der andere, davon ist er überzeugt, könnten mit zuviel Macht leicht gefährlich werden.
Marius Müller-Westemhagen kennt man. Er ist identisch mit Herrn Müller, der sich von Wolfgang Spindler und dem Fotografen Franklin Hollander auf seiner jüngsten Tournee begleiten ließ, um ihnen die Möglichkeit zu geben, realistisches Material für ein Buch an die Hand zu kriegen. Das unbeschönigende Ergebnis erschien unlängst unter dem schlichten Titel „Herr Müller auf Tournee“ bei Rowohlt. Aber wer ist Kabe?
Kabe ist eine Figur, die sich Peter Schneider für sein Buch „Der Mauerspringer“ einfallen ließ. Inspiriert durch eine Berliner Zeitungsmeldung, schuf er diesen Ost/West-Pendler, der den innerdeutschen Wall nicht akzeptieren will und kann. Im Buch nur einer von vielen eigenwilligen Grenzgängern, wurde Kabe jetzt zur zentralen Figur in Schneiders Drehbuch für den Reinhard Hauff-Film „Der Mann auf der Mauer“, dargestellt von Marius Müller-Westernhagen.
.Ich gehe beim Publikum mit diesem Film sicher ein Risiko ein, aber das wollte ich auch “ erklärt Marius, „ein großer Teil der Leute, die ins Kino kommen, wird sicher Theo II erwarten.
Das Theo-Trauma! Da sieht man, was so ein Film anrichten kann. Wie müssen sich bloß die Bonds Sean Connery und Roger Moore fühlen oder Larry „J.R. Ewing“ Hagman …
Wie man sieht, ist es Marius aber erspart geblieben, einen Serienvertrag als Ruhrpott-Prolet vom Dienst abzuschließen. Irgendwann kamen dann wieder andere Drehbücher ins Haus unter anderem auch Peter Schneiders Wall City -Script. Und damit verwirklichte sich schließlich ein lang gehegter Plan der beiden, gemeinsam fürs Kino eine Ost/West-Geschichte zu drehen. „Der Mann auf der Mauer“ wird Anfang Oktober gestartet. „Ich linde, es ist mehr als genug, wenn man pro Jahr mit einem Film im Kino ist,“ meint Marius, der nach der „Theo“-Euphorie vorsichtshalber erstmal zwei Jahre lang als Schauspieler pausierte.
Genau wie eine Tournee pro Jahr reicht, oder?
„Ja, bei der letzten Tournee herrschte eine solche Hysterie. Davon mußte ich wieder runterkommen, mir eine Basis schaffen, wo ich kreativ bleiben kann.
Du wirst ja zum Eigentum der Leute. Ich wollte auch aus bestimmten Medien wieder heraus, in denen ich ständig vertreten war, ohne mit ihnen geredet zu haben, man ist darin doch nur ein Artikel.“
Mit wenig Begeisterung erinnert sich Herr Müller an die unerquicklichen Einzelheiten, mit denen „Bravo“ ihren Teenie-Lesern den Armbruch ihres Idols über mehrere Folgen hinweg attraktiv machte. Marius: „Angeblich fing der Arm an zu eitern und ich mußte ein zweites Mal operiert werden… Ich habe mir gedacht, verdammt nochmal, das muß doch wieder zu ändern sein. Plötzlich waren da auch unheimlich viele Kinder in den Konzerten, die mit den Texten doch eigentlich gar nichts anfangen können. Das sind doch eher Geschichten, die Menschen in meinem Alter betreffen. Vielleicht imponiert den Kids, daß ich nicht versuche, mich anzubiedern und meinen eigenen Scheiß durchziehe.“
Was die ganz jungen Zuschauer vielleicht ohne zu überlegen mitkonsumieren, weil die Musik so gut losgeht, mochten speziell engagierte Frauen jedoch nicht mehr hören. .Ich schreib mir m eine Rollen für die Songs, „hatte Marius in einem früheren Interview erklärt. „Ich bin weder n Gangster, ’n Zuhälter nochn Chauyi …“ Gerade die männliche Überlegenheitshaltung war es aber, die man ihm ankreidete. Zwar sind die selbsternannten Patriarchen seiner Songs meist noch viel jämmerlicher als die von ihnen kurzgehaltenen Frauen. Aber das, was er als übersteigerte Ironie bezeichnet, war nicht unbedingt als solche auch überall angekommen. „Ja, aber ich habe mir gesagt, ich versuche zu provozieren, um die Dinge am Laufen zu halten.“
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß man Marius Müller-Westernhagen hier und da eindeutig chauvinistische Tendenzen unterstellte …
„Ich bin in gewissem Sinne durch meine Erziehung natürlich chauvinistisch, davon spreche ich mich nicht frei – bis zu dem Grade, wo das jeder ist. Davon kann man sich überhaupt nicht freimachen, aber du kannst versuchen, dich damit auseinanderzusetzen.“
Für das neue Album, das Ende Oktober erwartet wird, bislang aber noch keinen definitiven Titel hat, schrieb Marius wieder sehr viel persönlichere Texte. ,Mich haut das wieder genauso an wie damals PFEFFERMINZ. Ich habe das Gefühl, ich muß wieder von vorne anfangen. Auch der Film kam zu diesem Zeitpunkt genau richtig. Der hat mich beim Schreiben des Materials unheimlich beeinflußt.“
„Wieder von vorne anfangen“, hieß, nicht als neuer deutscher Superstar in hiesigen Studios von vorne und hinten bedient zu werden, sondern wie jeder andere, nur diesmal in einem englischen Studio, mit neuen Musikern zu arbeiten. Produzent ist Lothar Meid. Auf einigen Stücken spielte Kralle Krawinkel, „weil ich den einfach für einen guten Rhythmusgitarristen halte. Das ist so ein Wahnsinniger, der hat auch Sounds drauf – also Gitarrenästheten könnte ich damit nicht kommen, die würden in Ohnmacht fallen. „Neben Kralle, dem nach der musikalischen Diät bei Trio wirklich mal wieder etwas Auslauf zu gönnen war, machten mit: Drummer Dolphin Taylor (ex-Tom Robinson Band) von Stiff Little Fingers, Gary Barnachle („Das ist so ein Saxophonstar da drüben“) von Leisure Process und Pianist Ian Parker.
Laut Marius waren alle mit beachtlichem Interesse und Engagement dabei und wenn es der Zeitplan zuläßt, werden einige der Musiker ihn auch auf der fürs Frühjahr geplanten Tournee begleiten. Die professionelle Attitüde der Engländer machte es offenbar auch leicht, vom Session-Charakter der letzten LPs abzurücken. Immerhin war hier ja keine homogene Band am Werke. „Früher war es so, daß ich Stücke geschrieben habe, wir ins Studio gingen und das Material während mehrerer Sessions einspielten. Es war immer mit sehr viel Glück verbunden, die richtigen Musiker für eine Sachezu finden. Diesmal habe ich mit Lothar Meid sehr hart an dem Material gearbeitet und alles vorher festgelegt.“
Genau wie den Film betrachtet Marius auch dieses neue Album in gewisser Weise als Risiko. Allerdings mit der Souveränität eines Künstlers, der ziemlich sicher weiß, was er sich leisten kann und was lieber doch nicht.
Weniger ein Risiko für ihn als die begleitenden Musiker war sein großzügiges Angebot an Wolfgang Spindler, ein Buch über das Treiben hinter den Kulissen einer erfolgreichen Tournee zu veröffentlichen. Wie aus Spindlers Nachwort hervorgeht, war der Großteil der Band auch keinesfalls erbaut von dem Projekt.
„Seit ungefähr zwei Jahren wurde mir immer wieder angeboten, Bücher über mich herauszubringen,“ erklärt der Star, „du kennst ja diese ganzen Sachen von Paul McCartney bis zu Peter Maffay. Davon fand ich eines verlogener als das andere, alles nur Fan-Bücher. Und Wolfgang Spindler kenne ich schon einige Zeit und schätze ihn auch als integren Journalisten. Ich hob‘ ihm vorgeschlagen, alles zu schreiben, was er will, auch über alles Negative, was während einer Tournee passiert. Er war meiner Meinung nach noch sehr rücksichtsvoll uns gegenüber.
Ich wollte zeigen, daß auf einer Tournee ein ungeheurer Stress herrscht. Besonders die zwei Stunden abends auf der Bühne sind so intensiv, daß natürlich durch das enge Zusammenleben der Leute alles offen zutage tritt, was man sonst zurückhalten würde. Man kann auf einer Tournee zum Tier werden und auch bei der geringsten Kleinigkeit explodieren und dann auch sehr ungerecht und rücksichtslos werden. Aber es muß ja alles heraus, denn beim Auftritt muß man ja wieder total zusammen sein.“
Ein wichtiger Grund, dieses Buch zu fördern, war für Marius der Beweis seines künstlerischen Verantwortungsbewußtseins.
„Für viele ist eine Tournee so eine Art Kegelausflug, wo man besonders gut saufen und bumsen kann. Für mich ist eine Tournee Arbeit und zwar die härteste. Denn abends mußt du beweisen, was du drauf hast. So wie ich arbeite, kann ich mir nicht leisten, zu saufen oder mir irgendwelche Groupies zu halten. Ich finde, daß das auch eine Verantwortung ist, die ich dem Publikum gegenüber habe. Ich meine nicht, daß es sie etwas angeht, wie ich wohne oder wie mein Privatleben abläuft aber für die zwei Stunden abends können sie von mir erwarten, daß ich alles gebe, was ich habe. Die zahlen 20 Mark Eintritt und natürlich auch so viel für eine Platte. Unter dem Aspekt halte ich es für eine Schweinerei, wenn man das Ganze nur als Kegelausflug betrachtet.“
Der Rockstar als verantwortliches Individuum, als Eigentum der Massen, als Gefahr für die Massen. Marius mag sich nur mit dem ersteren identifizieren. Der hochbezahlte Dienstleistungsservice der Rolling Stones in diesem Sommer war sogar ihm, dem Fan, nicht mehr ganz geheuer. Ganz davon abgesehen, daß auch er den Stones den Sponsoren-Bund mit dem Teufel, dem Leercassetten-Hersteller TDK, übelnahm, vermißte er bei Mick Jagger inzwischen jegliche Magie. “ Vielleicht war die Distanz auch schon zu groß, damit werden sie zu Disneyland-Figuren. Die guckt man sich an, dann geht man wieder, und es bleibt nichts zurück.“
Brauchen wir sie noch?
„Die Stones sind nach wie vor meine Lieblingsband. Ich freue mich immer auf die Platten. Die letzte fand ich hervorragend. Keith Richards ist für mich nach wie vor der Gitarrist und Jagger ist ein großer Entertainer. Auch wenn er ziemlich Las Vegas-mäßig geworden ist. Er zieht sich auch schnell zurück, wenn die Leute auf seine Anmache nicht eingehen, er kämpft nicht mehr.A ber wenn m an das nicht mehr will, dann sollte man auch nicht mehr auftreten. Wenn du auf die Bühne gehst und die Leute für Arschlöcher hältst, dann werden sie das sehr schnell checken.“