Madonna: Madonna live im Olympiastadium
"Ihr habt aufgehört zu hüpfen!" Freizeitstress mit der Drill-lnstruktorin of Pop. Olympiastadium, München.
Eigentlich hätte man erwartet, dass sie hyperpünktlich anfängt, denn hey, she’s Madonna, und ihr eilt inzwischen leider der Ruf der strengverkniffenen Gnattel voraus. Tut sie aber nicht – die erste Überraschung des Abends. Sie lässt auf sich warten bis gut halb zehn im wirklich nicht ganz vollen Olympiastadion. Dann doch: Auftritt Madonna & Angestellte mit Riesenwumms, Lichtkaskaden und Beatgewitter, zum hysterisch lasziven Pharrell-Hit „Candy Shop“ spreizt die „Queen of Pop“ die Beine auf ihrem Thron. Dann übernimmt erst mal der Hintern die Hauptrolle: Bildfüllend wird der Allerwerteste der Gnädigsten auf die Riesenleinwände projiziert, die Kamera hält stoisch drauf, wenn Madonna sich in Netzbadeanzug und Lackstiefeln wie wild dreht, bückt, windet. Viel Zeit zum Gucken bleibt aber nicht, denn hier gibt die Chefin das Tempo vor. Bei Lied zwei wird ein weißer Oldie-Schlitten reingekarrt, wie Aufziehmännchen bouncen Tänzer drauf herum. „The Beat Goes On“, kommandiert Madonna, und der ballert tatsächlich ohne Erbarmen, während Kanye West von der Leinwand grinst. Man ahnt: Schlappmachen gilt heute nicht, da sei die Entertainment-Domina vor; letzt wird sich amüsiert, damit das klar ist! Madonna wirkt inmitten des überdrehten Aggro-Aerobic-Marathons überraschend gelöst, sie lächelt, als machte ihr der Zirkus wirklich Freude. Ihren inneren Drill Instructor kann/mag sie aber nicht verbergen: Als sie bei „Into The Groove“ einen Tänzer mit dem Mikro zum Moshpit schickt, dort aber keiner der Fans richtig mitsingen kann, mokiert sie sich: „What was that? What exactly were you singing?“ „Jetzt ist sie sauer“, entfährt es der Sitznachbarin. Himmel, nur das nicht! So aufgekratzt wie die Bühnenshow gibt sich das Publikum, zumindest auf den Ringen, nicht. Das könnte an dem Eurodance-Beat liegen, der konsequent unter jeden noch so alten Hit gelegt wird, wohl nahtloses Durchdancen ermöglichen soll, jedoch die Freude an den Klassikern schmälert. Platzen tut der Knoten im Publikum erst, als etwas passiert, das der Weirdness des Abends den Hut aufsetzt: Mitten in „Holiday“ stoppt der Song und aus dem Bühnenboden wird ein Michael-Jackson-Double hochgefahren, der nun „Billie Jean“ performt – das Stadion tobt. “ Er war der größte Popstar“, kommentiert Madonna schmallippig den Tribut – und schon sind wir wieder mittendrin im Freizeitstress. „Hüpfen!“, befiehlt die Ciccone bei „Ray Of Light“ und wird schärfer, als sie bemerkt: „Ihr habt aufgehört zu hüpfen!“ Jetzt bloß durchhalten. Nach zwei Stunden Multimediageballer hat man noch zwei Boxer im Ring gesehen, einen „DJ“ am Pult, eine Gypsy-Truppe mit Flamenconummer, Mönche mit Kapuzen, Line-Dancing im Aerobic-Outfit, Madonna, wie sie so tut, als spielte sie Gitarrejustin, Britney, Pharrell und Timbaland als Videoprojektion, den obligatorischen Girl-on-girl-Kuss mit einer Tänzerin, Perücken, Lack, Leder und eine gaga „nachdenklich machende“ Videocollage, die Adolf Hitler neben John McCain zeigt. Der Beat pumpt. Das Licht gleißt. Und die Chefin hopst weiter durchs Mobiliar. She’s Madonna. Sie hat die Muckis und die Moves. Nur Seele spürt man dem Spektakel nicht an – ganz zum Schluss vielleicht. Da legt sie sich lachend die italienische Fahne eines Fans um die Schultern und dreht sich im Kreis. Nett. Aber: dürfen wir jetzt bitte nach Hause? Wir können echt nimmer.