Marius Müller-Westernhagen


Drei LPs in den Charts, Auftritte in Deutschlands größten Hallen: Für Marius haben die fetten Jahre begonnea Wie aber soll es min weitergehen? Braucht die Welt MMW? Steve Lake,"Wahl-Münchener und Mitarbeiter des "Melody Maker", hat sich über den bundesdeutschen Rock'n'Roller seine Gedanken gemacht und dabei kein Blatt vor den Mund qenommen...

Ich lege die Karten besser gleich auf den Tisch: Mein Deutsch ist sehr bescheiden. Marius spricht zwar besser Englisch, aber auch nicht so gut, um sich fließend ausdrücken zu können. Das folgende Interview wurde mit Hilfe eines gemeinsamen Freundes geführt, dessen Englisch zwar flüssig, aber auch nicht perfekt ist. Ein kleiner Ausrutscher genügt, um einer Aussage eine völlig andere Bedeutung zu geben. Man erinnere sich nur an den unglücklichen „White-House“-Dolmetscher, der kleinlaut verkündete, daß Präsident Carter mit der ganzen Bevölkerung von Polen ins Bett qehen wolle …

Nun ja, so was kann passieren. Da sitze ich nun und tippe meine Story in Englisch, die dann ein armes Schwein beim ME wieder ins Deutsche übersetzen muß. (Danke für’s Mitgefühl! – Red.) Hmm. Sollten wir zu einer abschließenden Version gelangen, die irgendeine Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Unterhaltung hat, dürfte Marius wohl am meisten überrascht sein. Legt man die Gesetze der Wahrscheinlichkeit zugrunde, so kreieren wir möglicherweise eine völlig neue und interessantere Geschichte. Ich möchte diesen Artikel all jenen Leuten widmen, die Pink Floyd-Platten rückwärts spielen und dabei nach verborgenen Botschaften suchen.

Zur Sache: Ich hatte immer das dunkle Gefühl, daß Deutsche (und Franzosen, Italiener etc.), die komplette Album-Sets von Jackson Browne, Jörn Mitchell oder Dylan haben, gleichzeitig aber keinen blaßen Schimmer von der Bedeutung der Texte, irgendwie krank im Kopf sein müssen. Einige meiner Freunde erzählen mir, Marius sei ein provokativer Texter. Was soll ich dazu sagen? Für mich steht nur fest, daß er nicht unbedingt der größte Sänger der Rock-Geschichte ist. Seine Gruppe ist solide, wenn auch nicht gerade atemberaubend. Es gibt mir keinen Kick, konventionellen Rock-Riffs zuzuhören, während dazu ein Typ in einer fremden Sprache krakelt. Es will mir einfach nicht in den Kopf, warum deutsche Hörer das so lange kommentarlos geschluckt haben. Wenn ich Marius‘ Stimme beurteilen sollte, ohne die Worte zu verstehen, (was offensichtlich völlig unfair ist), dann müßte ich sagen, daß er manchmal etwas asthmatisch klingt – wie jemand, der atemlos mehrere Etagen hochrennt, um seine Aufnahme-Session nicht zu verpassen.

Warum ich überhaupt mit Marius sprechen wollte? Um ganz ehrlich zu sein (ich fühle mich schon wie ein Patient in Arthur Janovs „Primal Therapy“ Hi Yoko!), ursprünglich wollte ich gar nicht! Alles was ich wollte, war ein Foto von Marius und Inga Rumpf vor dem „Onkel Pö“. Ah, das ist keine lange Geschichte! Ich will es so kurz wie möglich machen. Ich hatte einen Auftrag von einem ausgeflippten Redakteur einer amerikanischen Illustrierten: „Schreib mir ne Story über die ganze deutsche Szene. Von Beethoven bis Boney M. Ist schließlich alles klassisch Musik. Deshalb kapieren wir Amerikaner es auch nicht. Keine Kultur, hahaha. Erklär mir das alles, ok? Ne schöne, fette Story. Wir zahlen zehn Cent pro Wort.“

Es war der letzte Satz, der meine Aufmerksamkeit fesselte. Bis ich mich eines Nachts hinsetzte, um mit Hilfe des Wörterbuches Günther Ehnerts „Rock In Deutschland“ zu entziffern. Mir wurde immer klarer, daß ich – mit einigen nennenswerten Ausnahmen (Can, Spliff) – gegenüber deutscher Rockmusik eine tiefe Abneigung entwickelte. Mit ihrer penetranten Steifheit scheint sie dafür prädestiniert, die Menschheit in den Wahnsinn zu treiben. Ich hoffe, in Frieden sterben zu können, ohne nochmals Ougenweide, Das Dritte Ohr oder La fucking Düsseldorf hören zu müssen.

Jedenfalls: Inga war verhindert, die Foto Session fiel ins Wasser, und Marius war obwohl keinerlei Veranlassung bestand – so zuvorkommend, daß sich ein Gespräch mit ihm geradezu anbot.

Er lebt in einem bescheidenen Apartement in Hamburg, gleich neben einer empfehlenswerten Kneipe, deren Name ich vergessen habe (ausgezeichnetes Pils, reichlich Pizza, ein schwuler Kellner?), zusammen mit seiner Freundin Katrin und einer Katze, die offensichtlich Männer haßt. Auf dem Piano stehen Rosen, an der Wand große Seidendrucke von Warhols „Marilyn Monroe“, dazu ein paar Filmposter und Auszeichnungen. Die Goldene LP für MIT PFEFFERMINZ BIN ICH DEIN PRINZ hängt wo sonst auf der Toilette. Schließlich ist das der Ort, wo alle Popstars sie hinhängen. Grace Slick hat ihre für „White Rabbit“ sogar in den Klodeckel einarbeiten lassen. (Mein Gott wo du schon überall warst…!- Red.) Wie der Zufall es will, hat Udo Lindenberg ein Apartment im gleichen Haus, obwohl er und Marius offensichtlich nicht mehr die dicksten Freunde sind.

Marius gibt mir ein Bier, einen Aschenbecher, Schokoladen-Biscuits und ich stelle meine erste Frage: „Man hat mir erzählt“, sage ich, „daß deutsche Songschreiber limitiert sind in der Wahl ihrer Themen. Daß das Thema Liebe beispielsweise durch den Schlager so verunglimpft wurde, daß es für ernsthaftere Songschreiber als Thema gar nicht mehr in Frage kommt.“

Marius denkt einen Moment darüber nach, sitzt regungslos auf dem Sofa und fühlt sich, wie es scheint, in seiner Haut nicht so recht wohl. „Klar“, sagt er, „natürlich ist das schwierig. Der Schlager war immer eine Lüge, es waren Gefühle aus zweiter Hand. Das ist eine psychologische Sperre, über die man sich erst einmal hinwegsetzen muß.“ Er grinst. “ Wenn man einem Hund beigebracht hat, seine eigene Scheiße zu Iressen, lallt es eben schwer, ihm es wieder abzugewöhnen..

„Aus den Bruchstücken, die ich von deinen Texten verstehe“, sage ich, „habe ich den Eindruck gewonnen, daß deine Songs weit weniger politisch sind als es momentan Mode ist.“

Er schüttelt den Kopf.

„Doch, ich glaube, es gibt sogar einen ausgeprägten politischen Inhalt in meinen Songs, auch wenn ich nicht mit dem Zeigefinger kommen will. Ich versuche, Geschichten zu erzählen, mit denen sich der Hörer identifizieren kann.“

„Erzähl mir bitte über den Hintergrund von ‚Dicke‘ und dem Staub, den dieses Lied aufgewirbelt hat.“

„Es wurde völlig mißverstanden. Es ist eben nicht ein oberflächlicher Song über fette Leute. Ich wollte damit auf Probleme hinweisen, die Minoritäten jeglicher Art haben. Ich wollte dabei die gleiche Rolle einnehmen wie der bekannte Narr im Mittelalter. Hast du schon einmal von Till Eulenspiegel gehört?“

Natürlich hatte ich nicht. Mein Dolmetscher sprang ein und klärte mich auf. Es ist einfach phantastisch, was man in diesem Geschäft alles lernen kann.

„… ich wollte den Vorurteilen der Leute einen Spiegel vorhalten. Eine Zeile in dem Song heißt beispielsweise ‚Dünn bedeutet frei zu sein‘ – und das sorgte für einigen Ärger. Mir will es einfach nicht in den Kopf, wie man so etwas ernst nehmen kann. Es ist eine Parodie! Aber es stimmt, viele Leute waren schockiert. Viele Leute sind von der Wahrheit immer schockiert, besonders hier in Deutschland. Deutsche haben einfach keine Selbstdistanz. Sie können über sich selbst nicht lachen. Deshalb entsteht immer dieses Problem, wenn du einen ironischen oder satirischen Songschreiben willst. Es klappt nicht, dem Hörer freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen; du mußt ihnen schon eine mitten ins Gesicht würgen.“

„Aber wo und wie stehst du denn persönlich zu dem Thema von ‚Dicke‘?“ Ich wundere mich, da Marius nun mal ein extrem schmales Hemd ist. Und es ist schon eine Ironie des Schicksals, daß ein langer Kerl wie Randy Newman einen Song über ‚Short People‘ macht – und ein Magermann wie Müller-Westernhagen die Dicken besingt.

Marius lächelt geheimnisvoll. „Weißt du“, sage ich, „daß Jack Kerouac einmal schrieb: „Ich möchte lieber dünn sein als berühmt?“ , Wirklich?“ Er lacht.

Ein paar Tage zuvor hatte ich Tony Sheridan getroffen, den in Ehren ergrauten Rock’n’Roller, der in diesem ganzen Spiel eine so wichtige Rolle eingenommen hat. Ohne Sheridan vielleicht keine Beatles. Vielleicht auch keine deutsche Rockszene in der heutigen Form. Nach wie vor ist er der Meinung, daß die Deutschen zu ernst, zu analytisch seien, um wirklich Rockmusik machen zu können. Überraschend genug ist Marius der gleichen Ansicht.

„Er hat völlig recht. Ich möchte hier nicht das Pro und Contra der deutschen Rockszene abwägen. Mensch, davon will ich meinen Kopf wirklich frei halten! Ich kann nur für mich selbst sprechen. Ich würde auch mit chinesischen Musikern arbeiten, wenn sie gut sind. Aber es stimmt, ich habe hauptsächlich englische Musiker eingesetzt, weil sie m eistens einfach besser sind. Es hat mich Jahre gekostet um endlich einen guten, jungen deutschen Drummer zu finden. Deutsche Schlagzeuger spielen normalerweise immer Marschmusik. „Er trommelt einen Rhythmus auf den Kaffeetisch. „Wenn sie Funk spielen sollen, spielen sie Marschmusik. Wenn sie swingen sollen, spielen sie Marschmusik…

Aber am schlimmsten hierin Deutschland ist die Einstellung der Medien. Es herrscht eine Ideologie, die besagt, daß man unbekannt und erfolglos bleiben muß, um sauber zu bleiben. Aber wenn du einmal Erfolg hast, läufst du gegen diese dogmatische Einstellung wie gegen eine Wand.“

Udo Lindenberg, so hatte ich den Eindruck, scheint nun, (wo seine Umsätze in Deutschland zu sinken beginnen), immer intensiver auf den internationalen Markt zu zielen, etwa mit der scheußlichen Nummer „Daddy, You Should Have Killed Hitler“, die wirklich als die Peinlichkeit des Jahres gelten muß. Demgegenüber scheint Müller-Westernhagen ausschließlich den deutschen Markt beackern zu wollen. Hat er nicht Angst, daß seine Musik durch die Beschränkung auf den deutschen Sprachraum immer einen provinziellen Beigeschmack haben wird?

„Ich will Songs schreiben, und Deutsch ist nun mal meine Muttersprache“, sagt er mit bewundernswerter Einfachheit, (vielleicht lag’s auch nur am Dolmetscher). Ich kann mich in Deutsch verständlicherweise besser ausdrücken. Aber ich habe mir immer viele englische und amerikanische Platten besorgt und möchte nicht ausschließen, eines Tages auch eine englischsprachige Platte zu machen. Aber dafür müßte ich jemanden finden, der meine Texte übersetzen könnte, ohne dabei meine persönlichen Eigenarten zu verlieren.

Vielleicht ist es auch ein Wunschtraum, daß ein größeres Publikum deutsche Platten kauft, einfach weil es die Musik mag und sich die Mühe macht, die Texte zu verstehen – genau wie ich versuche, die englischen Lyrics zu verstehen.“

Vielleicht hätte ich Marius warnen sollen, daß – sollte er je auf Erfolg im Ausland spekulieren – er mindestens vier Silben seines Namens streichen müßte. „Marius Müller-Westernhagen“ würde reichen, um jede englische Zunge in Krämpfe zu treiben. Wir lieben die Namen knapp und auf den Punkt: Jeff Beck, Keith Moon, Link Wray.

Er fährt fort:, Vor einigen Jahren hätte man mich als Schwachkopf abgestempelt, wenn ich gesagt hätte: Ich will deutsche Rocksongs machen und damit auf Tournee durch Deutschland gehen.’Jeder hätte mir gesagt: ‚Du bist bescheuert. Das klappt nie und nimmer!‘ Keiner konnte sich vorstellen, daß die Leute in Discotheken zu deutschem Rock tanzen würden… Die ganze Szene ist in Bewegung. Wohin – das weiß ich auch nicht.“

Er steht auf und wühlt durch einen Haufen Cassetten. Schließlich findet er, was er sucht. „Dicke“ dröhnt aus den Lautsprechern und klingt deutlich anders als die LP-Version. Es ist eine Live-Aufnahme mit einem lockeren Reggae-Groove und einer überzeugend authentischen Atmosphäre. Das Publikum ist lauter als der Sänger und improvisiert einige zusätzliche Beleidigungen, die den Song noch skurriler klingen lassen. Die Dicken im Publikum können einem wirklich leid tun. Jedenfalls klingt die Aufnahme frischer als alles, was ich von Marius‘ offiziellen Platten gehört habe.

„Du solltest ein Live-Album machen“, sage ich. „Ich habe darüber schon nachgedacht“, antwortet er. „Ich möchte eine Live-Platte machen, die die ungeschliffene Begeisterung eines Konzertes einfängt. Eine Platte, die schnell und billig produziert wird und die man für ein paar Mark verkaufen kann, wenn die Kids aus dem Konzert kommen. So was wie ein Souvenir.

Meistens versuchen die Live-Platten verzweifelt so zu klingen, als seien es Studio-Aufnahmen. Ich halte das für einen grundlegenden Fehler. Die Rockmusik bemüht sich zu sehr, perfekt zu klingen. Ich will keine polierte Musik. Eine Band sollte nicht versuchen, wie ein Symphonie-Orchester zu klingen. Ich will Musik, die so wenig Distanz wie möglich zwischen Musiker und Zuschauer legt.“

Ein – wie mir scheint – durchaus ehrenwertes Ziel. Er erzählt mir, daß er einmal einen Stuhl in ein borniertes Publikum in München geworfen habe, um diese Distanz zu verkleinern. Er haßt München aus ganzem Herzen.

„Ich lebe dort“, sage ich.

„Üble Stadt. Schlimm. Plastic City. Alles was sie im Kopf haben, ist Mode.‘ Ich sage ihm, daß ich diesen Eindruck eigentlich nicht habe. Aber was weiß ich schon davon? Was weiß ein Ausländer überhaupt von diesen Dingen …?