Madonnas Abrechnung
Einleitung: Die CIA hätte es nicht spannender inszenieren können. Madonnas neues Album, am 11. März auf dein Markt, wurde behandelt, als sei die Staatssicherheit in Gefahr. Ganz unbegründet war die Geheimniskrämerei diesmal vielleicht nicht: LIKE A PRAYER, soviel war zu erfahren, sei Madonnas Abrechnung mit der Kirche. Ihr Ärger, ja Haß habe sich soweit aufgestaut, daß man ein teuflisches Gebräu erwarten dürfe. ME/Sounds versuchte den Deckel vorab zu lüften.
Geheim war natürlich auch das neue Image. Fotos wurden unter Verschluß gehalten bis zur buchstäblich letzten Minute, alle Informationskanäle rigoros verstopft. Das liebgewonnene Stil-Quiz (Welches Outfit darf’s denn sein?) wurde genüßlich ausgereizt.
Alle, die Madonna nach Punk, Marlene und Marilyn, Bodybuilding und Leder womöglich am Ende ihres Designer-Lateins wähnten, werden jedenfalls wieder enttäuscht. Sie scheint jünger geworden zu sein: Lange, dunkle Haare, Mittelscheitel, schwarze Dessous, strapslose Strümpfe, biedermeierliche Schnürstiefelchen trägt sie jetzt und dazu ein Blick…der gefallene, frierende Engel, den wir alle ohne Zögern in den wärmenden Mantel unserer uneigennützigen Nächstenliebe hüllen würden. Der Fotografen-Star Herb Ritts hat sie abgelichtet, um diesmal ihr „wirkliches Ich“ zu zeigen, wie Madonna betont.
Sie weiß mal wieder genau, was sie will. Ein bißchen geht’s auch in den Accessoires back tot the roots ,denn das Kruzifix, Memento ihrer katholischen Erziehung, ist auch wieder da und baumelt wie zufällig ins Dekolleté. Doch davon später.
Madonna hält jedenfalls die Fäden wieder vielversprechend in der Hand, um mit gewohnt routinierter Manier das vorzuführen, was nur wenige so perfekt wie sie beherrschen: der scheinbar geborene Star zu sein.
Nach zwei klassischen Kino-Flops und einer (freundlich formuliert) mäßig aufgenommenen Bühnen-Premiere am Broadway käme jede Durchschnitts-Diva ins Grübeln. Oder gar ans Trinken. Doch nach all der Häme, die sich über sie ergossen hat, zeigt die Femme fatale des US-Pops keinerlei Wirkung.
Und ihr Marktwert scheint auch nicht gelitten zu haben: Pepsi Cola blätterte ein Sümmchen zwischen fünf und zehn Millionen Dollar für sie hin (Mutmaßungen amerikanischer Boulevardblätter), um Michael Jackson als Promo-Flaggschiff abzulösen. Dafür durfte man Anfang März die erste Single exklusiv im Fernsehen präsentieren, dafür darf man im Herbst auch ihre Tournee sponsern.
Pepsi erhofft sich vom spektakulären Madonna-Deal u.a. heftige Impulse fürs kommende China-Geschäft: Kraft der Popularität des amerikanischen Megastars hinter dem Bambus-Vorhang soll demnächst mit Madonna-Konzerten in Peking und anderen chinesischen Städten das Image der braunen Brause aufs schickste präsentiert werden.
Daß sich die Investition weltweit auszahlt, daran gibt es im Lager der Cola-Macher keinerlei Zweifel. Vorausgesetzt natürlich, daß LIKE A PRAYER wie erwartet einschlägt. Immerhin hatten die Filme „Shanghai Surprise“ und „Who’s That Girl“ gnadenlos Madonnas Null-Potenz in Sachen Leinwand-Wirkung enthüllt und arg an ihrem Unfehlbarkeits-Mythos gekratzt.
Ihr Ruf als Musikerin hingegen dürfte mit ihrem letzten Album TRUE BLUE eher gewachsen sein, denn auf den ersten Charts-Flop wartet Madonna immer noch vergebens, wohl auch verständlicherweise ohne großen Frust. „Die Schauspielerei hat mir zumindest eines beigebracht: mit anderen Leuten wirklich zusammenzuarbeiten. Wenn ich ein Album mache, habe ich die totale Kontrolle, drücke mich so aus, wie ich es für richtig halte, aber als Schauspielerin gebe ich viel von dieser Unabhängigkeit auf, weil eben andere Leute ebenso wichtig mitwirken“, sagt Madonna, und das klingt überhaupt nicht nach einem „Blick zurück im Zorn“. Die neue Demut?
Ungewöhnlich auf jeden Fall sind auch die Töne, die Frau Ciccone bezüglich ihres neuen Albums anschlägt: „Der Titelsong handelt vom negativen Einfluß der katholischen Religion auf mein Leben“, erklärt sie, „und ebenso von der Leidenschaft, die sie in mir entfacht hat. Andere Songs wieder beschäftigen sich mit persönlichen Dingen, über die ich viel nachdenke. Sie handeln von meinem Bruder, meinem Vater, von familiären Bindungen allgemein, vom Schmerz, zu sterben, erwachsen zu werden oder jemanden zu vermissen.“
Mehr ging wohl auch nicht auf zwei Albumseiten. Doch wer ihre Songs bisher nur ein wenig aufmerksam gehört hat, weiß genau, daß Madonna nicht nur das „Material Girl“ ist, das am liebsten „Holiday“ macht. Wenn auch ihr Image dabei stets paßgenau auf die jeweilige Single zugeschneidert war. „Live To Tell“, „Papa Don’t Preach“ und andere Songs waren zwar keine hehren Protestsongs à la Tracy Chapman (dazu ist Madonna wohl auch nicht naiv genug), aber diese Songs muteten auch nicht als hohler Hitparaden-Singsang an. Kein Zweifel: Hinter der oberflächlichen, coolen Winner-Pose der Geschäftsfrau Ciccone schlummert eine ernste Seele, die zumindest manchmal ihr Recht fordert.
Und obgleich sich ihre Erfolge in rollenden Dollars und der Bewunderung zahlloser Fans ausdrücken, fühlt sich der reiche/arme Star weitgehend mißverstanden und falsch bewertet. „Sie dachten, eines Tages würde ich sang- und klanglos wieder verschwunden sein. Aber ich blieb. Und das machte manche Leute geradezu rasend Sie hielten mich für eine saisonale Erscheinung, heute da, morgen vergessen, wie irgend so ein Disco-Püppchen. Aber im Lauf der Jahre habe ich immer ein bißchen mehr von mir gezeigt, Facette für Facette. Und jedesmal, wenn alle dachten, sie hätten mich kopiert, machte ich etwas total Anderes.
Sie brauchten Ewigkeiten, um zu begreifen, daß ich nicht nur singen, sondern auch etwas Eigenes zur Pop-Szene beitragen konnte. Die ersten beiden Alben wurden von den Kritikern fast ignoriert. Über mein letztes Album sagten sie schließlich zähneknirschend, ,0K, sie hat Talent. OK, sie kann einen Song schreiben.‘
Jetzt geht es mir mit den Filmen und dem Theater genauso. Ich stand zum ersten Mal auf der Bühne, und es war dasselbe von Anfang an. Um als Schauspielerin anerkannt zu werden, muß ich einfach sehr hart arbeiten, tun, was ich tun muß und die Leute reden lassen, was sie wollen. Nur so funktioniert Erfolg. So hat er immer funktioniert.“
Wenig erfolgreich indes scheint Madonnas Liaison mit Sean Penn zu werden, seit August 1985 ihr publicityträchtiger Ehemann. Auch offizielle Mitteilungen ihrer Plattenfirma Warner Bros in den USA lassen verlauten, daß die Scheidung nun definitiv eingereicht sei.
Nach der Trennung hat sie sich in ihr Apartment am New Yorker Central Park verkrochen, um dort ihre emotionalen Wunden zu lecken. Dem amerikanischen Schriftsteller Harry Crews, der sie dort als einer der wenigen besuchen durfte, zeigte sie ein Gemälde von Frida Kahlo, der Frau des mexikanischen Wandmalers Diego Riviera. Das Bild zeigt eine nackte Frau auf dem Bett, der Kopf eines Babys zwängt sich gerade aus ihrem Schoß. Die Frau ist allein und verlassen in ihrem Schmerz. Man spürt, daß das Baby tot ist.
„Das Bild heißt .Meine Geburt'“, sagt Madonna. „Es bedeutet für mich, mit Schmerz und Problemen zu leben, zu überleben. Ich bin fasziniert von Menschen, die mit Leid konfrontiert werden – und überleben. Ich fühle mich hingezogen zu Menschen, die diese Erfahrungen obendrein kreativ verarbeiten können. Frida Kahlo mußte viel erleiden. Sie war verkrüppelt und außerdem mit einem Wahnsinnigen verheiratet, der sie körperlich quälte und ihr das Leben zur Hölle machte. Ich fühle mich hingezogen zu Dingen, die die Trauer des Lebens symbolisieren, die Einsamkeit der Existenz. Das klingt vielleicht dumm, aber so fühle ich nun mal.“
Auf die Frage, ob es für sie eine Kehrseite des Erfolges gebe, braucht Crews nicht lange auf eine Antwort zu warten: „Der völlige Verlust meiner Anonymität! Die Tatsache, daß ich nicht einmal unbeobachtet die Straße hinuntergehen kann.
Andererseits habe ich mir in meiner Jugend immer und immer wieder gesagt, daß ich ‚jemand sein‘ wollte. Ich wollte anders aussehen, mich anders kleiden, anders fühlen. Dann erreicht man das, wovon man immer geträumt hat – und verbringt den Rest des Lebens damit, sich zu verstecken. Seltsam. Aber genauso passiert es. Und es gibt keine Alternative. Es sei denn, man würde sein Leben umkrempeln. Aber das werde ich nie tun.“