Malkurs auf dem Mellencamp


John Mellencamps Bock auf Rock Hält sich in Grenzen - das Album ist Fertig, und damit hat es sich auch schon, von Tournee oder Promotion will der Rock-Star wider Willen nichts wissen. Er zieht sich lieber auf seine Farm zurück, beweint die Trümmer seiner Ehe und bekämpft den Lebens-Frust mit Farbe und Leinwand. ME/Sounds durfte dennoch den Malkurs im abgeschiedenen Atelier des Eigenbrötlers besuchen.

Malen macht mehr Spaß als Mädchen, Motorräder und Musik zusammen“, brummelt John Mellencamp mürrisch in seinen Dreitagebart und macht nicht den Eindruck, als könnte ihm heute überhaupt irgendetwas Spaß machen. Die Sommersonne knallt unerbittlich in sein ohnehin sehr helles Atelier, Mellencamp blinzelt geblendet, reibt sich die Augen und kratzt mit der linken Hand die rechte Schulter.

Das Atelier gehört zu seinem zweistöckigen Haus vor den Toren von Bloomington, Indiana, 80 km südlich von Indianapolis und inmitten eines 23 Hektar-Waldgrundstücks. Hier kriegt ihn keiner raus, allenfalls dann und wann nach Chicago, wenn er sich Bilder anschauen will, „aber bestimmt nicht, um mir ’ne Rockband anzugucken“.

Seit einem Jahr gehört Johns Herz der Malerei. Bilder hängen an den Wänden, liegen auf dem Boden und lehnen stapelweise im Atelier: Über 80 echte Mellencamps, vorwiegend düstere Öl-Porträts, die der Meister so gut wie nie mit dem Pinsel, dem mit kleinen Spachteln malt, die aussehen wie eine Sammlung exotischer Buttermesser. John läßt sich auf einen Stuhl fallen, nimmt einen Schluck Perrier und betrachtet sinnierend seine Werke: „Ich hoffe, daß ich es einmal schaffen werde, mit der Malerei mehr zu sagen als ich je mit Musik gesagt habe. Beim Malen bin ich wirklich im Hier und Jetzt, mache mir endlich keine Sorgen mehr um die Zukunft und habe auch keine Angst vor der Vergangenheit.“

Entspannungs-Therapie für den früher reichlich großkotzigen Vorkämpfer der Unterdrückten und Unterprivilegierten? New Age mit Spachtel?

„Quatsch, ,entspannend‘ !“ Jetzt wird er wach. „Malen ist kein bißchen entspannend, eher wie mit 190 Sachen im Auto durch die Gegend zu rasen. Die Malerei ist grenzenlos, darum ist es viel schwerer, ein Bild zu malen als einen Song zu schreiben. Darum sind auch schon so viele Maler durchgedreht. Malerei kann so beschränkt sein wie Mathe oder Musik – sie kann aber auch das Freieste sein, was man sich überhaupt vorstellen kann.“

Und was für die Malerei gilt, gilt erst recht für den Maler! Mellencamp nimmt sich nicht nur die Freiheiten, mitunter tagelang nicht ans Telefon zu gehen und nur noch zu essen und zu duschen, wenn es unbedingt sein muß – er weigert sich auch, auf Tournee zu gehen oder sonstwie die übliche Werbetrommel für sein neues Album BIG DADDY zu rühren.

„Das Aufnehmen macht Spaß, aber was danach kommt, nervt ab. Ich gebe meine Platten nie gern der Firma: Das ist das Ende der Kreativität und der Beginn des Kommerzes. Ich kann einfach nicht mit dem Rock-Business – ich habe nie damit gekonnt und werd’s auch nie können. Dadurch, daß ich überhaupt anfing, Platten zu verkaufen, gehörte ich doch schon zu denen, die ich nie leiden konnte: Rock’n’Roll-Musiker, die Mercedes fahren, fand ich schon immer ätzend.“

Dabei hat der 37jährige Farm – Mitbegründer eher das Image eines Bauern-Springsteen; mit Bruce eint ihn auch die Tatsache, daß er bislang sämtlichen Millionen-Dollar-Verlockungen widerstanden hat, mit denen die unterschiedlichsten Firmen seine Songs für Werbespots einkaufen wollten. Allein für seinen ’85er-Hit „Small Town“ erhielt Mellencamp „unzählige Angebote“, trotzdem blieb er eisern: „Irgendetwas in mir will sagen können: ,Ich bin nicht käuflich.‘ Außerdem gibt es Leute, die mir den Text der jeweiligen Songs glauben, und die kämen sich verarscht vor, wenn ich die Lieder verkaufen würde. „

Ist er sich da wirklich so sicher? Wir leben 1989, Mann!

„Naja… ich weiß nicht so recht. Manchmal denke ich an die leichtverdienten Millionen und komme mir vor wie ein blöder alter Mann – in solchen Momenten glaube ich auch nicht, daß die Leute noch Hochachtung davor haben, daß man sich nicht einkaufen läßt. Außerdem: Alle anderen machen’s! Manche Songs klingen schon so, als wollten sich die Jungs damit bei der Werbung anbiedern. Du spürst richtig ihre geheimen Hintergedanken: ,Mann, hoffentlich hört Miller-Bier die Scheibe.'“

Zu BIG DADDY, Mellencamps bisher persönlichstem Album, wird selbst den phantasievollsten Brauerei-Multis nicht viel einfallen – es sei denn, sie wollten ihre Werbespots mit selbst-analytischen Songs unterlegen, die gnadenlos ans Eingemachte gehen. Auf seiner zehnten LP kehrt John sein Innerstes nach Außen, verrät Ängste und Sorgen, kämpft mit Selbstzweifeln, Rastlosigkeit oder den Schrecken des Älterwerdens und äußert sich sogar zu Sinn und Unsinn seines – eigentlich ungewollten – Rockstar-Daseins. Mellencamps Fazit: „Mein Traum hat ein Loch“ („Void In My Heart“) – und noch herber:

„Ich wollte nie Popsänger werden“ („Pop Singer ).

Genauso deutlich wie er soziale („Jackie Brown“) und umweltpolitische Fragen („J.M.’s Question“) anspricht, setzt er sich auch mit den faulen Früchten seiner Teenagerzeit auseinander: z.B. mit dem üblen Macho, den Mellencamp solange raushängen ließ, bis Ehefrau Vicky vor zwei Jahren entnervt auszog. „Sie hat’s ’ne ganze Weile (acht Jahre) ausgehalten, aber schließlich meinte sie, daß sich an meinen barbarischen Ansichten langsam mal was ändern müßte. Und da muß ich ihr leider Gottes Recht geben.“

John drückt resigniert eine Marlboro aus und steckt sich die nächste an: “ Wenn du sowieso schon Schwierigkeiten mit dem Treu-Sein hast und dann auch noch in einer angesagten Rockband spielst, kriegst du garantiert echte Probleme. Die Versuchung lauert vor allem auf den Tourneen überall.“

Und jetzt? John trägt nach wie vor seinen Ehering und trifft sich fast täglich mit Vicky und den gemeinsamen Töchtern Teddi Jo (7) und Justice (3), die mit Mama nur ein paar Straßen weiter wohnen. “ Vielleicht werden wir die nächsten 40 Jahre getrennt leben, trotzdem wollen wir beide keine Scheidung. Wir brauchen inzwischen halt ein bißchen Abstand voneinander, um halbwegs miteinander klarzukommen. „

Was nicht heißen soll, daß John Mellencamp in der Zwischenzeit wie ein Mönch lebt: „Okay, ich kenne ein paar Mädchen, aber mit denen läuft nichts Ernstes. Warum sollte ich noch eine dieser festen Beziehung anfangen? Ich würde ja doch wieder dieselben Fehler machen und noch eine Frau zehn Jahre leiden lassen, bis sie endlich die Schnauze voll hat.“

Zu seinen Töchtern hat John ein intensiveres Verhältnis: Teddi Jo eifert Papa in jeder Beziehung nach und hat bereits ihre ersten Songs geschrieben. Nur bei Michelle, seiner 18jährigen Tochter aus erster Ehe, weiß Mellencamp nicht so recht, woran er ist.

„Als sie geboren wurde, war ich gerade 19 und für Michelle weniger Vater als Spielkamerad. Wir haben uns die ganze Zeit mit Wasserpistolen beschossen und ähnlichen Blödsinn gemacht. Bei ihr blicke ich am wenigstens durch, was sie so denkt und fühlt – sie ist mir gegenüber nicht richtig offen.“

Umso offener geht John Mellencamp heute mit sich selbst ins Gericht. Andere mögen ihn für einen der größten Poeten seiner Generation halten, er selbst findet seinen Beitrag zur Rock-Geschichte „minimal. Mein Name wird später sicher nicht in Schulbüchern stehen. Bob Dylans wird.“

Selbst sein massives Engagement für „Farm Aid“ erscheint Mellencamp inzwischen eher fragwürdig:

„Farm Aid‘ war doch auch bloß ein leiser Aufschrei, der völlig ungehört verhallt ist. Mittlerweile ist die Farm-Krise noch schlimmer denn je, und die Medien berichten trotzdem nichtmal mehr darüber.“

Was bleibt ihm, wenn er trotzdem noch politisch Druck machen will?

“ Wählen gehen. Mehr fällt mir dazu im Moment nicht ein.“

Und was wäre sein Rat für die Zukunft seiner Kinder?

„Ich will die Entwicklung meiner Kinder nichr festlegen oder limitieren. Trotzdem, einen Ratschlag hätte’ich: Versucht’s mit malen!“