Malcolm Mc Laren – Einfälle und Ausfälle


Mit Bow Wow Wow schaffte sich ex-Pistols-Manager Malcolm McLaren wieder zurück auf die News-Seiten der Musik-Magazine. In einem längeren Interview mit dem New Musical Express glänzte er unlängst mit gewagten Thesen. Hier ein Auszug...

Wie fühlst du dich jetzt eigentlich, wenn du dich deiner verschiedenen Schützlinge entsinnst?

Lydon besitzt Talent, aber zu guter Letzt hat er einiges verloren, weil er absolut keinen Humor besitzt und auch nicht bereit ist, sich selbst zum Narren zu machen.

Als es mit PIL losging, wollte er aber sehr komisch sein. Zum Beispiel wollten sich alle für eine Story im New Musical Express verkleiden und Perücken aufsetzen…

Das völlige Gegenteil ist der Fall… Was zum Beispiel die Rolling Stones am Leben hielt: sie waren sich immer ihres schwarzen R&B-Feelings bewußt und haben es auch nie fallen lassen. Dadurch fand Jagger einen Mentor nach dem anderen, es vermittelte ihm auch einen gewissen geistigen Einfluß. Rotten hat den Boden unter den Füßen verloren, indem er seine Ideen auf Stockhausen oder Kraftwerk oder sogar jamaikanische Musik aufbaute. Du kannst dich nicht auf die Kultur einer karibischen Insel oder auf deutsche methodische Marschmusik stützen. Keins von beiden gibt dir das emotionale Feeling, das die Kultur fordert, mit der wir immer noch leben und welches eben der Rock’n’Roll ist.

Was ist mit Paul Cook und Steve Jones?

Sie spielen gut. Ich kann sagen, daß mir ihre Platten gefallen, ich finde sie weltlich. Ihr Ausverkauf besteht darin, daß sie sich mal ein paar Dollars verdient haben. Sie scheinen nicht zu merken, daß dies nicht alles ist…

Als die Sex Pistols auseinanderbrachen, war es vermutlich schwer für sie. Das einzige, was ich ihnen zu diesem Zeitpunkt bieten konnte, waren Ronald Biggs und der Film. Es ist wirklich eine Schande, daß sie nicht da blieben und eine Xmas-LP machten. Sie haben ihren Humor verloren – weil Ronnie Biggs ihr Humor war. Ronnie Biggs war wie eine ältere Ausgabe von Jones.

Warst du aufgebracht über die Art und Weise, in der Virgin Sid vermarktet hat?

Überhaupt nicht. Ich glaube nicht, daß es darauf ankam. Ich wünsche nur, sie hätten ein paar Platten mehr verkauft. Eine Menge von dem, was zu der Zeit herauskam, war Abfall. Du kannst die Leute nicht ewig zum Narren halten. Wenn ich aufgebracht bin, dann nur deswegen, weil ich mit Sid kein Solo-Album und aus ihm keinen Superstar gemacht habe. Er besaß Charisma. Er war fähig, sich selbst zum Narren zu machen. Nimm „White Cliffs Of Dover“ – er hätte es gesungen. Rotten dagegen würde sich 14 Tage lang einschließen, um darüber nachzudenken.

Trauerst du den Pistols nicht manchmal nach?

Nein, weil sie musikalisch niemals so umstürzend aufregend waren. Ein Haufen Kids, die sich diese Einstellung zu eigen machten; die für eine Reihe unzufriedener Auftritte sorgten. Und damit eine geballte Ladung von Informationen an die Jugendlichen weitergaben. Über die sie nachdenken konnten, mit denen sie arbeiten konnten. Und sie riefen damit all diese anderen Bands hervor.

Das war die bedeutendste Leistung. Was sich gerade abzuzeichnen begann, war ihre politische Kraft. Die lag nicht in ihnen selbst, sondern in ihrer direkten, provokativen Haltung gegenüber der Kultur. Und das besaß einen äußerst zerstörerischen Effekt auf das britische politische System. Ich weiß nicht, ob die Leute das erkennen… sie waren möglicherweise die bedeutendste Rock’n’Roll Band und zwar in dem Sinne, daß sie eben dieses Stück über die Musik hinausgegangen sind und den verblüffendsten Aufruhr innerhalb der Gesellschaft verursachten.

Die erste Generation von Rock’n‘-Rollern ist ja mittlerweile auch zu einem ziemlich traurigen Haufen geschrumpft. Was zumindest diejenigen betrifft, die noch am Leben sind. Die meisten der guten sind ja tot.

Ich finde es großartig, wenn Cliff (Richard) mit 40 eine Platte macht, die ROCK’N’ROLL JUVENILE heißt. Ungeachtet seines Zölibats und all seiner Trips mit dem göttlichen Licht finde ich ihn immer noch erstaunlich. Er ist ebenso präsent wie Jagger. Er lieferte diesem Land möglicherweise sogar mehr Vergnügen und Aufregung als Jagger. Er sollte einen Pornofilm mit Kate Bush machen.

Viele Leute warten immer auf den nächsten Elvis, die nächsten Beatles oder die nächsten Pistols… vielleicht ist die Ära der Big Things vorbei.

Es muß immer jemanden geben, der tanzen kann, die Leute anmacht, sie sexuell provoziert. Immer.

Im Moment gibt es da aber niemanden.

Genau/Darum verkauft auch keiner mehr Schallplatten! Weil keiner mehr verdammt gut ist. Sie versuchen, Gary Numan aufzubauen – dabei ist er nichts weiter als ein Verkäufer mit ein wenig stilbewußtem Make up, der versucht, im Fahrwasser von Bowie zu existieren. Bowie war sowieso nie besonders sexy.

John Rotten war ein Poet, kein Performer. Konnte tanzen, konnte aber keine Sexualität projezieren, es reichte nicht, um auch nur irgendeinen aufzuregen. Er hatte das politische Bewußtsein und die Worte und die Fähigkeit, sich in der Terminologie der ganzen Sex Pistols-Eskapade auszudrücken, aber das Sexuelle war nicht da, darum hat er international auch den Anschluß nicht bekommen.

Dann stammten die Texte alle von ihm?

Nun, die Inspirationen kamen von mir, Vivienne, Jamie, das war eben der Kreis, mit dem er zu tun hatte. Er wurde inspiriert, diese Texte zu schreiben. Ich glaube Glen (Matlock, erster Bassist der Pistols. Anm.) war aus demselben Grunde so gut. Er ging aus eigenem Entschluß, genau wie Rotten.

Ich glaube, Sid hätte es geschafft. Er hätte mit einem Orchester singon können, er brauchte niemanden. Ich weiß nicht, eins zu einer Million, daß er vielleicht der neue Cliff Richard geworden wäre. Definitiv. Wenn Sid noch leben würde, wäre er Englands Elvis Pfesley. Er konnte ein Foto ansehen, sich ein Konzert anhören und das ganze bis aufs i-Tüpfelchen vor dem Spiegel imitieren. Er stand auf die Idee von Sid Vicious und wollte sie ausleben. Er konnte nicht kämpfen, um sein Leben zu retten. Ein Hauch und er fiel um.

Als er „My Way“ sang, das war großartig. Ich würde 20 Mark für einen Platz bezahlen, um diesen Jungen mit einem Orchester zu sehen. Ich könnte ihn mir in Las Vegas vorstellen, er würde abräumen dort, würde Tom Jones auspunkten. Ich merkte es, als ich in Amerika war. Keiner interessiert sich für Rotten, alles drehte sich um Sid, alles drängte sich dort an der Bühne, wo er stand.

Ja, aber das war reines Voyeurtum. Es war schrecklich, die Leute wollten nur Blut sehen. Er war wie ein Zirkustier.

All das gehörte dazu. Also ob jeder abwartete: .Was wird er jetzt tun?“ Als ich zu Virgin ging, sagte ich: “ You got Rotten but you missed the dark horse.“ Ich gab das Band von „My Way“ ab und Simon Draper (Virgins Geschäftsführer) meinte: »Schrott“. Und ich sagte: „Wenn ihr das nicht herausbringt, wird der Markt mit Importen von Barclay aus Frankreich überschwemmt werden. Dann brachten sie’s raus mit Ronald Biggs ,No One Is Innocent“ auf der anderen Seite.

Was machte Ronald Biggs Faszination eigentlich aus? Das war schwer zu verstehen.

Er war wundervoll, ein teaboy, der in Rio lebt. Er war ein brasilianischer Volksheld. Er war der SSjährige Mann von der Straße-.- Thatcher oder wer auch immer konnten sehen, wie Ronald Biggs zusammen mit den Sex Pistols die Charts hochkletterte. Wie konnte man einen 55 Jahre alten Knaben zum Popstar machen! Du könntest jeden nehmen. Diese Perversität war einfach das Größte, sie pumpte Herzblut in die Popmusik.

Wenn du schon Elvis nicht kriegen kannst, tuck it, du kannst genauso gut Ronnie Biggs haben. Das war mein letzter Streich.