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Im Gespräch mit Marco Wanda: Ein Narr vermisst das Narrativ


Wir führen ein Interview mit Marco Wanda, Sänger der Band Wanda, die seit drei Jahren wie ein Flächenbrand lodert und mit NIENTE jetzt ihre erste „düstere“ Platte veröffentlicht. Prima, denn über düstere Platten lässt sich viel besser reden. Zum Beispiel über philosophische Fragen wie: Bringt den Menschen eher Schmerz oder Lebensfreude weiter? So etwas treibt Marco Wanda um.

Ist NIENTE das „düstere“ Album geworden, über das ihr schon vor einiger Zeit gesprochen habt … ?

Ich habe schon das Gefühl, dass AMORE und BUSSI unter der Schirmherrschaft von Sturm und Drang standen oder auch aus einer sehr harten Wirklichkeit kamen. NIENTE steht eher für die Zwischentöne und das Einsame. Hier versucht einer, über sich selbst zu singen. Und er scheitert natürlich, logischerweise vollkommen.

Warum scheitert er?

Wenn er das wüsste … dann wäre er 40 und nicht 30.

Aber ist „düster“ überhaupt das passende Wort für NIENTE?

Hab’ ichs mal „düster“ genannt?

Du hast in einem Interview gesagt, dass euer nächstes Album „düsterer“ werden dürfte. Worauf Keyboarder Christian Hummer meinte: „Das sagst du immer“ …

Stimmt. Vielleicht wünsche ich mir das immer. Vielleicht wünsche ich mir eine Platte, die lebendiger in Nuancen ist oder die mehr meinen Seelenzustand ausdrückt als dass ich mich hinter Figuren und Geschichten verstecken kann. Aber wahrscheinlich werde ich das mein Leben lang versuchen.

Marco Wanda
Niente – gezeichnet von Marco Wanda

Jetzt, wo du nur noch aus der Ich-Perspektive singst, wird man erst recht wissen wollen, wie autobiografisch deine Lieder sind.

Sie sind so autobiografisch, wie der Künstler es preisgeben will – erstens. Zweitens ist jedes Kunstwerk im Kern Rollenprosa, das heißt, selbst wenn man etwas über sich schreibt, schlüpft man immer noch in die Rolle des eigenen Ichs. Es ist vermessen, zu glauben, dass man synchronizitär mit seinem Unbewussten funktionieren kann. Das, was ich schreibe, ist nur das, was aus meiner Seele aufsteigt. Aber ich hinke immer hinterher, weil sich die Seele in einem Zeitraum-relativen Zustand befindet, und ich funktioniere an der Oberfläche wie eine Uhr. Allein deswegen können wir uns nie treffen und kennenlernen. „Sich selbst zu finden“ halte ich für einen lächerlichen Verkaufstrick für esoterische Scheißliteratur.

Die so gut verkauft, weil wir es trotzdem immer weiter versuchen …

Ja, den Versuch nennt man dann „das Leben“. Man versucht ein Leben lang, sich selber nahe zu kommen oder zu lieben oder … Vielleicht will das die Platte ausdrücken, diesen Versuch. Aber sie kommt mir dabei immer noch köstlich-oberflächlich vor. Ich singe ja nicht detailliert über meine Kindheit, „Kindheit“ ist einfach nur ein verstellter Begriff, etwas, zu dem man nicht durchdringt.

Hast du übers Songschreiben hinaus schon Versuche unternommen, dorthin vorzudringen? Zum Beispiel durch bestimmte Therapieformen?

Ich glaube, meine Melodien und meine Art zu singen, dringen dorthin vor. Ich bin ja Gott sei Dank nicht allein. Ich habe vier großartige Musiker, die mir helfen, diesen Pflock immer tiefer in meine Seele zu schlagen, in der Hoffnung, dass irgendwas aufsteigt, mit dem alle zufrieden sind.

Es gibt ja auch den Effekt, dass Melodien aus der Kindheit wahre Gefühls-Flashbacks auslösen können.

Bezeichnenderweise ist meine Mutter ja Musiktherapeutin und keine Schriftstellerin. Ich bin damit aufgewachsen, das Wort anzweifelnd, sozusagen. Es wird oft versucht, sehr viel in meine Texte hineinzu­lesen, aber es ist just music.

Das liegt vielleicht daran, dass deine Texte offen genug sind, um viele Menschen mitzunehmen und gleichzeitig so spezifisch, dass sie sich ganz direkt davon angesprochen fühlen.

Ich sehe das viel programmatischer: Der Verstand versucht immer alles zu ordnen. Schön wärs, wenn jemand gar keine Fragen hätte. Zum Glück erkennt meine Band an, dass ich genauso wenig weiß über das, was ich schreibe, wie sie selber. Wir stehen auf Augenhöhe vor einem Rätsel, und dieses Rätsel ist: unser jeweiliges Leben, das Leben aller anderen, der Grund unserer Schöpfung, die Sehnsucht nach und die Angst vor dem Tod, und meine Lieder. So.

Wie kommt es, dass diese offene inhaltliche Herangehensweise in so klare, durchformatierte Rock- und Popsongs und nicht in ebenso „offene“ Musik mündet?

Wir arbeiten nach unseren Fähigkeiten. Und wir können nur ganz klare, wunderschöne Popmusik machen. (lacht) Wenn ich was anderes könnte, würde ich es machen. Aber: Its been done before … Auch ein Stockhausen ist inzwischen tot.

Die ganze Band, alle zusammen

Aber auch ein Lennon ist längst tot.

Der hat sich eh in schrecklichen Klangexperimenten verloren, das möchte ich meinem Publikum lieber ersparen. Ich glaube einfach an die reinigende Kraft von Popmusik und deswegen mache ich das.

Noch ein Grund ist sicherlich, dass ihr diese Band gegründet habt, um eine ordentliche Karriere zu starten.

Ja, natürlich.

Du hast im Interview gesagt, dass Nostalgie zu gefährlichen Dingen führe, die du aus „abergläubischen Gründen“ nicht benennen möchtest. Ein Stück wie eure Single „0043“ ist aber doch sehr nostalgisch, etwa nicht?

Das ist es. 0043halte ich für eine ganz gefährliche Nummer. Mich macht sie endlos traurig, ich kann sie nicht hören, ohne zu weinen. Aber das muss auch erzählt werden.

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Aber du willst nicht sagen, warum dir Nostalgie so gefährlich erscheint?

Ja, da habe ich einen abergläubischen Tick, möglicherweise ist es Paranoia. Vielleicht ist das auch vermessen, weil dadurch, dass ich etwas, was ich selber tue, „gefährlich“ nenne, spreche ich dem ja eine unglaubliche Wirkung zu. In solchen Momenten nehme ich mich wahrscheinlich viel zu ernst. Aber dadurch funktioniere ich wiederum im Duktus dieser Nummer, denn sie ist ernst. Mir kommt „0043“ vor wie die gefährliche Beschwörung von etwas, was man eigentlich nicht wecken darf. So wie Traumata oder Weltschmerz … Mich treibt diese eine Frage schon seit Jahren um: Entwickelt man sich durch Schmerz oder durch Lebensfreude weiter? Dadurch stellt sich mir dann auch die Frage, was ich Menschen, die mir zuhören, zumuten will.

„Mich treibt diese eine Frage schon seit Jahren um: Entwickelt man sich durch Schmerz oder durch Lebensfreude weiter?“ – Marco Wanda

Doch wie sehr kann man überhaupt kontrollieren, welche Gefühle sich durch die eigene Kunst ausdrücken? Ich würde behaupten, dass selbst in den lebenslustigsten Wanda-Songs einige Abgründigkeit steckt, und dass das eines eurer Geheimnisse ist.

Ja, vielleicht. Das hast du gesagt.

Wenn du so oft im Ungefähren bleibst, muss ich eben präziser werden …

Natürlich. (lacht) Also, ein gewisser giftiger Pessimismus, der sich auch oft in Schalk äußert, ist sicher jeder Nummer immanent. Und als österreichischer Italiener kann ich mich gegen Humor auch gar nicht wehren.

Stefan Armbruster
Wolfgang Seehofer