Managerin wird Popstar
Jeder zweite Satz ein Verkaufsargument: Santi Whites Auftritt als Patchwork-Alias Santogold ist vor allem auch ein kluger Karrieremove. Schön, dass der auch noch gut klingt.
Sportartikelhersteller müsste man sein, so ein Traditionsladen wie Converse, der gerade sein 100-jähriges Bestehen feiert. Dann würde man als PR-Chef einfach zum Hörer greifen, den Sänger der Strokes, einen der bekanntesten Produzenten der Welt und die heiß geliebte Newcomerin der Saison anrufen und zu einem Song zusammentrommeln (naja, sie nahmen ihre Takes einzeln auf). „Three Artists, One Song“ heißt die Converse-Coolness-Kampagne, und wenn der Track von Julian Casablancas, Pharrell Williams und Santi White auch wie ein Stück von der N.E.R.D.-Resterampe klingt, macht das gar nichts: Marketing muss nicht schön, sondern erfolgreich sein. Auf ihr Converse-Engagement angesprochen, hält Santi White den Ball flach und erklärt in gepflegtem Businesssprech: „Solche Werbesongs gehören zu den Hauptverbreitungskanälen fiir Musik heute, und es wäre dumm, davor zurückzuschrecken.“
Die letzten großen Karrieremoves geben Sana White Recht. Vor zwei Monaten noch rackerte sich die Künstlerin in einem einwöchigen Interviewmarathon für die europäischen Medien ab. Da empfing die Nordamerikanerin die Journalisten in ihrer Suite im K West Hotel in London – über dem T-Shirt mit dem „Malcolm X“-Schriftzug eine viel zu weite Jeansjacke mit Puffärmelchen, dazu tennisballgroße Goldohrringe, violett-rosa Domestos-Jeans und orangefarbene Leinenschlappen. Es störte nicht, dass Santi hin und wieder im Hotelsofa versank und die Schirmmütze mit den grimmigen Skeletten darauf ihr Gesicht verdeckte. Sie sprach aus allen Lagen. Sie explizierte und unterhielt ohne Unterlass : eine PR-Büchse, die nur jemand aufmachen musste.
Die Geschichte hatte auch eine Pointe: Es war ausgerechnet eine ehemalige Sony-Managerin, die sich hier aufmachte, zur Popsensation 2008 zu werden. Eine reichlich unerschrockene Business- und Punklady per Du mit den Überproduzenten der Saison, mit Diplo, Switch, FreQ Nasty.
Die Karriere der 32-jährigen Amerikanerin beginnt in der Businessabteilung einer Major Record Company. Nach ihrem Afro-Amerikanistik-Studium übernimmt Santi White einen Assistenzjob im Black-Music-Department von Sony in New York. Sie reicht die Erzählungen aus dieser Zeit nach wie einen Beleg ihrer künstlerischen Selbstfindung, siehe da, es hat gar nicht anders kommen können. Sie hat auf verlorenem Posten gestanden bei Sony, mit ihren Ambitionen, ihren Ideen, auch mit den ersten Songs, die sie für die Soulsängerin Res schrieb. Santi White tritt den Rückzug an ins heimische Philadelphia, als Frontfrau einer tapferen Punkcombo namens Stiffed. Die Band wird zur Liveattraktion, die beiden Alben (erschienen 2003 und 2005, produziert von Bad-Brains-Bassist Darryl Jenifer) verkaufen sich nur mäßig.
Erst im Zweiten Anlauf gelingt Santi White der große Wurf, im Verein mit Ex-Stiffed-Bassist John Hill. ,John und ich gierten danach, aus den Grenzen von Stiffed auszubrechen, Songs zu schreiben, die nicht für diese Live-Punk-Band waren.“ Im Lauf der gemeinsamen Albumsessions entsteht die Patchworkfigur Santogold – Soul-Sirene, New-Wave-Chanteuse, Fashion-Chick aus den Neighborhoods von Bedford Stuyvesant (New York).
Inzwischen ist das im Mai erschienene Debütalbum einmal quer durch die Medien gereicht und mit Lobeshymnen besungen worden. Das Rumoren um das Phänomen Santogold war irgendwann nicht mehr zu überhören gewesen, es wuchs sich zu einem kakophonen Getöse um die Musikerin aus, das diese selbst am wenigsten beeindruckte. „Den Hype habe ich als guten Druck empfunden, wie in einem Sportwettkampf‘, meint sie lakonisch. Jeder zweite Satz ist bei Santi White ein Verkaufsargument, „santogold“ ist eine Platte über unsere Zeit und das soziale und politische Klima und die Notwendigkeit, dass jeder für sich selbst die Stimme erhebt als Individuum“, sagt Santi White, als säße sie in der Fernsehshow von Jay Leno und jeder Amerikaner wüsste jetzt, dass sie damit auch die Unterstützung des Präsidentschaftskandidaten Barrack Obama meint. Und Europa nickt und weiß: wieder ein Stück gutes Amerika.
Längst aber zieht Santogold Kreise, die weit über die US-Rock-und-Soul-Szene reichen. Sie machte Party mit Freundin M.I.A., trat im Vorprogramm von Björk auf und sang eine Coverversion des Paul-Weller-Songs „Pretty“ für das Album Version von Mark Ronson, dessen Hunde sie sittet, wenn der Hitmacher für Robbie, Amy oder Lily unterwegs ist. Man möchte jetzt nur nicht in der Haut von Madonna oder David Bowie stecken, die hätten Santogold doch viel eher auf dem Schirm haben müssen, oder nicht?
>»www.myspace.com/santogold