Magnum – Märchenstunde
Als sie ihr Plattenboß 1983 vor die Tür setzte, stand die Zukunft der britischen Hardrocker in den Sternen. Ein letzter Anlauf - und das Schiff war wieder flott: Mit ihrem märchenhaften Romantic Rock segeln sie besser denn je. ME/Sounds-Redakteur Uli Weißbrod segelte mit.
Wilde Schwäne fliegen über die Ruinen sagenumwobener englischer Schlösser, Einhörner kämpfen in verwunschenen Wäldern ums Überleben. Feen aus einer anderen Welt, einsame Rächer in silberner Rüstung, der Zauberer Merlin und König Artus‘ Tafelrunde erwachen in den Geschichten des alten Märchen-Erzählers am flackernden Kaminfeuer zu neuem Leben…
Die englischen Hardrocker von Magnum sind mit ihren romantischen Ton-Gemälden in eine Marktlücke vorgestoßen, haben ganz geschickt Tolkien-Freaks und Hardrock-Fans zur Magnum-Gemeinde verschweißt und sich damit selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Vergessens gezogen. Nach langen Jahren des Darbens (die erste Maenum-Scheibe KINGDOM OF MADNESS erschien bereits 1978) stiegen die hartnäckigen Romantiker aus den britischen Midlands spätestens 1986 mit dem märchenhaften Album V1GILANTE auch kommerziell in die erste Liga auf.
In Magnum erkannten plötzlich die lange vernachlässigten Fans des opernhaften Bombast-Sound die Reinkarnation von bereits vergessenen Größen wie Gentle Giant. den frühen Genesis oder Jethro Tüll. Die ehemaligen Vorreiter des Romantic Rock waren entweder ganz von der Bildfläche verschwunden oder hatten ihren Musik-Stil gravierend geändert. Tolkien-Fan und Magnum-Songwriter/Gitarrist Tony Clarkin hat die Marktlücke eher zufällig erkannt: „Wir waren am Anfang eine Hardrock-Baml wie viele andere auch. Im Gegensatz zu den Konkurrenten hatten wir gar kein Image. Erst ah ich 1983/84 fast neun Monate krank war, keine Gitarre anfassen konnte und beinahe Tag und Nacht las, kam mir die Idee, den ganzen romantischen Lesestoff, der mich so tief berührte, in entsprechende Songs umzusetzen. Der Durchbruch kam mit dem Plan, eine Art Konzept-Märchen-Album aufzunehmen und als Überbau einen Märchen- oder Fabel-Erzähler einzuführen, der wie im Mittelalter die Menschen mit seinen phantastischen Geschichten fesselt. „
ON A STORYTELLER’S NIGHT war für Magnum die letzte Chance. Von Don Ardens Jet-Label nach fünf Alben gekündigt, warfen die Musiker ihre letzten Ersparnisse zusammen und zogen einen Deal mit FM-Records an Land. 60.000 Einheiten des „Märchen-Erzählers“ gingen allein in England über die Ladentische, Tony Clarkins Idee und der Mut der Verzweiflung hatten der Band das Leben gerettet.
Plötzlich lief der Laden. Die Plattenverkäufe zogen eine gut besuchte Tour nach sich, die Mund-zu-Mund-Propaganda ließ die Nachricht von den neuen Märchenonkeln des British Rock wie ein Lauffeuer von der Provinz in die Großstädte eilen. Queens Roger Taylor, selbst ein Fan von keltischen Mythen, bot sich an. die nächste LP zu produzieren. Queen-Verehrer Clarkin und sein einziger Magnum-Kumpel aus den Gründer-Tagen, Sänger Bob Catley, fühlten sich geehrt. Auf der mit Taylors Hilfe eingespielten V1GILANTE stimmte nun auch der Sound. Donnernder Bombast, klare Keyboards, scharfe Gitarren. Speziell in Deutschland entdeckten die Hardrock-Fans ihre romantischen Wurzeln, von Novalis bis zu Walter von der Vogelweide, pilgerten in die Magnum-Shows, sangen die einprägsamen Märchen-Hymnen der Briten scharenweise mit und sorgten für ordentliche Absatzsteigerungen bei Wunderkerzen-Herstellern. Tony (41), der Mann mit dunklem Hut und wallendem Bart, der nicht nur das fehlende Haupthaar kompensiert, sondern auch ZZ Top zur Ehre gereichen würde, sowie Partner und Sänger Catley (40) verkörpern optisch die typischen Boys – äh – Grandpas next door. Gerade die Tatsache, daß sich das Magnum-Frontgespann vom Poser-Glamour Mötley Crües oder den Macho-Allüren eines David Coverdale wohltuend abhebt, honorieren die hiesigen Fans mit ehrlicher Sympathie und starkem Zulauf.
Wie übrigens auch Drummer Mickey Barker, Keyboarder Mark Stanway und Bassist Wally Löwe, die den antiautoritären Führungs-Stil und die familiäre Atmosphäre (nebs! den guten Gagen natürlich) bei Magnum besonders schätzen. Auf dem aktuellen Album WINGS OF HEAVEN schreibt der versponnene Tony für „das Gute an sich. Die Kraft sich positiv zu erneuern.“ Ein melancholischer Bandlcader. der sich nichts mehr wünscht, als auf „Avalon“, der Traum-Insel aus der Merlin-Sage, geboren zu sein. Sänger Bob Catley kann sich zwar ebenfalls für Fantasy begeistern, hält aber trotzdem lieber den Kontakt zur Basis: „Wir sind nicht die Märchenonkels der Nation, wir haben für den späten Erfolg geschuftet wie keine andere Band in England.
Wenn Tony den Schatz der Nibelungen heben will – bitteschön. Ich für meinen Teil freue mich über eine schöne neue Wohnung, ein rasantes Auto und genug Geld in der Tasche, um meine Frau mindestens einmal die Woche fein zum Essen auszuführen.“